
Jede fünfte Person in Europa ist von Armut bedroht und damit rund 109 Millionen Menschen. Ihre Anzahl wird durch die Corona-Krise steigen. Das bleibt nicht ohne Folgen, warnt Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD). Vertrauen in die EU gehe verloren, anti-europäische und nationalistische Kräfte hätten Zulauf, ist er überzeugt. Gemeinsam mit Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz in der AWO, fordert Bauer am Montag konkrete Maßnahmen zur Armutsbekämpfung auf europäischer Ebene.
Junge Menschen von EU überzeugen
Ihre gemeinsame Erklärung „Gemeinsam für ein Europa ohne Armut“ umfasst unter anderem die Einführung europäischer Mindestlöhne, Mindeststandards für soziale Absicherungen sowie eine Jugendbeschäftigungs- und Kindergarantie. Ihre Vision ist ein Europa, dass seine Bürger*innen vor Armut und sozialer Ausgrenzung schützt. Ihre Adressaten auf der digitalen Veranstaltung „Europäische Strategien zur Armutsbekämpfung - Perspektiven für ein Europa von morgen“: EU-Kommissar Nicolas Schmit und Bundessozialminister Hubertus Heil.
Die Botschaft, dass in Europa niemand in bitterer Armut leben müsse, ist für den Politikwissenschaftler Benjamin Benz ein positives Signal und habe hohes identifikatorisches Potenzial. Bei der Mindestsicherung gehe es um das soziale Fundament. Es sei das Wichtigste, das zu tun sei. Malte Steuber ist überzeugt, dass auch junge Menschen mit dem Aufzeigen dieser sozialen Vision erreicht werden könnten. Aber man müsse die Vorhaben auch umsetzen, sagt der Bundesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten Deutschlands. Mit einer Jugendbeschäftigungsgarantie für Qualifizierung zu sorgen und europäische Freiwilligendienste weiterzuentwickeln schaffe Perspektiven, betont er.
EU-Mindestlöhne und Mindestsicherung
Dass die EU-Kommission aktiv an der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte für ein Europa ohne Armut und ein Europa der Chancengleichheit arbeite, versichert der EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit. Dazu gehörten europäische Mindestlöhne und eine angemessene Mindestsicherung, erklärt er. Besonders die Ärmsten habe die Krise hart getroffen.
Als ein Beispiel nannte er Wohnungslosigkeit. Gemeinsam mit seiner portugiesischen Amtskollegin plant Schmit im kommenden Jahr etwas für Wohnungslose zu tun. Sein Vorbild: Das „Housing First“-Konzept und seine positiven Resultate aus Finnland. Weiteres Vorhaben für 2021 sei eine europäische Kindergarantie, die Gesundheits- und Bildungsdienste einschließt. Denn Bildung und Chancengleichheit seien elementar, um dem Teufelskreis der Armut zu entkommen, so Schmit.
Gerechte Arbeitsbedingungen
Das soziale Europa nach vorne bringen will auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Dabei habe einer der reichsten Kontinente der Welt eine weltweite Verantwortung. Zum Beispiel für gerechte Arbeitsbedingungen und anständige Löhne. Die Zahl derer, die trotz Arbeit von Armut bedroht seien, sei in den letzten Jahren gestiegen. „Deshalb sprechen wir nicht nur über gemeinsame Kriterien für einen EU-Rahmen für Mindestlöhne, sondern auch über die Stärkung der Sozialpartnerschaft“, sagt Heil. Mit Blick auf die Skandale in der Fleischindustrie spricht er aber auch von der Notwendigkeit, Saisonarbeitskräfte zu schützen. Sie dürften nicht zu Arbeitnehmern zweiter Klasse werden, junge Menschen nicht weiter in Arbeitslosigkeit und Armut abrutschen.
Deutschland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die EU-Parlamentarierin Gaby Bischoff spricht von einem Möglichkeitsfenster, dass sich jetzt auftue, um das Grundversprechen einzulösen, die Lebens- und Arbeitssituation der Menschen in Europa zu verbessern. Menschen müssten geschützt sein, wenn sie krank werden oder ihre Arbeit verlieren, sagt sie.
Treffen der EU-Arbeits- und Sozialminister*innen
Und auch Heil sieht den Zeitpunkt der Forderung gut gewählt, denn am morgigen Dienstag finde ein Treffen des Europäischen Rates für „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ statt. Themen sind u.a. die wirtschaftliche Lage von Arbeitnehmer*innen und die ungleiche Verteilung bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern, um eine Jugendbeschäftigungsinitiative in der EU und die Situation von Saisonarbeitskräften.