vorwärts: Frank-Walter Steinmeier, nach Monaten schlechter Umfragen nun wieder Wahlsiege der SPD und krachende Niederlagen für die CDU: Wie läuft der Wahlkampf mit dem neuen
Rückenwind?
Steinmeier: Das war ein wichtiges Signal für uns: Sozialdemokraten können gewinnen, Schwarz-Gelb wird nicht gewollt. In Thüringen und im Saarland wird die SPD regieren, die CDU ist zweimal
eingebrochen. Und in NRW haben wir Köln, Essen und Bielefeld von der CDU zurückgeholt. Der Wahlkampf läuft bestens: Beim Auftakt in Hannover Ende August waren 8000 Menschen, und überall spreche
ich vor vollen Marktplätzen. In Köln war die Stimmung sensationell. Wo ich hinkomme, Interesse, Zuspruch und Begeisterung. Das zeigt: Die SPD ist zurück! Zeigen wir's all denen, die uns
weismachen wollen, die Wahl sei gelaufen!
Die Wahlen am 30. August haben gezeigt: Die Menschen entscheiden immer später, ob und wen sie wählen. Und Wahlkämpfe können ihre Entscheidungen verändern. Was bedeutet das für den
Wahlkampf der SPD?
Das bedeutet als Erstes, dass wir uns von schlechten Umfragen nicht entmutigen lassen dürfen. Schon 2002 und 2005 hatte man uns abgeschrieben - zu Unrecht. Ich mache in diesem Monat jeden
Tag zwei, drei Kundgebungen irgendwo in Deutschland. Ich werde bis zuletzt um jede Stimme kämpfen. Und ich weiß, dass unsere Mitglieder auch bis zur letzten Minute auf den Beinen sein werden. Die
Union duckt sich weg, sollen sie doch. Wenn wir auf unsere Inhalte und Argumente setzen, dann werden das die Bürger auch honorieren - und uns die Stimme geben, weil wir die Menschen ernst nehmen,
das Gespräch suchen und erklären, welche Politik unser Land im nächsten Jahrzehnt braucht.
Die CDU verweigert nach wie vor die inhaltliche Auseinandersetzung. Jetzt setzt sie auf die alte Rote-Socken-Kampagne. Wie reagiert die SPD?
Gelassen und entspannt. Das kennen wir doch aus früheren Jahren. Solche Kampagnen sind so alt wie miefige Tennissocken. Denn alle wissen: Eine Regierungs-Zusammenarbeit mit der Linken wird
es in der nächsten Wahlperiode im Bundestag nicht geben. Das haben wir einstimmig mit dem Wahlprogramm beschlossen. Dafür gibt es gute Gründe: Sie ist nicht regierungsfähig, denn sie hat keine
Lösungen zu bieten. Die Linke ist populistisch und anti-europäisch.
Die SPD hat in der Bundesregierung dafür gesorgt, dass wir sicher durch die Weltwirtschaftskrise kommen: Konjunkturprogramm, Abwrackprämie, Verlängerung des Arbeitslosengeldes - alles
Ideen der SPD. Warum kommt das beim Wähler nicht an?
Die Menschen merken schon, wer Ideenmotor der Großen Koalition war. Aber wir haben es mit der "Ich auch"-Kanzlerin zu tun: Wann immer jemand eine Erfolg versprechende Idee hat, sagt Angela
Merkel: "Ich auch". Das mag geschickt erscheinen, ist aber völlig substanzlos. Aber eins ist auch klar: Kommt es zu Schwarz-Gelb und fordert die FDP Sozialabbau und Steuersenkungen für Reiche,
wird Frau Merkel wieder laut Ja rufen. Das müssen wir den Menschen klar machen: Sozial bleibt Deutschland nur, wenn die SPD stark ist!
Die SPD kämpft - mit Erfolg - für Mindestlöhne, für die Mitbestimmung, für den Kündigungsschutz, also für zentrale Forderungen der Gewerkschaften. Da überrascht es schon, wie wenig
Unterstützung die SPD in diesem Wahlkampf von Gewerkschaftsseite bekommt.
Ich stehe mit unseren Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften in ständigem Austausch. Viele Betriebsräte unterstützen mich und die SPD. Auch die Gewerkschaften wissen, was
Schwarz-Gelb bedeuten würde: weniger Kündigungsschutz, Aufweichung der Flächentarifverträge, Steuersenkungen für die da oben, Zwei-Klassen-Medizin, Rücknahme von Mindestlöhnen. Deswegen warnen
immer mehr Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften vor Schwarz-Gelb.
Angela Merkel sagt, wenn Frauen mehr Lohn wollen, sollen sie doch zum Chef gehen. Du dagegen willst mit verbindlichen Regeln dafür sorgen, dass Frauen gleiche Löhne und mehr
Führungspositionen bekommen. Wie kommt das im Wahlkampf an?
Das war eine entlarvende Aussage von Frau Merkel. Statt Frauenrechte zu fördern, sagt sie den Frauen in diesem Land: Geht doch zum Chef betteln. Ich will, dass Frauen für gleiche Arbeit den
gleichen Lohn bekommen. Und ich will, dass 40 Prozent der Aufsichtsräte Frauen sind. Die führenden Frauen in der Wirtschaft, die es heute schon gibt, finden das richtig. Viele Frauensagen mir:
Ja, wir brauchen Regeln für echte Gleichstellung, denn ohne sie kämpfen wir noch Jahrzehnte weiter.
Union und FDP setzen im Wahlkampf auf Steuersenkungen, die ihnen kein Mensch glaubt. Was setzt die SPD dagegen?
Nur das, was wir auch halten können. Steuersenkungen können wir uns im Moment nicht leisten, das weiß jeder, der rechnen kann. Aber wir wollen nicht alles lassen, wie es ist. Wir werden
kleinere und mittlere Einkommen entlasten. Den Eingangssteuersatz wollen wir auf zehn Prozent senken. Und wir wollen, dass Spitzenverdiener zwei Prozent mehr Einkommenssteuer zahlen. Dieses Geld
soll in bessere Bildung fließen. Die Wahl ist klar: Steuern runter für Reiche mit Schwarz-Gelb, also Umverteilung von unten nach oben, oder faire Verteilung der Steuern mit uns.
In jedem Deiner Wahlkampfauftritte setzt Du Dich leidenschaftlich für eine Bildungsreform ein. Mit Heiko Maas und Christoph Matschie setzen sich nun auch erstmals zwei
Landesspitzenpolitiker für mehr Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik ein. Was will die SPD anders machen?
Bildung ist Ländersache, das ist wahr. Aber der Bund kann viele Dinge anstoßen. Seit 2003 unterstützt der Bund die Ganztagsbetreuung. Wir können auch darauf hinwirken, dass Bildung
kostenfrei bleibt, von der Kita bis zur Hochschule. Wir müssen mit den Ländern über die Rolle des Bundes reden. Bildung ist zu wichtig, als dass sie in Kompetenz-Streitereien verloren gehen darf.
Nur ein Beispiel: 70 000 Jugendliche verlassen jedes Jahr ohne Abschluss die Schule. Wir brauchen individuelle Angebote für Schüler, die zu scheitern drohen. Der Bund muss hier tätig werden und
die Zusammenarbeit mit den Ländern suchen.
Du forderst die Integration der Neubürger. Das Wort wird von vielen nicht gern gehört und als Zwangsgermanisierung missverstanden. Was meinst Du, wenn Du von Integration
sprichst?
Erfolgreiche Integration heißt für mich: Menschen aus Einwandererfamilien sind genauso erfolgreich wie Mitglieder aus Familien, die schon länger hier leben. Dafür ist es nötig, dass sie
Deutsch gut genug können, um hier zu lernen und zu arbeiten. Ihre Kultur müssen sie aber nicht aufgeben. Ich bin gern in Vierteln wie Berlin-Kreuzberg, wo das Leben bunt ist.
Mit der Bürgerversicherung für alle will die SPD Schluss machen mit der Zwei-Klassen-Medizin: hier die privaten, dort die gesetzlich Versicherten. Genau das will eine große Mehrheit der
Bürger auch. Müsste die SPD das im Wahlkampf nicht viel offensiver vertreten?
Ich höre oft von Bürgern ihren Ärger, wenn sie beim Arzt keinen Termin bekommen, ihr Nachbar mit der Privatversicherung aber sofort drankommt. Deshalb wollen wir ein Gesundheitswesen, das
alle gleich behandelt. Das vertreten wir auch. Für unsere Forderung nach einer Bürgerversicherung gibt es viel Zustimmung. Den Menschen ist klar: Mit Schwarz-Gelb würde es einen Kahlschlag in der
Gesundheitspolitik geben und eine Privatisierung des Krankheitsrisikos. Wer krank ist, müsste unter Schwarz-Gelb mehr privat dazu bezahlen. Das müssen wir verhindern.
Gorleben und Asse zeigen: Die Menschen werden über die tatsächlichen Risiken des Atommülls seit Jahren systematisch getäuscht - genau wie über die Störfälle in den Atomkraftwerken. Warum
attackiert die SPD diesen Skandal nicht deutlicher?
Ich bleibe dabei: Der Atomausstieg ist richtig, weil diese Technologie nicht sicher zu betreiben ist. Was wir in Krümmel, Asse und Gorleben in den letzten Monaten gesehen haben, bestätigt
unseren Kurs. Jetzt zeigt sich doch ganz deutlich, wie in der Atomindustrie die Dinge laufen. Die Regierung von Helmut Kohl hat Gutachter zu Gorleben politisch unter Druck gesetzt. Das muss man
sich mal vorstellen! Ich glaube nicht, dass Gorleben für eine weitere Erkundung infrage kommt. Wir sagen klar: Wer Schwarz-Gelb wählt, bekommt den Wiedereinstieg in die Atomenergie - mit noch
mehr Atommüll, noch mehr unsicheren Meilern und einer völlig ungeklärten Endlagerung.
Viele Punkte aus Deinem Deutschland-Plan haben durchaus Unterstützung erfahren. Sozialdemokraten im Wahlkampf wird aber oft entgegengehalten: "Ihr regiert seit
elf Jahren, warum kommt ihr jetzt mit diesem Plan, warum habt ihr ihn nicht längst umgesetzt?"
Für vieles von dem, was im Deutschland-Plan steht, haben wir in den letzten elf Jahren die Grundlagen gelegt. Dank unserer Politik ist Deutschland das Zentrum der ErneuerbarenEnergien. Dank
unserer Politik haben wir einen starken Mittelstand, der nicht in der Krise weggebrochen ist. Und dank unserer Politik haben wir leistungsstarke Forschungseinrichtungen. Der Deutschland-Plan
führt diese Stärken zusammen und zeigt, wie wir sie nutzen können, damit wieder Vollbeschäftigung herrscht in unserem Land.
Angela Merkel versucht weiter, die Bürger einzulullen und über ihre wahren Pläne im Unklaren zu lassen. Wie will der Kanzlerkandidat die Amtsinhaberin stellen?
Wir haben Konzepte vorgelegt. Die Bürger wissen, woran sie mit uns sind, worauf sie sich verlassen können. Frau Merkel schweigt bisher und verlässt sich auf Weichzeichner-Bilder und
Wellness-Rhetorik. Nur das Guttenberg-Papier war konkret: Steuersenkungen für Unternehmer, höhere Mehrwertsteuer, weniger Mitbestimmung. Aber das soll ja angeblich nur eine Ideensammlung sein.
Die Bürger merken doch: Da ist was faul. Warum sagt die Union den Menschen nicht, was sie tun wird? Ist doch klar: Die Union will verbergen, was wirklich auf die Menschen zukommt. Deswegen müssen
wir bis zum Wahlsonntag aufklären und den Bürgern sagen: SPD wählen, weil es nur mit uns sozialen Fortschritt gibt.