
Wie massiv ist die Brandmauer gegen Rechts innerhalb der Union? Nach der Wahl von Max Otte als neuen Vorsitzenden der Werte-Union hat sie jedenfalls ein neues, sichtbares Loch bekommen. Otte sah die Berichterstattung über die Ausschreitungen von Rechtsextremist*innen in Chemnitz als Auftakt zur offiziellen Verfolgung politisch Andersdenkender. Als der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem bekannten Faschisten erschossen wurde, beklagte Otte die mediale „Hetze“ gegen die rechte Szene. Bekannte Äußerungen, die die Mitglieder der Werte-Union nicht zu stören scheinen. Anders ist die Wahl Ottes nicht zu erklären. Zu den ersten Gratulant*innen gehörte übrigens der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla. Die Union selber will die Wahl nicht kommentieren, weil die Werte-Union keine offizielle Gruppierung innerhalb der Partei ist. Parteichef Armin Laschet schweigt.
Trotzdem: Auch Otte ist CDU-Mitglied, seine Wähler*innen sind auch CDU-Mitglieder. Vor wenigen Monaten war er noch drauf und dran aus der CDU aus- und in die AfD einzutreten. In der Vergangenheit stand er auf denselben Bühnen wie AfD-Chef Jörg Meuthen. Und für die Desiderius-Erasmus-Stiftung, die der rechten Partei nahesteht, war Otte drei Jahre lang Kuratoriums-Vorsitzender. Bis in den Mai 2021.
Zur Erinnerung: Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Keine Zusammenarbeit, weder mit der AfD noch mit der Linkspartei, egal wo. Was ist dieser Beschluss wert, wenn er weder für Max Otte noch die Werte-Union mit ihren rund 4000 Mitgliedern gilt? Wenn Sympathien für die AfD, rechtspopulistische Äußerungen und ein Engagement für eine AfD-nahe Stiftung nicht ausreichen für klare Widerworte der Parteispitze oder ein Parteiausschlussverfahren – was bleibt dann noch?
Die Werte-Union – ein rechtes Sammelbecken?
Die Werte-Union selbst ist ein Gebilde innerhalb der Union, das sich als konservativer Kreis sieht, dessen Mitglieder auch immer mal wieder rechte oder rechtspopulistische Meinungen übernommen haben. Deswegen wurde der Verein von vielen anderen immer wieder als Sammelbecken rechter Kräfte innerhalb der CDU/CSU gesehen. Die Wahl Ottes kann da nur als Bestätigung gesehen werden, der sogar offen mit einer Kooperation mit der AfD liebäugelte.
Doch es ist eben nicht nur Max Otte, nicht nur die Werte-Union. Die Liste von Einzelpersonen, Vorfällen und Meinungsäußerungen aus dem rechten Spektrum der CDU wird lang und länger. Und mit jedem neuen Stichpunkt bekommt die Meinugsvielfalt innerhalb der Union einen noch offensichtlicheren Rechtsdrall.
Währenddessen steht an der Spitze der Konservativen eine Person, die abwiegelt, abwägt, kleinredet oder schweigt. Dem Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen wird immer wieder antisemitisches und rassistisches Vokabular vorgeworfen. Er darf nun für die CDU in Thüringen um ein Bundestagsmandat kämpfen. Er sei weder Antisemit noch würde er antisemitischen Begriffe verwenden, sagt der Ministerpräsident, Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet. Maaßen ist auch Mitglied der Werte-Union, will nach der Wahl Ottes nun aber seine Mitgliedschaft ruhen lassen. Die Empörung ist offenbar auch innerhalb des Vereins groß.
Kleinreden statt klare Kante
Trotzdem: Auch der CDU-Landesverband, der Maaßen unterstützt, hatte noch im Frühjahr 2020 für eine bundespolitische Krise gesorgt. In ihrem verzweifelten Versuch, sich von links abzugrenzen, wurden die Konservativen im Thüringer Landtag von der AfD vorgeführt. Der Faschist Björn Höcke durfte mit seinem Landesverband einen FDP-Ministerpräsidenten ins Amt hieven, die CDU ließ es geschehen. Ein Dammbruch, der die damalige CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer schwer beschädigte. Das hätte den Konservativen eine Lehre sein können: Die Mauer gegen rechts muss stehen – und zwar immer. Für die Demokratie in Deutschland.
Doch seither machen auf kommunaler Ebene immer wieder Nachrichten die Runde, dass die CDU mit der AfD zusammenarbeitet, abstimmt. Beispiele dafür gibt es in Thüringen, Sachsen und Rheinland-Pfalz. Und im Thüringer Landtag droht das Neuwahl-Versprechen zu scheitern, weil einige CDU-Abgeordnete den Landtag nicht auflösen wollen. Selbst der politische Konkurrent, SPD-Fraktionschef Matthias Hey, macht sich deswegen Sorgen um den Zustand der CDU, warnt vor einer irrlichternden Partei. Immerhin: Die Werte-Union ist Laschet immerhin etwas „suspekt“, wie er Mitte Mai sagte, er sieht keine Legitimation für die Werte-Union. Ob das auch für die CDU-Mitglieder Max Otte und Hans-Georg Maaßen gilt, ist unklar. So oder so: Die Positionierung bleibt vage, wo sie eigentlich klar und deutlich sein müsste.
Es sind solche Verharmlosungen, solche Ausweich-Manöver, die die Grenze nach rechts bei den Konservativen verwischen. Die es Personen wie Maaßen und Otte erlauben, unter dem CDU-Banner am rechten Rand fischen. Wenn dazu an der Spitze keine klare Abgrenzung, keine klare Positionierung folgt, muss man sich fragen: Wie viele Steine müssen aus der Brandmauer gegen Rechts noch gehauen werden, bis die Löcher auch der CDU-Spitze sichtbar werden? Oder ist diese Grenzverschiebung gar gewollt, um möglichst auch in braunen Gewässern Zustimmung zu finden?