SPD-Opposition greift an

"Merkel hat kläglich versagt"

02. Juni 2010

Frank-Walter Steinmeier, vor wenigen Monaten war die SPD noch hoffnungslos abgeschlagen hinter der CDU. Mit der Landtagswahl in NRW ist man nun wieder auf Augenhöhe. Ist die SPD damit
heraus aus ihrem Tief oder ist es dafür noch zu früh?

Wir sind schneller wieder auf die Beine gekommen, als viele gedacht haben. Die neue Parteispitze um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles hat gute Arbeit geleistet. Und auch die
Bundestagsfraktion ist geschlossen und liefert kraftvolle Oppositionsarbeit ab. Aber machen wir uns nichts vor: Das katastrophale Auftreten der Bundesregierung hat sicher großen Anteil daran,
dass viele Wählerinnen und Wähler enttäuscht sind und manche sich schon die SPD zurückwünschen. Schwarz-Gelb fehlen Köpfe wie Peer Steinbrück oder Olaf Scholz, die Ideen hatten, mit denen man
dieses Land durch die Krise führen kann.



Erst die Banken-Krise, dann die Griechenland-Krise: Die Politik ist zum Spielball der Finanzmärkte geworden. Wie kann der Primat der Politik wiederhergestellt werden? Oder ist es dafür
angesichts der rasanten Globalisierung längst zu spät?

Natürlich ist es nicht zu spät. Aber die Rückeroberung politischer Spielräume erfordert Gestaltungswillen und Mut. Was wir jetzt bräuchten, wäre jemand an der Spitze dieses Landes, des
größten in Europa, der oder die sagt, wo es langgehen soll. Die Bundeskanzlerin hat in dieser Hinsicht in den letzten Wochen kläglich versagt. Wir müssen die Finanzmärkte wirksam regulieren und
dafür kämpfen. Konzepte liegen seit langem vor. Jetzt gilt es, international mit ganzer Kraft Überzeugungsarbeit zu leisten, Unterstützer und Verbündete zu sammeln. Stattdessen zuckt Frau Merkel
mit den Schultern und sagt: Was soll man machen?

Immer wieder scheitern die Versuche der Politik, Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen, an mangelnder internationaler Einigkeit. Was kann denn auf nationaler oder auf europäischer Ebene
getan werden, um den Primat der Politik über die Märkte wieder herzustellen?

Deutschland muss jetzt die Initiative für die spürbare Regulierung der Finanzmärkte ergreifen, von der ich eben sprach. Das ist nicht einfacher geworden, nachdem Frau Merkel unser Land
durch ihr Verhalten der letzten Wochen in Europa auf beispiellose Weise isoliert hat. Aber es ist unsere Verantwortung, als größtes europäisches Land und als führende Wirtschaftsnation gemeinsam
mit unseren europäischen Partnern voranzugehen. Drei Dinge sind notwendig. Erstens: Eine wirksame Kontrolle der Akteure auf den Finanzmärkten, also verschärfte Aufsichtsstrukturen, eine objektiv
und verantwortungsvoll handelnde Ratingagentur und wirksame Sanktionsinstrumente. Zweitens: Gefährliche und hochspekulative Finanzprodukte müssen verboten werden. Drittens: Die Finanzmärkte
müssen an den Kosten der Krise beteiligt werden. Deshalb brauchen wir die Finanztransaktionssteuer. Sie ist das richtige Instrument, weil sie dort ansetzt, wo die Spekulation stattfindet, und
weil sie weit mehr Geld in die Kasse spült als eine Bankenabgabe.

Bereits im letzten Bundestagswahlkampf hat die SPD eine Finanztransaktionssteuer gefordert. Mit ihr sollen gefährliche Spekulationen eingedämmt und die Kapitalmärkte an der Bewältigung
der von ihnen ausgelösten Krisen beteiligt werden. Nun will plötzlich auch Schwarz-Gelb diese Steuer. Ein Erfolg der SPD?

Ja. Wir haben dieses Thema immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dass sich Teile der Regierung jetzt bewegt haben, ist eine Folge unseres Drucks. Aber ich bleibe misstrauisch, dass
diese Ankündigung wirklich ernst gemeint ist und mit ganzer Kraft verfolgt wird.



In der Tat. Nicht wenige glauben, Schwarz-Gelb will die Finanztransaktionssteuer nicht wirklich, sondern nur eine Beruhigungspille für die aufgebrachten Bürger. Wie viel Druck kann die SPD
hier mit ihrem geplanten EU-Referendum aufbauen, damit aus den schönen Worten zur Finanzmarktregulierung auch Taten werden?

Frau Merkels Bekenntnis zur Transaktionssteuer war allenfalls halbherzig, und Herr Schäuble hat gleich hinzugefügt: Die kommt ja sowieso nicht. Deshalb wollten wir im Bundestag eine
verbindliche schriftliche Zusage der Koalition haben. Die gab es aber nicht. Und deshalb müssen wir weiter Druck aufbauen. Das EU-Referendum ist dafür ein gutes Druckmittel. Ich bin sicher, dass
die Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa dieses Anliegen massiv unterstützen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt zur Regulierung der Finanzmärkte: "Wir machen es, wenn es einen globalen Konsens gibt." Den wird es aber nicht geben. Sind die schönen Pläne
damit schon gescheitert?

Deutschland hatte seit Jahrzehnten keine so katastrophal schwache Regierung wie diese, und dies ist ein weiterer Beleg dafür. Niemand darf in einer so zentralen Frage den Kampf verweigern.
Genau das ist doch unsere Aufgabe: Für Mehrheiten streiten, um die Dinge zum Besseren zu verändern.



Peer Steinbrück hat als Bundesfinanzminister die ungedeckten Leerverkäufe an den Börsen verboten. Schäuble hat sie im Februar wieder erlaubt. Im Mai hat er sie eilig wieder verboten. Weiß
diese Regierung überhaupt noch was sie tut?

Dieses Hin und Her ist kein Zufall. Es zeigt, dass Schwarz-Gelb das Wesen dieser Krise nicht verstanden hat. Mit ihrem hilflosen Gewurstel verschärft die Regierung die Unsicherheit an den
Finanzmärkten und bei den Menschen. Viele haben inzwischen das Gefühl: Die Regierung hat die Lage nicht mehr richtig im Griff, und eine wachsende Zahl sagt: Die Politik insgesamt versagt. Das ist
ein Alarmzeichen für die Demokratie. Und darum müssen wir Sozialdemokraten erst recht zeigen, dass wir für die Regulierung der Finanzmärkte mit aller Kraft kämpfen.


Angela Merkel hat durch ihr Zögern in der Griechenland-Frage die Kosten für die Rettung nach oben getrieben, mittlerweile ist sie in Europa völlig isoliert. Wie lange kann sich
Deutschland als größtes EU-Land das leisten?

Wichtige Entscheidungen in Europa wurden bis vor wenigen Monaten nie ohne Deutschland getroffen und vorbereitet. Das hat sich verändert. Deutschland hat spürbar an Respekt und Einfluss
eingebüßt. Deutschland bürgt mit dreistelligen Milliardensummen für die Stabilität des Euro, und dennoch steht unser Land in Europa am Pranger. Ich hoffe sehr, dass Frau Merkel zur guten
Tradition ihrer Vorgänger Gerhard Schröder, Helmut Kohl und Helmut Schmidt zurückfindet. Die waren unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit immer Vorkämpfer für ein gemeinsames Europa.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich - wie zuvor bei den Griechenland-Hilfen - in der Bundestagsabstimmung über den Euro-Rettungsschirm enthalten. Warum?

Unsere Botschaft war ganz klar: Wir sind für Europa, wir müssen den Euro stabilisieren und unseren Nachbarn helfen. Deshalb sagen wir nicht Nein. Aber wir üben scharfe Kritik am
Krisenmanagement dieser Regierung und an ihrer mangelnden Bereitschaft, die Finanzmärkte als Verursacher dieser Krise an den Kosten zu beteiligen. Deshalb sagen wir nicht Ja zu den
Gesetzesvorschlägen der Regierung. Die Enthaltung war die logische Schlussfolgerung daraus.

In Brüssel wird nun eine Vertiefung der politischen Integration diskutiert, etwa eine gemeinsame Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik. Ist das die richtige Antwort auf die
Euro-Krise?

Das geht in die richtige Richtung. Eine gemeinsame Währung braucht Regeln, die auch kontrolliert werden; sie braucht einen koordinierten wirtschaftspolitischen Kurs und eine solide
Haushaltspolitik. Aber auch hier gilt: Deutschland muss sich in eine solche Koordinierung aktiv einmischen.



Noch mehr Kompetenzen nach Brüssel zu verlagern, wäre allerdings gegen den Willen einer großen Mehrheit der Bürger, in Deutschland wie in den anderen EU-Staaten. Kann die Politik das
ignorieren?

Das darf Politik nicht ignorieren. Im Gegenteil. Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst. Aber deshalb dürfen wir nicht die falsche Richtung einschlagen. Die Rückkehr zum Europa der
Nationalstaaten wäre verhängnisvoll. Europa kann im globalen Zeitalter nur noch gemeinsam handeln. Gerade Deutschland profitiert von der europäischen Einigung. Alle wissen, dass wir die
entfesselten Finanzmärkte in Europa nur gemeinsam wieder unter Kontrolle bekommen. Und genauso klar muss sein: Solidarität ist keine Einbahnstraße, auch nicht in der EU. Kein Land in Europa darf
sich auf Kosten anderer bereichern.



In der Debatte über eine Reform der EU-Politik steht ein europäischer Finanzausgleich. Deutschland wäre der Hauptzahler. Wie ist die Haltung der SPD zu einem solchen
Finanzausgleich?

Wenn künftig das Solidaritätsprinzip in der Euro-Zone ähnlich gelten soll wie im Finanzausgleich zwischen den 16 deutschen Bundesländern, dann muss das umfassende Konsequenzen haben. Die
Rahmenbedingungen in der Euro-Zone müssen sich stärker angleichen. Deutschland hat unter einer sozialdemokratischen Regierung viele schmerzhafte Reformen durchgesetzt, die unsere sozialen
Sicherungssysteme stabilisiert und den Haushalt fast ausgeglichen haben. Diese Leistung muss auch von anderen erwartet werden. Das erfordert aber Verhandlungsgeschick und kluge Diplomatie. Wer
wie die Kanzlerin Deutschland in Europa isoliert, darf sich nicht wundern, wenn am Ende andere zu unseren Lasten entscheiden.

Nachdem Schwarz-Gelb die Bundestagswahl mit Steuersenkungsversprechen gewonnen hat, sind die nun gestrichen. Stattdessen kündigt die Regierung ein gewaltiges Sparpaket an. Früher hätte
man so etwas schlicht Wahlbetrug genannt. Die Opposition thematisiert das aber kaum. Warum?

Wir waren in den letzten Wochen und Monaten als Opposition im Bundestag deutlich hörbar. Und wir werden es auch bleiben. Die Menschen wissen nach meiner Beobachtung ganz genau, wie sehr FDP
und Union sie getäuscht haben. Eine erste Quittung hat Schwarz-Gelb dafür in Nordrhein-Westfalen erhalten. Die Steuersenkung wird auch nicht das letzte Versprechen sein, das diese Regierung
bricht.



Nach der NRW-Wahl hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr im Bundesrat: weder für die Kopfpauschale, noch für die Verlängerung der Atomlaufzeiten. Deshalb behauptet die Union jetzt, sie
brauche gar keine Zustimmung des Bundesrates für längere Atomlaufzeiten. Was kann die SPD dagegen unternehmen?

Die Aufkündigung des Atomkonsenses durch Schwarz-Gelb ist ein fataler Fehler. Aus ideologischen Gründen wird einer unverantwortlichen, überholten Technologie der Vorzug gegeben vor dem
schnellen Ausbau erneuerbarer Energien. Wir werden dies mit allen politischen und rechtlichen Mitteln aufhalten. Wenn es notwendig ist, auch mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht.

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