SPD erneuern

Mehr Demokratie wagen: Schafft das Delegiertenprinzip ab!

Andreas Henkel22. Januar 2019
In ihrem Erneuerungsprozess sollte die SPD auch das Delegiertenprinzip auf den Prüfstand stellen, meint Andreas Henkel.
Mehr Macht den Mitgliedern: In ihrem Erneuerungsprozess sollte die SPD auch das Delegiertenprinzip auf den Prüfstand stellen, meint Andreas Henkel.
Wer sich neu in der SPD engagiert, kann häufig kaum mitentscheiden. Schuld ist das Delegiertenprinzip, das die Rechte der Mitglieder auf gewählte Vertreter überträgt. Um wirklich zur Mitmach-Partei zu werden, sollte die SPD – wo es geht – zu Gunsten von Mitgliederversammlungen auf Delegierte verzichten.

„Mitglieder wollen entscheiden, nicht nur Beiträge zahlen.“ Diese Aussage stammt aus den zwölf Thesen zur Erneuerung der SPD von Sigmar Gabriel aus dem Jahr 2010. Seitdem hat sich wenig getan, offenbar hat die Partei bisweilen leider ein Umsetzungsproblem. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass Schicht im Schacht ist, falls sich in dem jetzigen Erneuerungsprozess wieder die strukturkonservativen Kräfte durchsetzen. Deshalb hat Lars Klingbeil Recht, wenn er fordert, dass die SPD sich „radikal verändern“ muss.

Gute Absichten, wenig Taten

Sein Heimathafen, der Heidekreis in Niedersachsen, ist hier mit gutem Beispiel voran gegangen und hat u.a. auf den Parteitagen des Unterbezirks das Delegiertenprinzip zu Gunsten von Mitgliederversammlungen abgeschafft. Auf dem Debattencamp war zu hören, dass dies auch in einigen anderen – interessanterweise vorwiegend ländlichen – Unterbezirken/Kreisen gang und gäbe ist. Aus München hört man inzwischen von ähnlichen Ideen und die Jusos auf Bundesebene sind sowieso dafür.

Soweit ersichtlich gibt es auch bei den Grünen auf den unteren Ebenen in der Regel kein Delegiertenprinzip. Und z.B. die FDP Hamburg hat dies im Jahr 2013 ebenfalls so beschlossen. Aus der CDU hat sich Diana Kinnert für die Abschaffung ausgesprochen. Der Parteivorstand der SPD hat sich zum in seinem Leitantrag zum Wiesbadener Parteitag im April 2018 auch klar pro organisatorische Erneuerung positioniert: „Die SPD wird stark, wenn sie eine neue Debattenkultur entwickelt, … und mehr Mitglieder einbindet. Wir ermutigen alle Gliederungen, neue Wege der Parteiarbeit zu beschreiten.“ Ein Vorstandsbeschluss vom 27. November 2017 enthält ebenfalls viele richtige und mutige Ansätze. Von einer tatsächlichen Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele ist aber momentan noch zu wenig zu sehen.

Das strenge Delegiertenprinzip ist nicht mehr modern

Das Bedürfnis nach mehr Transparenz und Beteiligung ist weder links noch rechts, sondern schlicht modern. Eine verantwortungsbewusste Führung wird weiterhin akzeptiert und gewünscht, aber zu viel Hinterzimmer und Basta sind nicht mehr zeitgemäß. Die technische Entwicklung ermöglicht es, sich im Netz umfassend zu bestimmten Themen zu informieren, die eigene Meinung kundtzutun und dort schnell viele andere Menschen zu erreichen.

An diese ­– letztlich gar nicht mehr so neue – Entwicklung müssen sich selbstverständlich auch die Parteien anpassen und im Ergebnis die Rechte ihrer Mitglieder stärken. Das Mitmach-Angebot der SPD an aktive (neue) Mitglieder kann aber – übertrieben formuliert – im Jahr 2019 nicht ernsthaft lauten: Wenn Du herausgefunden hast, wo sich der Ortsverein trifft, dann kannst Du gern mal vorbeikommen. Alle zwei Jahre kannst Du den Vorstand und die Delegierten mitwählen. Und wir suchen übrigens noch Verstärkung beim Zettel-Verteilen. 

Parteiengesetz: Delegiertenprinzip nur als Ausnahme

Das Parteiengesetz beschreibt in Paragraf 1 die Aufgaben der Parteien. Leider ist von der darin angestrebten „aktive[n] Teilnahme der Bürger am politischen Leben“ und der „lebendige[n] Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen“ zu wenig zu spüren. In der Zeit der Kanzlerschaft von Angela Merkel ist die Demokratie in die Krise geraten, was u.a. auch mit ihrer Person und ihrer Strategie zusammenhängt. Das heute weit verbreitete Delegiertenprinzip ist im Parteiengesetz nur als Ausnahme genannt. Das regelhafte Organ einer Partei und ihrer Gebietsverbände ist, neben dem Vorstand, ausdrücklich die Mitgliederversammlung, Paragraf 8 Abs. 1 Satz 1 PartG. Nach Satz 2 kann lediglich durch Satzung bestimmt werden, dass an deren Stelle eine Vertreterversammlung tritt.

In Zeiten der allgemeinen Politik- und Parteienverdrossenheit sollten wir, jedenfalls auf den unteren Ebenen (wo dies praktikabler ist), wieder zum gesetzlichen Regelfall, d.h. der Entscheidung durch Mitgliederversammlung, zurückkehren. Mittelbar sollten wir dabei auch die – viel zu vielen – Nichtwähler im Blick haben, die kein Vertrauen mehr in die Politik haben, wirtschaftlich/räumlich abgehängt sind oder sich nicht anerkannt und machtlos fühlen. Deren Vorurteile über den angeblich nicht vorhandenen Einfluss „einfacher“ Mitglieder von Parteien sollten wir nicht auch noch teilweise bestätigen.

Mit der Abschaffung des Delegiertenprinzips wäre der positive Nebeneffekt verbunden, dass Abstimmungen dann nicht mehr so ohne weiteres (ggf. durch Absprachen) kontrollierbar wären. Und die Parteien würden davon insgesamt profitieren, wenn jemand, der inhaltlich etwas bewegen will oder ein Amt anstrebt, sich den – vielfältigen – Mitgliedern stellen und unter ihnen eine Mehrheit finden muss.

Die SPD muss wieder mehr Demokratie wagen

Die SPD wird vielfach als altbacken, zu mutlos und wenig vital angesehen. Wir müssen alle daran arbeiten, dass dieses öffentliche Bild zügig besser wird. Back to the roots! Wir sind doch die Partei, die mit dem Slogan „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ vor langer Zeit mal sehr erfolgreich war und viele Menschen begeistert hat. Wir brauchen weniger strenge Hierarchien und mehr Debatte, an deren Ende dann ein vernünftiges Ergebnis steht, das von einer (breiten) Mehrheit getragen wird. Wenn es gut läuft, kann dies letztlich auch zu einer erhöhten öffentlichen Wahrnehmung der SPD führen.

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Kommentare

Utopien, Dystopien und Empirien des digitalen Zeitalters

Eine gesunde Mischung ist eher die Modernisierung des Delegiertenprinzips auf die Gesamtmenge der OV und das Zulassen von örtlichen Mitgliedern im Umkreis des Veranstaltungsorts bzw. inklusive Livestream Internetbeteiligung durch liquid democracy.

Das bedingt zunächst, dass in der Fläche die Grundebene der Organisation wahr- und ernst genommen wird, aber es führt auch dazu, dass die OV sich im Vorfeld inhaltlich vorbereiten und personell entscheiden müssen.

Aus der Pflicht des Gender Mainstreaming ist klar, dass jeder OV eine Frau und einen Man delegieren muss. Der Weg Der Grünen hingegen ist politisch wie organisatorisch nicht attraktiv wie nicht kalkulierbar.

OV Delegierten bei Landes- und Bundesparteitagen drängen natürlich die bisherigen Strukturen zurück. Das ist auch gut so.

Die Flächenpräsenz muss zugunsten der einfachen Mitglieder gestärkt werden. Bezirke und Unterbezirke sollen nur noch über die satzungsmäßigen Arbeitsgemeinschaften beratend vertreten sein.

Das Chaos durch Seeheimer Kreis, Demokratisch Linke, Netzwerke und andere ist trotz zahlreicher frommer Bekundungen immer noch nicht eingedämmt.

Die innere Partei von George Orwells 1984 lässt grüßen.

Ortsvereinme öffnen !

Die bisherige Linie der Ortsvereine ist in pcto. Zugehörigkeit der SPD-Mitglieder in Zeiten zunehmender ()insbesondere umweltfreundlicher) Mobilität überholt. Bei Diskurs und Meinungsbildung auf Ortsvereinsebene sollten (mit wenigen Ausnahmen) zudem generell auch Nichtmitglieder herzlich eingeladen sein ! Unsere Partei hat nichts zu verbergen (allenfalls bei Wahlkampf-Taktik !
Auch hier sollte es eiinen Wettbewerb bezüglich. Formen der Basisbeteiligung und inhaltlicher Informations- und Meinungsbildung geben. Der Wohnort sollte in der heutigen Zeit keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Heimat ist da wo Mann/Frau sich wohl fühlt !!
Gerade solche Anreite tragen zur Modernisierung, Erneuerung und Zuwachs an der Basis bei !.
Unsere Partei wird nicht aus dem Tal der Tränen kommen wenn sie nicht bereit ist sowohl in der Regierung, an der Parteispitze als auch an der Basis größere Fässer aufzumachen ! Auf Länderebene passiert da bereits mehr ! Oder ?

Was zum Teufel hat denn eine extrakonstitutionelle...

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Gar keine Frage . Urwahl ist

Gar keine Frage . Urwahl ist Basisdemokratisch. Andere machen es vor. Die SPD hat diesen Erneuerrungsprozeß zu lange verschlafen. Viele bishergetroffene Entscheidungen wären vermutlich anders ausgegangen und hätten viel Ärger erspart.

Mehr Mut und mehr Beteiligung !!!

Unsere SPD ist gerade deshalb am/im Abgrund weil viele der Delegierten ihrer eigenen Posten und Parteikarriere willen, kaum aus der von ganz oben vorgegebenen Richtung abweichen.
Wie ist sonst die inhaltliche Diskrepanz zwischen den Anliegen der Basis und dem Abstimmungsverhalten der Delegierten zu erklären.
Schauen wi uns doch mal die veröffentlichten Ergebnisse aus dem Debatencamp und Diskussionsforen an ! Davon dringt wenig bis Nichts zur Parteispitze durch. Die machen pompös Verpackte Gesetze (Gute-Kita-Gesetz, Starke-Familie -Gesetz, Mietpreisbemse etc.) bei deren Inhalt und Wirkung die Enttäuschung dann groß ist. Die Basis möchte dagegen mutig an die Wurzel der Übel gehen. Das steht in der SPD nach Vorgabe Parteiführung nicht zur Disposition ! Deshalb steht unsere SPD nach Umfragen inzwischen bei 13,5 % !! Lasst die Mitglieder über die künftige Richtung der SPD abstimmen und übe die Personen die geeignet sind diese glaubwürdig zu vertreten. Vorgeschaltet wie von Genosse Lars Klingbeil versprochen viele regionale Diskussionsforen zur Meinungsbildung (jedoch ohne peinliche Lobbyarbeit der Parteispitze, sondern unvoreingenommener Wettbewerb der Konzepte !).