Reiche in Frankreich sollen mehr Steuern zahlen, die Mittelschicht soll geschont werden. Diese Zielvorgabe hat der neue französische Präsident Francois Hollande seiner Regierung gegeben. Nach einer Klausurtagung unter Premier Jean-Marc Ayrault will der Sozialist das Haushaltsdefizit auf 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und auf 3 % im nächsten Jahr trimmen. Konsolidierung der Staatsfinanzen und Sanierung der Wirtschaft sind vorrangige Aufgaben in Paris.
Bevor die Franzosen die ersten Grausamkeiten einer strengeren Steuerpolitik spüren, arbeiten die Sozialisten erst einmal die Liste der Wahlversprechen ab. Die 38 Minister verzichten auf ein Drittel ihrer Bezüge. Ihre Ämter müssen global 10 % Ausgaben einsparen; Ausnahmen sind die Ressorts Inneres, Bildung, Justiz und Polizei. Das Renteneintrittsalter wurde auf 60 (Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy hatte es auf 62 heraufgesetzt) für jene Franzosen reduziert, die im Alter von unter 20 Jahren in den Arbeitsprozess eintraten und voll eingezahlt haben. Das soll jährlich etwa 20 000 betreffen. Der garantierte Mindestlohn in der Industrie steigt um 2 %, was etwa 20 bis 25 Euro monatlich für 2 Millionen Empfänger ausmache. Wer mehr als 1 Million im Jahr verdient, zahlt auf das Mehreinkommen 75 % Steuer. Die Mittelsicht werde nicht zur Kasse gebeten, versprach Hollande.
Kassensturz mit Überraschungen
Ob Hollande das Versprechen einhalten kann, wird sich zeigen. Die Regierung muss erst einmal 7 bis 10 Milliarden Euro zur Deckung des Haushalts aufbringen. Milliardenschulden und Defizite drücken auf die Staatsausgaben. In ein paar Tagen legt der Rechnungshof seine Untersuchung über die Lage der Öffentlichen Finanzen vor, die Francois Hollande angefordert hat. Dann würde klar, welche Privilegien der konservative Sarkozy den Reichen in Frankreich eingeräumt hat.
Fachleute sprechen von einem Steuerausfall schon im Wahljahr 2007 von 3 Milliarden Euro. Der Fall der reichsten Französin, der L`Oréal-Erbin Liliane Bettencourt, zeigt grell die schreiende Ungerechtigkeit des Steuersystems. Die Dame, die Millionen in der Schweiz gebunkert hatte und Sarkozy Wahlgelder bereit gestellt haben soll, erhielt vor zwei Jahren eine Steuerückzahlung von 30 Millionen Euro!
Hollande ist gezwungen, die Vermögenssteuer zu erhöhen. Sie wird 2 Milliarden in die Kasse spülen. Der Wegfall von Abschreibungen von Sozialabgaben würde mit 1 Milliarde zu Buche schlagen. Ob die Einkommenssteuer schon im Haushalt 2013 heraufgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Hollande wird darauf nicht verzichten können.
Auch an der Schraube der Mehrwertsteuer wird derzeit gedreht. Die Dividenden der Unternehmen für ihre Aktionäre will die Regierung mit 3 % versteuern, ergibt 800 Millionen für den Staatssäckel. Weiter ist die Regierung dabei, Steuernischen, Freibeträge und Abschreibungen zu kappen. Dazu gehören auch Privilegien für Journalisten in Frankreich, die bisher unter allen Regierungen geschont wurden. Man sieht: Grausamkeiten sind in der Pipeline.
Wie 20 000 Superreiche profitierten
Dass die Franzosen den Gürtel enger schnallen müssen, begeistert sie überhaupt nicht. Von Grausamkeiten war bisher nur am Rande wirtschaftlicher Wahldebatten die Rede. Die Vokabel Austerity-Politik nimmt Hollande nicht in den Mund. Vor allem eine Rezession will er verhindern. Allerdings kann er seinen Landsleuten einiges zumuten, denn in den fünf Jahren der Sarkozy-Herrschaft ist die Einkommenssteuer nicht ein einziges Mal erhöht worden. Über 20 000 Superreiche profitierten derweil von der liberalen Wirtschaftspolitik. In dieser Zeit investierten die Unternehmen relativ wenig. Kein Experte stellt in Abrede, dass Frankreich in den letzten 10 Jahren über 700 000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren hat.
Ein Konzept gegen die Arbeitslosigkeit (derzeit 10 %) ist erst in groben Linien erkennbar. Hollande hat versprochen, sich besonders um junge Menschen, die weder eine Ausbildung noch einen Job haben, zu kümmern. Eine Task Force gegen die Malaise und Misere der Banlieue-Jugend soll in Vorbereitung sein.
Hollande und Ayrault müssen sich beeilen. In den Vorstädten hat die Regierung schon an Prestige eingebüßt – obwohl sie erst vor wenigen Wochen vor Ort die Arbeit aufgenommen hat. Das Meinungsforschungsinstitut IFOP meldete im Mai 61% Popularität für den Präsidenten, 59 % sind es im Juni. Nun wird bekannt, dass die neue Regierung für das Budget 2013 über 20 Milliarden Euro benötigt. Drastische Sparpläne soll es nicht geben, hört man aus dem Elysée. Aber die Grande Nation kann in einem Meer der Krisengeschüttelten keine Insel der Geretteten sein.