Bundestagswahl

Martin Schulz vor dem TV-Duell: „Das Duell wird die Unterschiede klarmachen.“

Karin NinkKai Doering31. August 2017
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz: „Ich gehe meinen Weg.“
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz: „Ich gehe meinen Weg.“
Am kommenden Sonntag trifft SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im TV-Duell auf Angela Merkel. „Ich werde in klaren deutschen Hauptsätzen sagen, wie ich unser Land gerechter machen will“, kündigt Schulz im Interview mit vorwärts.de an. Die Bundestagswahl sei noch lange nicht entschieden.

Martin Schulz, wo steht die SPD drei Wochen vor der Bundestagswahl?

Wir haben alle Chancen, das Rennen ist offen. Die SPD kämpft. Alle in unserer Partei wissen, dass es jetzt um viel geht: um die Zukunft unseres Landes. Deutschland kann mehr. Wir sind programmatisch eindeutig besser aufgestellt als alle anderen Parteien. Wir wollen Deutschland erneuern: gerecht und modern. Wir haben ein Konzept für die Sicherung der industriellen, der wirtschaftlichen Zukunft unseres Landes und für ein starkes Europa. Die SPD steht hinter diesem Programm und ihrem Kandidaten in absoluter Geschlossenheit und mit einem Siegeswillen, der sehr beeindruckend ist.

Am 3. September treffen Sie im TV-Duell auf Angela Merkel. Was haben Sie sich vorgenommen?

Das Duell wird die Unterschiede klarmachen. Ein einfaches „Weiter so“ reicht nicht aus. Ich werde in klaren deutschen Hauptsätzen sagen, wie ich unser Land gerechter machen will. Denn der Wohlstand von morgen erfordert heute den Mut zur Innovation. Es reicht nicht, sich auf dem Erreichten auszuruhen, wie Frau Merkel das tut. Die SPD hat einen konkreten Zukunftsplan für Deutschland: mehr Gerechtigkeit, Investitionen in die Zukunft und ein starkes, solidarisches Europa.

Deutschland geht es gut. Die SPD hat dazu – etwa mit der Einführung des Mindestlohnes – einen großen Beitrag geleistet. Warum sollten die Deutschen daran etwas ändern?

Es stimmt: Deutschland geht es gut, vor allem dank sozialdemokratischer Politik. Aber es geht nicht allen Deutschen gut. Es gibt viele Menschen in Deutschland, die haben Angst vor Altersarmut. Die können zu Recht nicht verstehen, dass wir in Deutschland Rekord-Überschüsse haben, aber gleichzeitig einen Notstand in der Pflege und Schulen, in die es reinregnet. Wir, die SPD, haben die Antworten. Die Steuergerechtigkeit, die Generationengerechtigkeit, die Gerechtigkeit zwischen Stadt und Land, die Lohngerechtigkeit insbesondere zwischen Männern und Frauen – darum müssen wir uns kümmern! Es ist nicht gerecht, dass sich in den Ballungszentren auch Gutverdiener die Miete nicht mehr leisten können. Und natürlich ist es nicht gerecht, dass Eltern für die Betreuung ihrer Kinder Kitagebühren zahlen müssen. Deshalb will die SPD bundesweit die gebührenfreie Kita. Ich will, dass die Kinder, die Lehrer und die Eltern sich darauf freuen, in die Schule gehen zu können oder ihre Kinder da hinzubringen oder die Kinder dort zu unterrichten. Deutschland ist ein gutes, ein starkes Land. Ich will es weiter verbessern.

Was muss denn konkret getan werden?

Wir werden 30 Milliarden Euro investieren in Bildung, in die Sanierung, Modernisierung und Digitalisierung von Schulen, aber auch in die Infrastruktur, den Ausbau von schnellem Internet, vor allem auf dem Land, und in Forschung und Entwicklung. Und wir wollen die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die hart arbeitenden Leute mit kleinen und mittleren Einkommen, die Familien und Alleinerziehenden finanziell entlasten. Mit unserem Kinderbonus hat jedes Elternteil für jedes Kind 150 Euro mehr zur Verfügung. Und durch den Wegfall des Soli entlasten wir im ersten Schritt besonders diejenigen, die Entlastung brauchen: die unteren und mittleren Einkommen. Im Gegenzug sorgen wir dafür, dass starke Schultern etwas mehr tragen: Wir erhöhen den Spitzensteuersatz und werden große Erbschaften stärker besteuern.

Bei Ihrer Nominierung zum ­SPD-Vorsitzenden und -Kanzlerkandidaten war die Euphorie ­riesengroß. Danach gab es einige Rückschläge. Frustriert das?

Vorsitzender der SPD zu sein, ist eine außergewöhnliche Ehre. Das ist das Amt von Kurt Schumacher, Otto Wels oder Willy Brandt. Ich bin stolz darauf, Vorsitzender der deutschen Sozialdemokratie zu sein, und ich will mit dieser Partei das Kanzleramt zurückerobern. Dazu gehört auch, die Arbeit und die Herausforderungen anzunehmen, mit denen man täglich konfrontiert ist. Klar freue ich mich morgens auch nicht über jede Schlagzeile. Da hab‘ ich manchmal den Kaffee schon auf, bevor ich ihn getrunken habe. Aber die SPD lag, als ich zum Vorsitzenden nominiert wurde, in den Umfragen um die 20 Prozent. Jetzt liegen wir um 25 Prozent. Und Umfragen entscheiden nicht die Wahl, sondern die Wählerinnen und Wähler. Das heißt, wir können es schaffen. Wichtig ist, seine Prinzipien nicht der kurzfristigen Opportunität zu opfern. Ich gehe meinen Weg. Mich wirft so leicht nichts aus der Bahn.

In den vergangenen Monaten sind 23.000 Menschen neu in die SPD eingetreten. Wie haben sie die Partei verändert?

Diese 23.000 Menschen sind eine riesige Bereicherung für die SPD. Sie machen unsere Partei kampfstärker, denn es sind in großem Maße junge Menschen, die sich stark engagieren. Das ist auch die Rückmeldung aus den Ortsvereinen: Die wollen richtig mit anpacken. Diese Wahl wird auf der Straße gewonnen, nicht im Kanzlerflugzeug.

Martin Schulz

Was macht die SPD gerade für die Jungen attraktiv?

Wir erleben gerade eine Zeit der politischen Beliebigkeit, eine Zeit der schnellen Abfolge von Informationen. Ich glaube, gerade junge Leute spüren, dass ein „Weiter so“ nicht reicht, dass wir unsere Zukunft gestalten müssen. Dass man sich jetzt engagieren muss gegen Rechtspopulismus, gegen die Trumps dieser Welt. Und die SPD vertritt seit 154 Jahren ihre Werte, das ist gerade für junge Menschen attraktiv.

Die Wahl von Donald Trump und auch der Brexit werden von vielen Neumitgliedern als Gründe für ihren Eintritt genannt. Was bedeutet diese Bundestagswahl für Europa?

Deutschland ist das größte Mitgliedsland der EU. Was in Berlin an Weichenstellungen erfolgt, ist von entscheidender Bedeutung für die Europäische Union. Deshalb werde ich als Bundeskanzler eine Reform der Eurozone einleiten. Ein gemeinsamer Finanzminister sollte dafür sorgen, dass diese unsägliche Steuervermeidung und die Steuerflucht, die die Finanzbasis der Staaten immer mehr erodieren lassen, bekämpft werden und dass der ruinöse Steuerwettbewerb, den es auch in der Eurozone gibt, beendet wird. Wenn die Ungleichgewichte so groß sind, dass manche über die Maße reich werden, während eine ganze Generation um ihre Lebenschancen geprellt wird, dann wenden sich die Menschen zu Recht von Europa ab. Das dürfen wir nicht zulassen. Auch darüber entscheiden wir am 24. September.

Welche Rolle sollte Deutschland in Europa spielen?

Ein sozialdemokratischer Bundeskanzler wäre ein erheblich besserer Partner für den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron, um die Europäische Union zu reformieren: für mehr Demokratie, für mehr Gerechtigkeit und mehr Solidarität, übrigens auch in der Flüchtlingsfrage. Deutschland darf nicht länger auf der Bremse stehen in Europa. Leider wurden die ersten drei Vorschläge, die Macron für eine Reform Europas gemacht hat, sofort von Merkel und Schäuble abgelehnt. Ich würde mit unseren europäischen Freunden mit mehr Respekt umgehen. Auch Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni ist ein glühender Pro-Europäer. Gemeinsam müssen wir Europa verteidigen, auch gegen Regierungen, die – wie etwa die Regierungen Polens und Ungarns – den Rechtsstaat schleifen, Europa ablehnen und in der Flüchtlingspolitik unsolidarisch sind, gleichzeitig aber massiv von Europa profitieren. Solidarität ist aber keine Rosinenpickerei. Als Bundeskanzler werde ich Solidarität in Europa wieder als Prinzip einfordern.

Neben Emmanuel Macron in Frankreich war Jeremy Corbyn in Großbritannien in diesem Jahr ein erfolgreicher Wahlkämpfer. Was schauen Sie sich von den beiden ab?

Sowohl Emmanuel Macron als auch Jeremy Corbyn haben bewiesen, dass in einem Wahlkampf alles möglich ist und dass die Wahl tatsächlich auf den letzten Metern entschieden wird. Wenn versucht wird, uns mit Umfragen zu verunsichern, sollten wir uns davon deshalb nicht beindrucken lassen.

Was erwarten Sie im Endspurt von Ihrer Partei?

Ich bin jeden Tag stolz darauf, was die Genossinnen und Genossen vor Ort leisten: bei den Kundgebungen, von Tür zu Tür, an den Ständen usw. Ich habe seit meiner Nominierung am 29. Januar eine SPD erlebt, die geschlossen ist wie selten zuvor. Wir haben unser Wahlprogramm einstimmig verabschiedet – und zwar nicht, weil die Delegierten mussten, sondern weil sie es wollten. Diese Geschlossenheit macht unsere Partei stark und stimmt mich zuversichtlich für die Bundestagswahl. Die SPD erhält ja keine Großspenden von der Industrie wie andere Parteien. Was wir schaffen, müssen wir selber schaffen. Aber wenn die SPD mobilisiert ist, dann sind wir mit unseren Hunderttausenden Mitgliedern auf den Straßen eine echte Macht. Da müssen sich die anderen warm anziehen.

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