Mädchen machen Schule

Mehr als schöne Kleider

Else Engel04. März 2010

Ntaiyas Mutter hatte die Schule nach wenigen Jahren abbrechen müssen als sie verheiratet wurde. Dieser Weg war auch für Ntaiya vorgesehen. Im Alter von fünf Jahren wurde sie dem Sohn der
Nachbarn versprochen. Doch sie hatte andere Pläne und den Mut, diese umzusetzen.

In Enoosaen, dem Dorf in dem Ntaiya aufgewachsen ist, war die »Beschneidung« und Verheiratung der Mädchen eng mit der Familienehre verbunden. Ntaiya drohte ihren Eltern, als unverheiratete
Jugendliche abzuhauen, wenn sie nicht die Schule beenden dürfe. Schließlich ging sie einen Handel mit ihrem Vater ein: Er erlaubte ihr, die Schule zu beenden, wenn sie sich im Gegenzug
beschneiden lies. Ntaiya hat für die Chance auf eine Schulbildung einen hohen Preis gezahlt.

Das Recht auf Bildung

Dass sie auch nach dem Schulabschluss nicht sofort heiraten wollte, verriet sie ihrem Vater nicht. Erst als es so weit war, rückte sie mit ihren Plänen heraus. Jetzt gelang es ihr, ihren
Vater, den Dorfältesten und viele andere davon zu überzeugen, sie nicht nur als erste Frau ihres Dorfs studieren zu lassen, sondern sie auch mit dem nötigen Geld auszustatten.

Als Kind wusste Kakenya Ntaiya nicht, dass jeder Mensch ein Recht auf Bildung hat. Davon hat sie erst als Studentin gelesen. Sie wusste nichts von den ernsthaften gesundheitlichen Gefahren,
die durch die Genitalverstümmelung, verharmlosend Beschneidung genannt, entstehen. Auch dass eine Zwangsheirat international festgeschriebene Rechte der Mädchen und jungen Frauen verletzt, erfuhr
sie erst spät. Das soll sich ändern. Ntaiya will, dass Mädchen ihre Rechte kennen und selbstbewusst einfordern können. Sie will, dass sie mit einem Wissen aufwachsen, das sie sich mühsam
erkämpfen musste.

Schule für Mädchen

Im Mai 2009 eröffnete Ntaiya in ihrem Dorf das »Kakenya Centre for Excellence«, eine Schule für Mädchen. Die Schülerinnen werden nicht nur in den gewöhnlichen Fächern unterrichtet, sondern
lernen auch über Genitalverstümmelung, reproduktive Gesundheit, den HI-Virus und Aids. Sie sollen lernen, wie sie bei der Verteilung der Macht in zukünftigen sexuellen Beziehungen nicht leer
ausgehen. Es wird auch viel Wert darauf gelegt, dass die Schülerinnen Verantwortung übernehmen für die Menschen um sie herum. Das resultierende Selbstbewusstsein soll die Mädchen dazu befähigen,
sich für ihre eigenen Überzeugungen einzusetzen und an der Entwicklung der Gemeinschaft teilzuhaben. Ntaiya lebt es ihren Schülerinnen vor, indem sie zeigt, wie viel eine Frau bewegen kann, für
sich, aber auch für andere.

Ntaiyas Schule bedeutet damit mehr als eine Realisierung des Rechts auf Bildung für Mädchen. Es geht darum, die Schülerinnen über ihre Rechte zu informieren, sie für deren Verletzungen zu
sensibilisieren und ganz konkrete Schritte in Richtung einer Gemeinschaft zu gehen, in der Frauen als gleichwertige Menschen handeln können.


www.schulenfuerafrika.de


Aus der Perspektive der Schülerinnen lässt sich gut erkennen, wie eng die Menschenrechte von Kindern und Frauen zusammenhängen. Wenn Mädchen nicht die gleichen Chancen erhalten wie Jungen,
folgt daraus, dass sie auch als Frauen weiterhin diskriminiert werden, beispielsweise was sozialen Status und Einkommen angeht. Auch über Generationen hinweg wird dieser Zusammenhang deutlich.
UNICEF weist darauf hin, dass sich Bildung und Gesundheit von Müttern direkt auf die Überlebenschancen ihrer Kinder auswirken.

Die Mädchenschule zeigt damit ganz praktisch, wie zwei wichtige Menschenrechtsabkommen zusammenspielen: Die Kinderrechtskonvention und die Frauenrechtskonvention der UNO. Vergangenes Jahr
wurde der 20. beziehungsweise der 30. Jahrestag ihrer Verabschiedung begangen. Grund zum Feiern gab es nicht viel, denn Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen sind weiterhin vielerorts
alltäglich.

Ntaiya hat dies selbst erfahren und will es nicht hinnehmen. Als Kind wollte sie Lehrerin werden, weil sie die vielen schönen Kleider ihrer Lehrerinnen bewunderte. Heute träumt sie nicht
mehr von Kleidern, sondern davon, dass alle Mädchen aus ihrem Dorf wie sie ihren Weg zu Bildung, Selbstverwirklichung und Übernahme von Verantwortung gehen können.

Mehr Informationen zu UNICEF und zum Bildungsprogramm "Schulen für Afri
ka"

unter

www.schulenfuerafrika.de

Der Beitrag ist erschienen im
Amnesty Journal, Magazin für die Menschenrechte, Ausgabe 02/2010. Schwerpunktthema:
STARKE MÄDCHEN.
Verletzt, verkauft, verheiratet: Was Mädchen erleiden und wie sie ihre Rechte erkämpfen.
Das Menschenrechtsmagazin von Amnesty erscheint sechs Mal im Jahr. Das Amnesty Journal ist bundesweit an allen Bahnhofs- und Flughafenkiosken erhältlich oder zu betsellen unter:
www.amnesty.de/amnesty-journal-jetzt-abonnieren

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Die Autorin Else Engel ist Mitglied der Themengruppe zu Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen der deutschen Sektion von Amnesty International. Mehr
Informationen auf
www.amnesty-kinderrechte.de

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