Interview mit Sigmar Gabriel

"Mindestlohn ist Meilenstein der Sozialpolitik"

Karin NinkYvonne Holl21. August 2014

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist überzeugt, dass die Umfragewerte seiner Partei wieder steigen, wenn sie ihre Versprechen einhält. Neben der Einführung des Mindestlohns gehöre dazu auch eine klare Linie bei der Rüstungspolitik.

Der Mindestlohn war DAS große sozialdemokratische Ziel der Koalitionsverhandlungen. Fiel Ihnen ein Stein vom Herzen, als das Gesetz vom Bundestag verabschiedet wurde?

Ich hatte keinen Zweifel, dass der Mindestlohn kommt. Die Einführung wird sich als historische Entscheidung erweisen, als großer Meilenstein in der Sozialpolitik. Das Gesetz beendet in Deutschland den verhängnisvollen Weg raus aus Tarifverträgen und raus aus der sozialen Marktwirtschaft.

Bis zuletzt gab es harte Widerstände. Hat es die SPD gestärkt, dass Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihren Gesetzentwurf durchsetzen konnte?

Andrea Nahles war von Anfang an strikt auf der Linie, die sich am Ende durchgesetzt hat. Sie hat all die Ausnahmen, die CDU und CSU von ihr verlangt haben, nicht gemacht und sich durchgesetzt. Sie hat das hervorragend hingekriegt. Ich glaube, dass man das öffentliche Geschrei, das es darum gegeben hat, nicht so ernst zu nehmen brauchte. Ich habe es nicht so richtig ernst genommen.

Profitiert die SPD jetzt davon?

Die SPD wird langfristig davon profitieren, wenn sie ihre Versprechen einhält. Dazu gehört auch, dass wir dafür sorgen, dass Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben und versichert waren, mit 63 ohne Abzüge in Rente gehen können.

Werden Sie im Privaten, etwa beim Brötchen holen, auf solche politischen Entscheidungen angesprochen?

Ja, allerdings nicht nur im Guten. Der Taxifahrer, mit dem ich gelegentlich fahre, verlangt schon seit Monaten von mir den dreifachen Preis. Angeblich weil der Mindestlohn ihn dazu zwingt. Dass der Mindestlohn in seinem Gewerbe noch gar nicht gegolten hat, scheint ihn in dieser Zeit nicht gestört zu haben. Aber weil ich mit ihm zur Schule gegangen bin, hab ich nix gesagt, sondern zahle brav.

Obwohl die SPD wesentliche Wahlversprechen umgesetzt hat, sind die Umfragewerte nicht gestiegen. Woran liegt das?

Die Veränderungen sind bei den Menschen noch gar nicht angekommen. Dazu gehört eine Vielzahl von Vereinbarungen, die die SPD durchgesetzt hat: Dass wir Tarifverträge stärken, hat sicher auch mitgeholfen, das Klima für Gewerkschaften zu verbessern, so dass sie endlich wieder anständige Lohnerhöhungen durchsetzen können. Außerdem haben wir gerade neun Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt für Bildung, Kindergärten, Schulen, Universitäten und Forschung.

Sind die schlechten Umfragewerte nicht frustrierend?

Natürlich ist das unbefriedigend. Aber wir haben es mit einem langen Prozess zu tun. Da hat sich viel verfestigt. Wir müssen zeigen, dass wir neben sozialen Themen auch die Zukunftsherausforderungen ernst nehmen. Und das Wichtigste ist: Unseren Wählerinnen und Wählern das Vertrauen zurückzugeben, dass wir es ernst meinen mit dem, was wir versprechen. Tun, was man sagt und sagen, was man tut: Das ist das Wichtigste dafür. 

Welche Zukunftsherausforderungen sind das?

Neben Bildung vor allem auch die wirtschaftliche Entwicklung. Da gibt es eine Menge Herausforderungen – vom Fachkräftemangel über die Energiepreise bis hin zur Digitalisierung der Wirtschaft und zur Infrastruktur. Die SPD muss diese Fragen beantworten und darf dabei keinen Widerspruch aufkommen lassen zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg und sozialer Sicherheit. Für uns gehören die beiden Dinge zusammen. Wenn wir breiter sichtbar werden als ausschließlich im Bereich der Sozialpolitik, dann kommen auch bessere Wahlergebnisse.

Wie will die SPD ihre Wirtschaftskompetenz stärken?

Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, das wird nicht leicht: Die internationale Lage trübt sich ein, wir haben eine zu niedrige Investitionsquote, und die Infrastruktur Deutschlands wird seit vielen Jahren auf Verschleiß gefahren. Nun kann aber eine Regierung mit der SPD nicht in den ersten sieben Monaten alles wieder in Ordnung bringen. Dafür brauchen wir natürlich mehr Zeit.

Als Wirtschaftsminister haben Sie noch mit einem weiteren heiklen Thema zu tun: Warum ist es so schwierig, Rüstungsexporte zu stoppen?

Es ist ja gar nicht so schwierig. Wir stoppen ja gerade Rüstungsexporte in Länder, bei denen man nicht sicher sein kann, ob damit nicht die eigene Bevölkerung unterdrückt wird oder die Waffen am Ende in Bürgerkriegen landen. Das Problem ist, dass in der Öffentlichkeit nur das bekannt wird, was wir genehmigen. Abgelehnte Anträge werden geheim gehalten, um den Unternehmen, deren Anträge abgelehnt wurden, keinen Schaden zu bereiten. Aber der beste Beweis, dass wir endlich wieder zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik zurückkehren, wie sie Helmut Schmidt seit Jahren einfordert, ist das Geschrei der politischen Rüstungslobbyisten.

NATO und EU haben in den letzten Jahrzehnten drastisch bei Rüstungsausgaben gespart. Die Unternehmen haben schlicht den Ratschlag der konservativ-liberalen Politik befolgt und mehr ins Ausland exportiert. Nun ist es aber so, dass die Welt sich verändert hat. Die Gefahr ist groß, dass unsere Kinder in einer unsichereren Welt aufwachsen werden als wir. Jetzt in Länder Waffen zu liefern, von denen gleichzeitig die Unterstützung solcher Terrororganisationen wie IS ausgeht, finde ich unverantwortlich. 

Besteht für Sie ein besonderes Spannungsfeld zwischen dem Erhalt von Arbeitsplätzen und Friedenspolitik?

Jeder Sozialdemokrat will Arbeitsplätze schützen. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Rüstungsbetrieben sind ganz normale Arbeitnehmer. Die haben natürlich Angst, dass sie dabei ihren Job verlieren. Insofern existiert dieses Spannungsfeld, und man muss nach Lösungen suchen. Aber die Lösung kann nicht sein, dass man einfach sagt, na gut, dann liefern wir die Waffen eben. Ich bin im Zweifel immer gegen eine Waffenlieferung.

Friseurin Regina Richter profitiert vom Mindestlohn

weiterführender Artikel