Sozialpolitik

Warum der Mindestlohn in Bremen steigen soll

Ulf Buschmann22. Februar 2019
Reinigungskraft bei der Arbeit: Oft reichen die Löhne in der Branche nicht zum Leben und werden durch zusätzliche Leistungen der Jobcenter aufgestockt.
Reinigungskraft bei der Arbeit: Oft reichen die Löhne in der Branche nicht zum Leben und werden durch zusätzliche Leistungen der Jobcenter aufgestockt.
Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) will eine deutliche Anhebung des Mindestlohnes. Die Hansestadt ist damit erneut Vorreiter bei der unteren Lohngrenze. Das Ganze könnte auch Thema im Bürgerschaftswahlkampf am 26. Mai werden.

Matthias Herzog (Name geändert) liebt seinen Job – eigentlich. Der 32-Jährige ist Fachkraft für Lagerlogistik. Er ist fasziniert davon zu sehen, wie Produkte von A nach B kommen. Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken. Denn sein Unternehmen, das unter anderem auch für die Stadtgemeinde Bremen und das Land Bremen tätig ist, zahlt nicht gut. Matthias Herzog bekommt gerade einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Der liegt seit dem 1. Januar bei 9,19 Euro und wird ab dem kommenden Jahr auf 9,35 Euro steigen.

Matthias Herzog freut sich einerseits, dass knauserige Arbeitgeber wie seiner dazu gezwungen werden, für verantwortungsvolle Arbeiten einigermaßen auskömmliche Löhne und Gehälter zu zahlen. Jedoch: Große Sprünge kann Matthias Herzog mit seinem Gehalt trotzdem nicht machen, im Gegenteil. Auf seiner Nettoabrechnung steht so wenig, dass er Aufstocker ist. Soll heißen: Das Jobcenter Bremen zahlt ihm zusätzlich zum Gehalt Geld zum Leben.

Bremen geht voran

Damit gehört der Logistiker zu jenen bundesweit rund vier Millionen Menschen, die in der Arbeitslosenstatistik als „erwerbstätige Arbeitslosengeld II-Bezieher“ oder „Ergänzer“ geführt werden. An eine auskömmliche Altersversorgung braucht Matthias Herzog dabei erst gar nicht zu denken. „Wie soll ich dafür etwas tun, wenn ich nicht einmal genug Geld für meinen Lebensunterhalt verdiene?“, fragt er ein wenig verbittert.

Diesen Missstand möchten weder die Bremer SPD noch Bürgermeister Carsten Sieling weiter akzeptieren. Deshalb hat er bereits beim Nominierungsparteitag Mitte September vergangenen Jahres einen Vorstoß in Richtung eines höheren Mindestlohns gemacht. Der Bürgermeister des kleinsten Bundeslandes und seine Partei fordern „10,93 Euro je Zeitstunde“. So steht es in einem sozialdemokratischen Bürgerschaftsantrag vom November 2018 zur Änderung des Bremer Landesmindestlohn-Gesetzes. Weiter heißt es: „Die Höhe des Mindestlohns entspricht der jeweils geltenden Höhe des Stundenentgeltes gemäß der Entgeltgruppe 1, Stufe 4 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) bei voller Wochenstundenzahl.“

Thema der SPD im Wahlkampf

Mit diesem Vorstoß übernehme Bremen wie schon im Jahr 2012 wieder eine Vorreiterrolle, hebt Sieling gegenüber dem „vorwärts“ hervor. Um sich nicht nur vom Jobcenter unterstützen lassen zu müssen, sondern darüber hinaus eine auskömmliche Rente zu bekommen, sei es notwendig, den Mindestlohn entsprechend zu erhöhen. Experten hätten ausgerechnet, „dass wir uns in Richtung zwölf Euro bewegen“, sagt Bremens Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 26. Mai. Er skizziert den einfachsten Weg: „Wir hängen uns an die  Tarifvertragsverhältnisse.“ Sybille Böschen, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion, springt Sieling zur Seite: „Wer zum Landesmindestlohn arbeitet, soll künftig nicht mehr gezwungen sein, zusätzlich zum Amt zu gehen und aufzustocken, weil das Geld aus dem Vollzeitjob einfach nicht zum Leben reicht.“

Gelten soll der Bremer Landesmindestlohn nach dem Willen von Sieling und der SPD im ersten Schritt für Menschen aus den Behörden, Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) sowie kommunalen und landeseigenen Unternehmen. Darunter fallen unter anderem beispielsweise die kommunale Krankenhausgesellschaft Gesundheit Nord und Immobilien Bremen. Letztere ist eine AöR und kümmert sich um Gebäude und Grundstücke im Besitz der Stadtgemeinde Bremen.

Kein Auftrag des Landes ohne Mindestlohn

Hinzu kommen private Unternehmen: Erbringen sie Dienstleistungen im Auftrag des Landes Bremen beziehungsweise der beiden Städte Bremen und Bremerhaven, müssen sie nachweisen, dass ihre Mitarbeiter den höheren Landesmindestlohn bekommen. Dafür muss allerdings das Bremische Landesvergabegesetz geändert werden.

Ob und wann der höhere Landesmindestlohn kommt, ist zurzeit noch nicht klar. Die Bürgerschaft hat ihn in den Verwaltungsausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Häfen überwiesen. Dort soll er noch im März beraten werden. Sieling will den höheren Mindestlohn auf jeden Fall noch in dieser Wahlperiode verabschieden. Sollte es nicht dazu kommen, werbe die SPD mit dem Thema um Wählerstimmen. „Es steht in unserem Wahlprogramm“, sagt er.

Berlin und Hamburg folgen

Parallel zu Bremen arbeiten die beiden anderen Stadtstaaten Hamburg und Berlin an ihren jeweils eigenen Mindestlohngesetzen. Nach Auskunft von Sieling bewegt sich die Hauptstadt in Richtung 11,30 Euro und verfolgt ein ähnliches Modell wie die Bremer. In Hamburg sollen zwölf Euro gelten, aber nur für den öffentlichen Dienst und alle Hamburgischen Beteiligungen.

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Kommentare

Mindestlohn Brandenburg

Brandenburg ist bereits dabei, seinen Mindestlohn für öffentliche Aufträge deutlich anzuheben - zum April von neun auf 10,50 Euro und noch einmal auf 10,68 Euro ab Januar 2020. Das Ziel bleibt ein bundesweiter flächendeckender Mindestlohn von 12 Euro oder mehr. Weitere Infos: https://www.spd-fraktion-brandenburg.de/helmut-barthel-zur-geplanten-aen...

Guter Lohn für Gute Arbeit

Der parteiinterne Überbietungswettbewerb muss dahingehend aufhören, als dass vom Auftragsverfahren her regelmäßig vergessen wird, einen irgendwie gearteten Mindestlohn auch Subunternehmen und deren Subunternehmen aufzuerlegen. Konkret darf es bei öffentlichen Vergaben keine Subunternehmensebenen geben. Die Unternehmen müssen sich alternativ als Konsortien bewerben. Auch muss sich der Mindestlohn auf die Höhe erstrecken, die dazu führt, dass eine Person nach 35 Lebensarbeitszeit im Alter über der Grundsicherung respektive Grundrente liegt. Und das ist deutlich über den bisher gehandelten Zahlen und vor allen Dingen bundesweit. Die SPD ist hier gut beraten national einheitlich aufzutreten und sich nicht im Wahlkampf im föderalen Klein-Klein zu verheddern. Vor allen Dingen stehen die Wähler[innen] den mathematischen Eckrenten bei 45 Beitragsjahren völlig hilflos entgegen, von unauskömmlicher Teilzeit ganz zu schweigen. Solange die SPD sich bundesweit wie föderal nicht zur Vollzeit als Standardarbeitsvertrag bekennt und somit Teilzeit auch in Leiharbeit massiv begrenzt, wird im Namen unternehmerischer Freiheit weiterhin ein wesentlicher Teil der Bevölkerung strukturell diskriminiert.