Aufsuchende Beratung

Warum Menschen mit Migrationshintergrund andere Impfangebote brauchen

Benedikt Dittrich03. Februar 2022
Zu Besuch bei einer Impfaktion in den Neuköllner Arkaden: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan.
Zu Besuch bei einer Impfaktion in den Neuköllner Arkaden: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan.
Menschen mit Migrationshintergrund sind seltener gegen Corona geimpft, belegt eine Befragung für das Robert-Koch-Institut. Wie man das ändern kann, weiß die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan. Erfolgreiches Beispiel: die Stadt Bremen

Es ist auf den ersten Blick ein Widerspruch: Menschen mit Migrationshintergrund sind einer Umfrage zufolge seltener geimpft als Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Differenz liegt bei rund acht Prozent. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung im Auftrag des Robert-Koch-Instituts (RKI): Unter den Ungeimpften haben diejenigen mit Migrationshintergrund eine höhere Bereitschaft das zu ändern.

Woran das liegen kann, dafür liefert die Auswertung der Umfrage einige Antworten. „Sozioökonomische Merkmale (Bildung und Einkommen) und das Alter können zum Teil die geringere Impfquote unter den Menschen mit Migrationsgeschichte erklären“, lautet eine der Schlussfolgerungen der Befragung. Denn die Migrationsgeschichte allein als Faktor kann den Unterschied den Autor*innen zufolge nicht erklären. Hinzu kämen Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitsbereich sowie Sprachbarrieren, die den Zugang zu den Impfungen erschwerten. Je besser die Deutschkenntnisse, desto höher auch die Impfquote, so das Fazit des neunten Reports des „Covid-19-Impfquotenmonitoring“ des RKI (Covimo).

Migrationshintergrund nicht der entscheidende Faktor

Die Schlussfolgerung deckt sich mit den Erfahrungen der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. „Wir wissen, dass der sozioökonomische Status eine große Rolle spielt“, erklärte Reem Alabali-Radovan (SPD) im ARD-Morgenmagazin am Donnerstag. „Wir wissen, dass es Hürden gibt bei dem sprachlichen Zugang.“ Ihr Lösungsansatz, um die Menschen trotzdem zu erreichen und die Impfquote zu erhöhen: aufsuchende Impf- und Beratungsangebote, eine Impfkampagne, die die Menschen in ihrer Mutter-Sprache erreicht. „Deswegen stellen wir Infos in 23 Sprachen zur Verfügung.“ Außerdem setzt Alabali-Radovan auf die Ansprache lokaler Autoritäten, um die Menschen vor Ort besser zu erreichen – beispielsweise Imame, Vorsteher von islamischen Religionsgemeinschaften.

Gleichzeitig weist die Integrationsbeauftragte aber darauf hin, dass der Teil der Gesellschaft mit Migrationsgeschichte nicht der einzige Teil der Bevölkerung mit einer geringeren Impfquote ist. In Bundesländern wie Thüringen, Sachsen oder Brandenburg sei die Impfquote gering, dort lebten aber vergleichsweise wenige Menschen mit Migrationshintergrund. „In Bremen leben sehr viele mit Einwanderungsgeschichte und Bremen hat die höchste Impfquote. Wir sehen also: Wir müssen genau hinschauen.“

Impfangebote: Vor Ort und in eigener Sprache

Um möglichst alle Menschen zu erreichen, bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, das betont auch Alabali-Radovan, Impfangebote etwa, bei denen Ärzte die Menschen direkt aufsuchen – sei es an ihrem Arbeitsplatz oder an ihrem Wohnort. Ein positives Beispiel hat die Sozialdemokratin in der vergangenen Woche in Berlin-Neukölln besucht, einem Stadtteil, in dem besonders viele Menschen mit ausländischen Wurzeln zuhause sind. „Dort gab es einen Infostand mit Ärztinnen und Ärzten, die auf arabisch, türkisch und deutsch aufgeklärt haben. Ich habe dort miterlebt, dass es noch genug Menschen gibt, die unsicher sind, die sich aber durch so ein Angebot überzeugen lassen.“

Sie zeigt sich optimistisch, dass die Neuaufstellung der Impfkampagne Wirkung entfaltet: „Ich achte darauf, dass wir auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte erreichen.“ Mit der aufsuchenden Beratung sieht die Integrationsbeauftragte die Kampagne auf einem guten Weg.

In einer besseren Beratung sieht auch der RKI-Report einen wirksamen Hebel für eine Verbesserung der Impfquote unter Menschen mit Migrationsgeschichte. Wissenschaftlicherin Elisa Wulkotte, eine der Autor*innen der Befragung, sagt dazu: „Eine zielgruppenspezifische Impfkampagne sollte sich vor allem an Personen mit wenig Deutschkenntnissen und an Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status richten.“ Ebenso sollte gegen Falschinformationen vorgegangen sowie Vertrauen in die Impfung aufgebaut werden, so die Schlussfolgerung der Gesundheitswissenschaftlerin. Es kursierten weiterhin zahlreiche Falschmeldungen und Fake News zu den Impfstoffen.

Bremen: Mit direkter Ansprache zum Impf-Erfolg

Wie das in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann, dafür gibt es Beispiele aus Bremen, dem Bundesland mit der höchsten Impfquote. „Wir haben sofort mit Beginn der Impfkampagne auch die peripheren Stadtteile aufgesucht, mit mobilen Impfteams und Impftruck“, kann Kay Bultmann berichten, Leiter der Impfkampagne in der Hansestadt Bremen. Aufgesucht wurden Menschen in ihren Wohnquartieren, aber auch bei der „Tafel“ und an anderen Orten. Nach Möglichkeit würden die Menschen in ihrer Muttersprache angesprochen, wie der Facharzt weiter berichtet: „Mittlerweile sind wir bei zwölf verschiedenen Sprachen.“ Erfolgreich seien auch Abendveranstaltungen vor Ort: „Die Impfbereitschaft ist in sozial benachteiligten Stadtteilen mit hohen Migrationsquoten nach unseren Aktionen deutlich besser geworden.“

Impfaktionen hat es sogar in Kooperation mit der Seemission in der Hafenstadt gegeben, wie Bultmann berichtet: „Da sind tatsächlich mehrere tausend Seeleute zusammegekommen, die wir geimpft haben.“ Egal welcher Nationalität: Man habe die Menschen mit Schutzimpfungen versorgen können.

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Kommentare

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Bürgernah

Dieser Artikel mit seiner Analyse und den daraus zu ziehenden Konsequenzen hätte schon vor einem Jahr erscheinen sollen. Zu oft werden Menschen mit Migrationshintergrund noch von der offiziellen Politik "vergessen", und wenn sich dann in diesen Communities die Pandemie besonders ausbreitet ist das dann ein gefundenes Fressen für die ..... .

Einerseits völlig richtig,

dass in diesen Bevölkerungsschichten die dortigen Herrschaftsstrukturen einbezogen werden müssen, hier bezeichnet als
"Ansprache lokaler Autoritäten"
Damit geht die Anerkennung der Parallelstrukturen einher, es gibt einen, oder mehrere Staaten im Staate, und die Angehörigen der anderen Staaten erkennen die BRD nicht an- jedenfalls nicht, solange es um Pflichten geht. das ist ein großes Problem. Hier aber muss pragmatisch gehandelt werden. Die BRD- in Gestalt der lokalen Gesundheitsbehörden, muss mit denen ins Gespräch kommen, die in einer der Parallelgesellschaften "das Sagen " haben", denn das Virus macht ja keinen Unterschied in Bezug auf die Staatsangehörigkeiten. Völlig richtig daher, auf den weg zu verweisen, den Bremen hier erfolgreich geht. Vielleicht ermöglichen die Kontakte und die sich entwickelnden multilateralen Beziehungen zwischen den hier lebenden Gesellschaften dann ja auch positive Entwicklungen jenseits der Pandemiebekämpfung. Ein sehr guter Artikel zu einem wichtigen Thema

Pferdefuss mRNA "Einwilligungen"

Dann wollen wir mal hoffen, das auch die bei der Einspritzung der politisch gewollten mRNA Substanzen eingeforderten "Einwilligungs"formblätter entsprechend in der jeweiligen Sprache vorliegen.
Bei Interesse möge sich jeder auf der Homepage eines Spritzzentrums eigener Wahl oben genannte Erklärungen herunterladen und durchlesen. Ist interessant.

Merkwürdigerweise bekommt man bei einer Verabreichung von z.B. J&J lediglich den üblichen Nebenwirkungsmerkzettel der wortgleich mit dem der Grippeimpfung ist.
Anschließend wirds dann interessant wenn die behaupteten Wirksamkeitszeiträume bzw. politisch definierte Akzeptanz der Spritzung wieder willkürlich verkürzt wird...

alles wird man nicht

mit der gebotenen Deutlichkeit sagen können. Woher kommen die bei der Herstellung der Impfstoffe benötigten Eiweiße , aus menschlichen oder tierischen Quellen, und wenn tierisch, welcher Gattung sind sie entnommen. Da gibt es sehr naheliegende Organismen, die - solange sie klein sind, nicht nur sehr niedlich und interessiert an allem, sondern auch sehr gut verträglich sind bis hin zu den transplantierten Organen. Konkreter werden wir dann lieber nicht, und das ist, frei nach Wowereit, auch gut so.
Wir müssen bei aller zulässiger Kritik auch mal die Kirch im Dorf lassen, sonst kommen wir als Lebensgemeinschaft- also als Gemeinschaft aller sich hier aufhaltender Menschen- nie zu Potte