
Es ist auf den ersten Blick ein Widerspruch: Menschen mit Migrationshintergrund sind einer Umfrage zufolge seltener geimpft als Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Differenz liegt bei rund acht Prozent. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung im Auftrag des Robert-Koch-Instituts (RKI): Unter den Ungeimpften haben diejenigen mit Migrationshintergrund eine höhere Bereitschaft das zu ändern.
Woran das liegen kann, dafür liefert die Auswertung der Umfrage einige Antworten. „Sozioökonomische Merkmale (Bildung und Einkommen) und das Alter können zum Teil die geringere Impfquote unter den Menschen mit Migrationsgeschichte erklären“, lautet eine der Schlussfolgerungen der Befragung. Denn die Migrationsgeschichte allein als Faktor kann den Unterschied den Autor*innen zufolge nicht erklären. Hinzu kämen Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitsbereich sowie Sprachbarrieren, die den Zugang zu den Impfungen erschwerten. Je besser die Deutschkenntnisse, desto höher auch die Impfquote, so das Fazit des neunten Reports des „Covid-19-Impfquotenmonitoring“ des RKI (Covimo).
Migrationshintergrund nicht der entscheidende Faktor
Die Schlussfolgerung deckt sich mit den Erfahrungen der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. „Wir wissen, dass der sozioökonomische Status eine große Rolle spielt“, erklärte Reem Alabali-Radovan (SPD) im ARD-Morgenmagazin am Donnerstag. „Wir wissen, dass es Hürden gibt bei dem sprachlichen Zugang.“ Ihr Lösungsansatz, um die Menschen trotzdem zu erreichen und die Impfquote zu erhöhen: aufsuchende Impf- und Beratungsangebote, eine Impfkampagne, die die Menschen in ihrer Mutter-Sprache erreicht. „Deswegen stellen wir Infos in 23 Sprachen zur Verfügung.“ Außerdem setzt Alabali-Radovan auf die Ansprache lokaler Autoritäten, um die Menschen vor Ort besser zu erreichen – beispielsweise Imame, Vorsteher von islamischen Religionsgemeinschaften.
Gleichzeitig weist die Integrationsbeauftragte aber darauf hin, dass der Teil der Gesellschaft mit Migrationsgeschichte nicht der einzige Teil der Bevölkerung mit einer geringeren Impfquote ist. In Bundesländern wie Thüringen, Sachsen oder Brandenburg sei die Impfquote gering, dort lebten aber vergleichsweise wenige Menschen mit Migrationshintergrund. „In Bremen leben sehr viele mit Einwanderungsgeschichte und Bremen hat die höchste Impfquote. Wir sehen also: Wir müssen genau hinschauen.“
Impfangebote: Vor Ort und in eigener Sprache
Um möglichst alle Menschen zu erreichen, bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, das betont auch Alabali-Radovan, Impfangebote etwa, bei denen Ärzte die Menschen direkt aufsuchen – sei es an ihrem Arbeitsplatz oder an ihrem Wohnort. Ein positives Beispiel hat die Sozialdemokratin in der vergangenen Woche in Berlin-Neukölln besucht, einem Stadtteil, in dem besonders viele Menschen mit ausländischen Wurzeln zuhause sind. „Dort gab es einen Infostand mit Ärztinnen und Ärzten, die auf arabisch, türkisch und deutsch aufgeklärt haben. Ich habe dort miterlebt, dass es noch genug Menschen gibt, die unsicher sind, die sich aber durch so ein Angebot überzeugen lassen.“
Sie zeigt sich optimistisch, dass die Neuaufstellung der Impfkampagne Wirkung entfaltet: „Ich achte darauf, dass wir auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte erreichen.“ Mit der aufsuchenden Beratung sieht die Integrationsbeauftragte die Kampagne auf einem guten Weg.
In einer besseren Beratung sieht auch der RKI-Report einen wirksamen Hebel für eine Verbesserung der Impfquote unter Menschen mit Migrationsgeschichte. Wissenschaftlicherin Elisa Wulkotte, eine der Autor*innen der Befragung, sagt dazu: „Eine zielgruppenspezifische Impfkampagne sollte sich vor allem an Personen mit wenig Deutschkenntnissen und an Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status richten.“ Ebenso sollte gegen Falschinformationen vorgegangen sowie Vertrauen in die Impfung aufgebaut werden, so die Schlussfolgerung der Gesundheitswissenschaftlerin. Es kursierten weiterhin zahlreiche Falschmeldungen und Fake News zu den Impfstoffen.
Bremen: Mit direkter Ansprache zum Impf-Erfolg
Wie das in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann, dafür gibt es Beispiele aus Bremen, dem Bundesland mit der höchsten Impfquote. „Wir haben sofort mit Beginn der Impfkampagne auch die peripheren Stadtteile aufgesucht, mit mobilen Impfteams und Impftruck“, kann Kay Bultmann berichten, Leiter der Impfkampagne in der Hansestadt Bremen. Aufgesucht wurden Menschen in ihren Wohnquartieren, aber auch bei der „Tafel“ und an anderen Orten. Nach Möglichkeit würden die Menschen in ihrer Muttersprache angesprochen, wie der Facharzt weiter berichtet: „Mittlerweile sind wir bei zwölf verschiedenen Sprachen.“ Erfolgreich seien auch Abendveranstaltungen vor Ort: „Die Impfbereitschaft ist in sozial benachteiligten Stadtteilen mit hohen Migrationsquoten nach unseren Aktionen deutlich besser geworden.“
Impfaktionen hat es sogar in Kooperation mit der Seemission in der Hafenstadt gegeben, wie Bultmann berichtet: „Da sind tatsächlich mehrere tausend Seeleute zusammegekommen, die wir geimpft haben.“ Egal welcher Nationalität: Man habe die Menschen mit Schutzimpfungen versorgen können.