Neuere Studien zeichnen ein vielschichtiges Bild vom Stand der Integration in Deutschland. Auf einer Tagung der Ebert-Stiftung Ende April in Berlin wurden drei vorgestellt: Das
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung veröffentlichte Anfang 2009 die Studie "Ungenutzte Potenziale", die mit Indikatoren aus den Feldern Assimilation, Bildung, Erwerbsleben und
finanzielle Absicherung sowie dynamischen Indikatoren versuchte, Stand und Integrationsfortschritte der zweiten Generation zu messen.
Laut Dr. Reiner Klingholz zeigt die Studie, wie stark der Grad der Integration nach Land und Stadt, ethnischer Gruppe und Geschlecht differiert. Klares Ergebnis war auch, dass die Türken die
am wenigsten integrierte Gruppe sind, ein Befund, der von einer Studie des Bundesinnenministeriums gerade bestätigt wurde. Umstritten war, ob dies an der mangelnden Bereitschaft oder zu geringen
Integrationsangeboten liegt. Unstrittig blieb, das "Ziel von Integration die gleiche Verteilung gleichwertiger Lebenschancen auf Mehrheit und Minderheit sein muss" (Klingholz).
Lebenswelten
Jenseits einzelner Migrantengruppen untersuchte das Heidelberger Sinus-Institut v.a. Lebenswelten und -stil von Migranten. Dabei wird die Alltagsrealität darauf untersucht, welche soziale Lage
die Migranten haben, wie sie leben, über welche Resourcen sie verfügen und welche Ziele sie haben. Dabei traten laut Dr. Wippermann v.a. fünf Milieus hervor: ein schrumpfendes
vormodern-religiöses, ein ethnisch-traditionelles (man versteht sich als Dauergast), ein konsumistisch-materialistisches (hier herrscht Besitzstreben vor), ein individualistisches (selbstbewusst
gelebte Bikulturalität) und schließlich ein multioptionales Milieu, das beide Lebensweisen selbstverständlich nutzt und sich integriert sieht.
Im Gegensatz zur Medien- und Mehrheitsmeinung, so Dr. Carsten Wippermann, überwiegen nicht nur die Konsum- und individuell geprägten Milieus die traditionell-religiösen. Hier findet man
besonders viele junge Leute, hier ist Dynamik, während die anderen Milieus "austrocknen" - mit der Generation der "Gastarbeiter", die oft aus bildungsfernen, ländlichen Milieus in unsere Städte
kamen. Wie ich denke und tue, hängt stark vom Milieu ab, in dem ich lebe, so der Milieuforscher.
Faktoren wie Ethnie, Religion und Zuwanderungshintergrund seien weniger wichtig. Daher könne man angesichts der Dynamik in den Milieus eine gute Prognose stellen. Er räumte ein, dass das
Material nichts zur dritten Generation aussage und die Gruppe der "Entwurzelten" vielfach beeinflussbar bleibe. Sicher sei, dass Migranten nicht festgelegt sind, sondern in ständigem Austausch
mit Ansichten und Werten ihrer Umgebung aus Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft ihr eigenes Weltbild konstruieren - und nicht Sprachrohre z.B. von "Vorbetern" oder "Hasspredigern" sein
müssen.
Isoliert und ausgegrenzt
Viele Migranten, z.B. die Hälfte aller Türken, fühlen sich diskriminiert. Laut Sinus sieht sich jeder vierte Migrant "isoliert und ausgegrenzt". Ein Bielefelder Team um Prof. Wilhelm
Heitmeyer analysierte im Umfeld der Langzeitstudie zu "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" Rassismus, Fremdenhass und Islamophobie. Unsere Gesellschaft behaupte, allen gleiche Lebenschancen
zu bieten, richte aber Barrieren auf. In 2 404 Interviews mit arabischen und türkischen Jugendlichen traten Gefühle massiver Diskriminierung v.a. in Schulen zutage.
Dazu passt, das deutsche Schulen laut OECD zu den selektivsten zählen. Ob beim Zugang zu Bildung, Arbeit und Sozialsystemen, ob bei Teilhabe am politischen System, Normen und Werten sowie
Akzeptanz oder bei Kontakten mit Familie, Freunden, in Vereinen und mit Deutschen - überall konstatierte die Studie Integrationsschwächen. Einig war man sich darin, dass es eine wachsende Schicht
junger, gut ausgebildeter Migranten gibt, die die Hürden meistern. Aber es gibt eben auch viele, die ohne viel elterliche Fürsorge, bildungsfern und mit archaischen Wertsystemen aufwachsen - sie
haben bei uns noch zu wenig echte Aufstiegschancen.
Querschnittaufgabe und Chefsache
Ob Integration gelingt, entscheidet sich in den Kommunen. Prof. Roland Roth stellte Thesen für kommunale Integrationspolitik vor, die am nächsten an den Problemen seiund sich am frühesten
damit befasst habe. Ausgehend von einzelnen Großstädten habe sie sich in den letzten zehn Jahren etabliert, gefördert von Stiftungen, Wettbewerben etc.
Als Prinzipien dieser Politik nannte er: 1. die Entwicklung individueller lokaler Leitbilder und Ziele. 2. Integration ist von der Krippe bis zum Altenheim Querschnittaufgabe und Chefsache. 3.
Sie muss politisch verbindlich sein (Ratsbeschlüsse, Integrationskonzepte etc.) 4. maßgeblich ist Sicherung von Teilhabe/Partizipation 5. Es gilt, bür- gerschaftliches Engagement zu entwickeln
(Stadtteilmütter!) und Netzwerke aufzubauen 6. Integration läuft auf Quartiersebene 7. Zentrale Handlungsfelder sind Frühförderung, Bildung und Sprache, Arbeit, Interkulturalität und Evaluation.
8. Sie stößt an Grenzen, wo Einheimische und Zuwanderer um knappe Güter konkurrieren. 9. Integration umfasse letztlich alle, worin Roth ein altes sozialdemokratischen Anliegen sah, dass es zu
erneuern gelte
Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der "
DEMO" - die Monatszeitschrift für Kommunalpolitik.