Keine Lohnuntergrenze in Sicht

Mindestlohn à la von der Leyen

Ursula Engelen-Kefer26. September 2011

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen lässt nicht locker, neue Themen in die Medien zu lancieren. Diesmal sind es wieder die Mindestlöhne. Bei Arbeitnehmern, Gewerkschaften
und der großen Mehrheit in der Bevölkerung kann sie damit "punkten". Erst kürzlich hat sie Teile ihrer Regierungskoalition verärgert, indem sie in Interviews den Eindruck erweckte, sie setze sich
für gesetzliche Mindestlöhne ein.

Einführung von Mindestlöhnen im Schneckentempo

Als die mediale Schelte für den Vorstoß der Bundesarbeitsministerin für Mindestlöhne vom Wirtschaftsflügel ihrer Partei auf dem Fuße folgte, kam ebenso umgehend das Dementi aus ihrem Hause.
Selbstverständlich stehe die Bundesarbeitsministerin zum Vorrang der Tarifparteien bei der Festlegung von Mindestlöhnen. An diesem Wochenende hat sie in einem Interview
mit dem Tagesspiegel erneut nachgelegt. Sie trete für "marktwirtschaftlich organisierte Mindestlöhne ein"… Arbeitgeber und Gewerkschaften handeln sie
aus, nicht die Politik gibt sie vor". Darüber hinaus ließ sie wissen, weitere Branchenmindestlöhne werden ohnehin kommen.

Für die über sieben Millionen Niedriglöhner in Deutschland ist dies wenig beruhigend. Seit 1995 die ersten tariflichen Mindestlöhne im Baugewerbe für allgemeinverbindlich erklärt
wurden, sind inzwischen 16 Jahre vergangen. Heute gibt es in der Bundesrepublik tarifliche Mindestlöhne in insgesamt zehn Branchen mit etwa drei Millionen Arbeitnehmern. Das sind etwas mehr als
ein Zehntel der abhängig Beschäftigten in der Bundesrepublik. Wenn dieses Tempo bei der Einführung tariflicher Mindestlöhne nicht beschleunigt wird, werden weitere Jahrzehnte vergehen, bis
Arbeitnehmer in der Bundesrepublik vor Lohndumping soweit geschützt sind wie im überwiegenden Teil unserer europäischen Nachbarländer. Dort liegen sie teilweise bereits über neun Euro in der
Stunde.

Noch zu Zeiten der Großen Regierungskoalition in Berlin hatte der damalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) durchsetzen können, dass die Verfahren für die
Allgemeinverbindlichkeit von tariflichen Mindestlöhnen erleichtert und die Anzahl der Branchen ausgeweitet wird. Auch danach hat es immerhin drei Jahre gedauert, bis es zu tariflichen
Mindestlöhnen bei weiteren Branchen, wie den Sicherheits- und Wachberufen, den Großwäscherein, und zuletzt der Weiterbildungsbranche gekommen ist.

Hängepartie in der Leiharbeit geht weiter

Die Hängepartei der tariflichen Mindestlöhne in der Leiharbeitsbranche ist trotz gegenteiliger Versprechungen der Bundesregierung und gesetzlicher Änderung immer noch nicht beendet. Zwar
steht inzwischen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz die Verpflichtung zu einer Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer, die von den Tarifparteien festgelegt wird. Dazu hatten die DGB-Gewerkschaften
bereits Mitte 2006, also vor mehr als fünf Jahren, mit den beiden großen Leiharbeitsverbänden tarifliche Mindestlöhne ausgehandelt. Doch die Bundesregierungen sowohl der Großen Koalition mit der
Mehrheit von CDU/CSU wie auch die derzeitige schwarz-gelbe Regierungskoalition haben erfolgreich verhindern können, dass die tariflichen Mindestlöhne des DGB für allgemein verbindlich erklärt
wurden.

Als Rechtfertigung diente ihnen die konkurrierenden Tarifverträge der Christlichen Gewerkschaften, die zum großen Teil Hungerlöhne vorsahen und daher gerne von den Arbeitgebern
angewandt wurden. Das Ergebnis ist bekannt: Leiharbeitnehmer sind in weit überdurchschnittlichem Ausmaß von Armut bei Arbeit betroffen und gehören mit etwa zwölf Prozent zu den "Aufstockern",
müssen also zusätzlich Hartz IV beantragen, damit sie überhaupt leben können.

Mit der
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 23. März 2011 ist diese Begründung
weggefallen. Danach wird den Christlichen Gewerkschaften (CGZP) die Tariffähigkeit abgesprochen, ihre Tarifverträge sind nicht gültig. Seither besteht große Aufregung in der Zeitarbeitsbranche
und bei den Arbeitgebern, die Leiharbeitnehmer mit den niedrigen Tarifverträgen des CGZP beschäftigt haben, da sie auch rückwirkend zur Zahlung der Lohndifferenzen zwischen ihren Niedriglöhnen
und den Verdiensten der Stammarbeitskräfte sowie den erforderlichen Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet sind.

Seit diesem klaren Urteilsspruch des BAG ist schon wieder ein halbes Jahr vergangen. Und obwohl die DGB-Gewerkschaften mit ihren Tarifpartnern in der Leiharbeitsbranche der
Bundesregierung bereits seit Monaten die tariflichen Mindestlöhne als Lohnuntergrenze nach dem geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vorgelegt haben, gibt es immer noch keine
Allgemeinverbindlichkeit durch die Bundesregierung. Daher bleibt die besorgte Frage: Was ist von den erneuten Medienkampagnen der Bundesarbeitsministerin für Mindestlöhne zu halten, wenn diese
längst überfällige und mehrfach zugesicherte Allgemeinverbindlichkeit der tariflichen Mindestlöhne in der Leiharbeit durch die Bundesregierung immer noch aussteht.

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