Es kommt nicht alle Tage vor, dass man persönlich ins Bundeskabinett eingeladen wird. Für die Vertreterinnen und Vertreter der zivilgesellschaftlichen Initiativen und Migrantenorganisationen war es eine Premiere, mit den im Ausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus vertretenen Ministerinnen und Minister und unter Leitung der Bundeskanzlerin auf Augenhöhe über rassistische Praktiken bei der Polizei, rechte Gewalt und Corona-Verschwörungsmythen zu diskutieren.
Mit 1,1 Mrd. Euro gegen Rassismus und Antisemitismus
Das Ergebnis dieser Diskussion kann sich sehen lassen. Viele der auf der Kabinettssitzung vorgetragenen Empfehlungen haben Eingang in den umfassenden Katalog der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und Rassismus gefunden. Nach seiner letzten Sitzung Ende November hat der Kabinettausschuss einen mit 89 Einzelmaßnahmen umfangreichen Maßnahmenkatalog vorgestellt und der Bundesregierung zum Beschluss vorgelegt. Eingerichtet wurde der Kabinettsausschuss nicht zuletzt nach erheblichem Druck durch die Migrantenorganisationen nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, bei dem zehn Menschen ums Leben kamen.
Insgesamt will die Bundesregierung in den nächsten Jahren zusammen 1,1 Milliarden Euro für die Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aufwenden. Zu den bereits bekannten Maßnahmen hat die Bundesregierung 150 Millionen globale Mehrausgaben für die Umsetzung der zusätzlichen Maßnahmen alleine für 2021 eingestellt. Ob dieses viele Geld auch viel hilft, lässt sich nicht einfach beantworten. Wenn das Paket nun nach Abschluss des Kabinettsausschusses nicht in den Schubladen der Ministerien verschwindet und die Regierung auf die vielen Ergebnisse aus den beauftragten wissenschaftlichen Studien Antworten finden kann, wird es durchaus substanzielle Verbesserungen in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rassismus geben.
Gesetz zur Förderung der demokratischer Kultur
Allerdings sind viele der Maßnahmen sehr vage formuliert und lassen zum Beispiel messbare Zielsetzungen, Zeitrahmen und Eckpunkte zu ihrer Ausgestaltung vermissen. So bleiben zu viele Punkte im vorgelegten Papier bloße Absichtserklärungen, denen ihre Umsetzung folgen kann, aber nicht muss. Entscheidend wird auch sein, wie die Bundesregierung die Bundesländer in die Umsetzung der Maßnahmen einbezieht, denen ein großer Teil der Verantwortung zukommt.
Denn das Maßnahmenpaket kommt zum Ende der Legislaturperiode und stellt damit nicht zuletzt eine Hausaufgabe für die nächste Bundesregierung dar. Besonderes Augenmerk muss gerade deshalb auf dem als „Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie“ angekündigten Gesetzesvorhaben liegen, das nun zwischen Familien- und Innenministerium ausgearbeitet wird. Egal, ob es nun nach der wehrhaften Demokratie oder, besser eigentlich, nach der Förderung demokratischer Kultur heißt – hier wird der gesetzliche Rahmen für die staatlichen Maßnahmen und Förderungen geschaffen, der so lange als „Demokratiefördergesetz“ zur Debatte stand. Und genau hier kann die Bundesregierung sicherstellen, dass die beschlossenen Maßnahmen auch nach der Bundestagswahl 2021 noch umgesetzt werden und nachhaltig wirksam bleiben.
Wichtig: Rolle einer unabhängigen Zivilgesellschaft
Beim Gesetzesvorhaben geht es einerseits darum, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen dauerhaft finanziell abzusichern und in einem eigenen Haushaltstitel mit Mitteln abzusichern. Klar ist aber auch, dass ein Gesetz sich jenseits aller Fördermaßnahmen klar zur Rolle einer unabhängigen Zivilgesellschaft in einer Demokratie bekennen muss – gerade in Zeiten verstärkter Angriffe auf demokratisches Engagement durch rechtsextreme Akteure in und außerhalb der Parlamente.
Die Zivilgesellschaft muss in ihrer Breite transparent und auf Augenhöhe in staatliche Bemühungen eingebunden werden. Hier ist die angekündigte Einrichtung eines „Beirats zur Förderung der wehrhaften Demokratie und gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ mit Vertreterinnen und Vertretern der Betroffenengruppen, der Zivilgesellschaft, der Sozialpartner und der Wissenschaft besonders zu begrüßen – gerade, um klarzustellen, dass die Maßnahmen gegen Rassismus die Perspektive Betroffener weiter einbeziehen. Außerdem muss die Kommission bei der Erarbeitung der Eckpunkte des Vorhabens prüfen, ob vor dem Hintergrund regionaler Hotspots von Angriffen, auch aus den Kommunalparlamenten heraus, nicht auch auf Landesebene Programme nachjustiert oder ebenfalls gesetzlich mit Landesdemokratiegesetzen gerahmt werden müssen.
Antifeminismus als Handlungsfeld
Das Maßnahmenpaket ist partizipativ zusammen mit Zivilgesellschaft, Migrantenorganisationen und Wissenschaft entstanden. Positive Beispiele sind etwa die Ausweitung der Härteleistungen für Betroffene von Anschlägen und Übergriffen, die angekündigte Unterstützung von Gerichten und Staatsanwaltschaften bei der Strafzumessung von Hasskriminalität, die Strafbarkeit von sogenannten „Feindeslisten“, die explizite Benennung von Antifeminismus als Handlungsfeld sowie die Diversitätsstrategie des Bundes und Überlegungen zu einer rassismussensiblen Sprache. Der umstrittene Begriff der „Rasse“ soll im Grundgesetz endlich durch eine neue Formulierung ersetzt werden.
Im Katalog finden sich allerdings kaum ausformulierte Maßnahmen, die auf den ländlichen Raum und strukturschwache Regionen zugeschnitten sind. Noch immer liegt ein starker Fokus der Präventionsarbeit auf der Arbeit mit Jugendlichen. Es braucht explizit auch die Arbeit mit Erwachsenen und älteren Menschen, denn gerade hier finden sich diejenigen, die sich derzeit im Rahmen der Corona-Proteste radikalisieren.
Mehr juristische Konsequenzen notwendig
Es mangelt auch an konkreten Maßnahmen im Bereich der Repression rechtsextremer Gewalt. Nazis leben in Deutschland immer noch verhältnismäßig gemütlich, rassistische und antisemitische Straftaten werden immer noch viel zu selten juristisch verfolgt. Die Strafverfolgung etwa im Bereich der Online-Hasskriminalität ist seit Jahren unbefriedigend, es fehlt auch noch immer ein Überblick über rechtsextreme Gefährder.
Insbesondere im Netz beobachten wir immer wieder offene Straftaten wie Mordaufrufe und nichts passiert. Hier hilft es auch nicht die Sicherheitsbehörden mit neuen Befugnissen zu belohnen, da sie ohnehin bei der Strafverfolgung kaum hinterherkommen. Auch die Maßnahmen zum Umgang mit Rechtsextremismus in Polizei, Sicherheitsbehörden und Bundeswehr gehen in ihrer bisherigen Form nicht weit genug. Generell gilt es, die Schaffung von Doppelstrukturen und Konkurrenz zu bestehenden zivilgesellschaftlichen Angeboten zu vermeiden, etwa bei der Beratung und dem Schutz Betroffener.