Jochen Steffens

Meister klarer Worte: Vor 100 Jahren wurde der „Rote Jochen“ geboren

Lothar Pollähne19. September 2022
Jochen Steffen: SPD-Politiker, Kabarettist, Norddeutscher.
Jochen Steffen: SPD-Politiker, Kabarettist, Norddeutscher.
Juso, Kabarettist, „Rampensau“ – der SPD-Politiker Jochen Steffen kann mit vielen Worten beschrieben werden. In der Politik blieb ihm die große Karriere verwehrt, dafür wurde ihm eine andere, seltene Ehre zuteil. Geboren wurde er 1922 in Kiel.

Der „Deutsche Kleinkunstpreis“ wird seit 1972 an Künstler*innen verliehen, die sich durch Originalität, Kreativität, handwerkliche Qualität, Wirkungsgrad und Variabilität auszeichnen. Zu den Preisträger*innen gehören so illustre Kabarettist*innen wie Hans Dieter Hüsch und Dieter Hildebrandt. 1978 wird — für die geneigte Öffentlichkeit überraschend — Jochen Steffen geehrt, ein ehemaliger Politiker.

In seiner Laudatio erklärt Hans Dieter Hüsch die Beweggründe für die Preisverleihung: „Mit seiner Kunstfigur Kuddl Schnööf und dessen Familie erklärt Steffen die komplizierten Zusammenhänge der Politik auf raffiniert einfache, hintersinnige Art. Es ist der geglückte Versuch, mit komödiantischen Mitteln, Politik in ihren Konsequenzen dort leibhaftig und sichtbar zu machen, wo sie ertragen wird, und gleichzeitig Alternativen zur Problembewältigung aufzuzeigen.“ Jochen Steffen hat sich das Kabarett als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gewählt, und das kommt seinem Naturell als „Rampensau“ entgegen, das er seit seinen Anfängen als Juso in den 1950er Jahren pflegt.

Kieler mit „Kriegsabitur“

Geboren wird Karl Joachim Jürgen Steffen am 19. September 1922 in Kiel. Sein Vater ist Beamter, doch die Familie lebt zum Verdruss der Mutter in einem Arbeiterviertel, von der Mietersparnis kann jedoch das Schulgeld für den wissbegierigen Knaben bestritten werden. Jochen Steffen besucht ein Realgymnasium in Kiel und hat das Glück, einen Nazi-Gegner zum Schulleiter zu haben, mit dem er auf privaten Segel-Törns über Lenin und das Kommunistische Manifest diskutiert. 1941 macht Steffen sein „Kriegsabitur“ und wird zur Marine eingezogen. Sein Kompaniechef ist Helmut Lemke. Dem wird Jochen Steffen in seinem späteren, politischen Leben als Kontrahenten wieder begegnen.

1945 wird Jochen Steffen in Kiel zum Studium der Philosophie, Psychologie und Soziologie zugelassen. Er wird Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) und tritt 1946 in die SPD ein, was seine Mutter mit der Bemerkung quittiert haben soll, er sei nun in „Hein Butt sein Verein“. Das steht im ländlich geprägten Schleswig-Holstein für „Dorftrottel“.

Bereits 1948 wird Jochen Steffen in den Vorstand des SPD-Kreisverbands Kiel gewählt und erhält die Zuständigkeit für die „Jüngerenarbeit“. 1949 schließt er sein Studium ab, wird Assistent am „Institut für Wissenschaft und Geschichte der Politik“ an der Kieler Universität und schreib an seiner Doktorarbeit, die er jedoch nicht abschließt. Sein Co-Assistent ist Gerhard Stoltenberg. Auch ihm wird Jochen Steffen in seinem politischen Leben wieder begegnen.

Karriere mit Redetalent und Redeverbot

1954 wählen ihn die schleswig-holsteinischen Jusos zum Landesvorsitzenden. Jochen Steffen erweist sich als Meister der klaren Worte und versteht es zu polarisieren. So kritisiert er in seinem ersten Jahr als „Juso-Chef“ die Haltung der SPD in der Wiederbewaffnungsfrage und handelt sich prompt Redeverbot vom Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer ein. Seinen politischen Werdegang bremst dies jedoch nicht. Nach dem Ende seiner Assistententätigkeit versorgt ihn die SPD mit einem Redakteursposten bei der „Flensburger Presse“.

1958 wird Jochen Steffen zum ersten Mal in den Landtag von Schleswig-Holstein gewählt. 1960 wechselt er als Redakteur zur „Kieler Volkszeitung“. Hier entwickelt er seine Figur des Werftarbeiters „Kuddl Schnööf“, mit der er auf launige und „achtersinnige“ Weise die Politik erklärt.

Auf dem Landesparteitag der SPD wird Jochen Steffen im Mai 1965 zum Landesvorsitzenden gewählt und gerät wegen seiner ausgesprochen linken Positionen ins „Schussfeld“ der CDU und geneigter Medien, die versuchen, Steffen als „Radikalen“ zu brandmarken. Das ist noch nicht einmal falsch, denn der „rote Jochen“ versteht sich als „Radikaler“. Allerdings in anderem Sinne als die CDU ihn sieht. Er ist Humanist und Marxist, aber für den Kommunismus lenin’scher Prägung hat er wenig übrig. „Völker hört die Zentrale“, höhnt er gegen die Beton-Kommunisten. 

Opposition gegen früheren Kompaniechef Lemke

Zur Landtagswahl 1967 tritt Jochen Steffen zum ersten Mal als Spitzenkandidat der SPD an und gewinnt seinen Wahlkreis „Kiel-Ost“. Die SPD verliert jedoch trotz Stimmenzuwachses. Ministerpräsident wird Steffens ehemalige Kompaniechef, der zum Christdemokraten gewendete Helmut Lemke. Als Oppositionschef profiliert sich Steffen im Kieler Landtag als rhetorische „Rampensau“ und attackiert seine Gegner mit einer Mischung aus Wortwitz, Humor und Derbheit bis hin zur Beleidigung.

1971 kandidiert Jochen Steffen erneut für das Amt des Ministerpräsidenten, dieses Mal gegen seinen ehemaligen Assistentenkollegen Gerhard Stoltenberg. Vor allem die Springer-Presse sorgt dafür, dass Steffen unter der Gürtellinie angegriffen wird. So bezeichnet Herbert Kremp, Chefredakteur von Springers „Welt“, Jochen Steffen in einer Kolumne als „Ulbricht-Deutschen“ und „Bild“-Chefredakteur Peter Boenisch legt nach mit der Feststellung: „Jene Roten drüben, auf die kein Deutscher stolz sein kann, und unsere Roten wie Herr Steffen hüben — sie sind kein Spaß, sondern eine Gefahr dieser Gesellschaft“.

Ende der politischen Karriere auf der Hinterbank

Trotz dieser ultra-nationalistischen Anwürfe schlägt sich Jochen Steffen wacker, kann jedoch die absolute Mehrheit von Stoltenbergs CDU nicht verhindern. Auch in der SPD wird hinter vorgehaltener Hand geäußert, mit „links“ ließe sich in Schleswig-Holstein keine Wahl gewinnen. Das ist grob unfair, denn mit Jochen Steffen erreicht die SPD zum ersten Mal seit 1947 einen Stimmenanteil von 41 Prozent. Entnervt erklärt Steffen nach der Wahl: „Ich werde nicht mehr als Spitzenkandidat zur Landtagswahl zur Verfügung stehen und ich werde 1973 kein Bundestagsmandat anstreben.“ 

Im September 1977 gibt er — auf die Hinterbank zurückgezogen — sein Landtagsmandat auf und scheidet auch aus dem Parteivorstand aus. Jochen Steffen fühlt sich in seiner Partei nicht mehr wohl und denkt öffentlich über eine Partei links von der SPD nach. Fortan widmet er sich der Schriftstellerei und der kabarettistischen Arbeit mit „Kuddl Schnööf“.

1979 tritt Jochen Steffen aus der SPD aus und erklärt: „Den Austritt aus der Partei vollziehe ich in einer Mischung aus Erleichterung und wehmütiger Trauer“ und fügt hinzu: „Das ist kein Spaß. Aber es gibt einen Punkt, wo Selbstachtung und Treue zu freiwillig akzeptierten Prinzipien in der Person untrennbar verbunden den Schritt erfordern.“ Jochen Steffen stirbt am am 27. September 1987 in Kiel. Sein Grabstein befindet sich im Garten der Gustav-Heinemann-Stiftung in Bad Malente in Schleswig-Holstein.

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Kommentare

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Jochen Steffen

Er war ein aufrichtiger Genosse mit Format. Ich hatte das Glück, ihn in der Dortmunder Westfalenhalle im Rahmen eines Juso-Bundeskongresses zu erleben.

Da hat jeder Satz gesessen. Deshalb wurde er auch ständig angegriffen und konnte sich auch leider in der SPD nicht durchsetzen.

Glaubwürdig

für mich als Arbeiter auf der Schlichting-Werft in Travemünde war Jochen Steffen neben Günter Jansen einer der Gründe Mitglied der SPD zu werden, in der ich es allerdingst über 50 Jahre mal mit mehr, mal mit weniger Frust aushalte.

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