Bayern schert aus

Markus Söder und die Impfpflicht: ignorant, unverschämt, rücksichtslos

Benedikt Dittrich08. Februar 2022
Der bayerische Ministerpräsident, für den Bundesgesetze nicht gelten: Markus Söder.
Der bayerische Ministerpräsident, für den Bundesgesetze nicht gelten: Markus Söder.
Markus Söder will die Impfpflicht im Gesundheitswesen in Bayern „vorerst“ nicht umsetzen. Damit torpediert er nicht nur den Corona-Kurs von Bund und Ländern, sondern schadet auch der Debatte um eine generelle Impfpflicht. Ein Kommentar.

Wer Markus Söder kennt, ist von seinem neuesten Wendemanöver in der Corona-Politik nicht überrascht. Er will die erst vor wenigen Monaten – im großen Konsens auch mit Stimmen von CDU und CSU beschlossene – einrichtungsbezogene Impfpflicht im Freistaat Bayern „vorerst“ nicht umsetzen. Mit dieser Ankündigung stellt der bayerische Ministerpräsident aber nicht nur ein Bundesgesetz in Frage, sondern zerstört grundsätzlich das Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse.

Söder hat auch bei bisherigen Corona-Vereinbarungen stets eine gewisse Kreativität an den Tag gelegt. Bei den 2G- und 3G-Regeln scherte Bayern aus, Obergrenzen von Veranstaltungen hat Söder mal in die eine, mal in die andere Richtung ausgedehnt, zuletzt hat er einige Beschränkungen gar nicht umgesetzt. Doch nun stellt er einen Beschluss grundsätzlich in Frage, an dem es nichts zu interpretieren gibt: Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist voriges Jahr beschlossen worden. Der Freistaat ist zur Umsetzung des Gesetzes verpflichtet. Ein Gesetz, keine höfliche Bitte.

Söder zwischen Größenwahn und Ignoranz

Dass Söder jetzt zum großen Boykott aufruft, einen Monat vor der Frist sogar „bittet“, man möge das Gesetz doch insgesamt noch einmal „überdenken“, zeugt von einem gewissen Größenwahn. Denn dahinter versteckt der Franke nichts anderes als die Meinung: In Bayern ist man schlauer als im Rest von Deutschland. Gleichzeitig ignoriert Söder damit völlig die demokratischen Entscheidungsprozesse: Wer sich per Verkündung über gemeinsam getroffene Beschlüsse hinwegsetzt, stellt die parlamentarische Demokratie insgesamt in Frage und untergräbt das Vertrauen in das politische System in Deutschland. Es ist ein Rechtsbruch.

In der Debatte, die Söder nun losgetreten hat, kann es folglich nur Verlier*innen geben. Die Politik insgesamt verliert an Vertrauen, wenn beschlossene Gesetze nicht umgesetzt werden. Jede*r andere Ministerpräsident*in muss sich nun rechtfertigen, ob oder warum im eigenen Bundesland ein Gesetz gelten soll, was in Bayern ignoriert wird. Ein „sehr gefährliches Signal“, wie auch Karl Lauterbach am Dienstag scharf kritisiert. Der Bundesgesundheitsminister beklagte vor allem, dass so der Eindruck entstehe, dass bestimmte Gesetze für Ministerpräsident*innen nicht gelten, während die Bevölkerung weiterhin starke Einschränkungen ihrer Grundrechte hinnehmen muss. „Ich bin damit nicht glücklich.“

Und das in einer Zeit, in der weiterhin Menschen in den Krankenhäusern sterben, sich hunderttausende infizieren, viele andere in Isolation oder Quarantäne müssen. Auch wenn die Omikron-Variante im Schnitt einen milderen Verlauf der Krankheit Covid-19 mit sich bringt: Die Lage ist weiterhin ernst.

Auch die Probleme und Konsequenzen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht haben sich nicht geändert und sind schon vor Monaten diskutiert worden: Wer im März nicht geimpft ist, riskiert den Job im Pflegebereich. Gibt es deswegen zu viele Kündigungen, kann das zu Engpässen in der Versorgung führen. Diese Risiken wurden abgewogen, trotzdem wurde das Gesetz beschlossen. Noch einmal zur Erinnerung: auch mit Zustimmung aus Bayern im Bundesrat.

Bärendienst für die Impfpflicht-Debatte

Der aktuellen Debatte um die allgemeine Impfpflicht hat der CSU-Chef ebenso einen Bärendienst erwiesen, auch wenn er sich weiterhin für eine Impfpflicht ausspricht. Egal, wie die Debatte verläuft, egal was beschlossen wird: Weder auf das Wort noch auf das Verhalten von Markus Söder ist Verlass – selbst Wochen nach einer demokratischen Abstimmung sind Querschüsse aus Bayern zu befürchten.

Ein besonderer Schlag ins Gesicht ist es außerdem für all jene, deren Angehörige in Pflegeheimen betreut werden. Menschen, die sich darauf verlassen, dass ihre Eltern oder Großeltern bestmöglich versorgt und geschützt werden. Dazu gehört Pflegepersonal, dass sich und andere so gut es geht vor einer Infektion schützt. Kurz: geimpftes Personal, was sich bestenfalls noch regelmäßig testet. Stattdessen, so kritisiert es auch Lauterbach, misst Söder dem Protest einer lauten, radikalen Minderheit auf der Straße nun offenbar eine höhere Bedeutung bei als dem Gesundheitsschutz von vulnerablen Personen. „Das kann nicht unsere Priorität sein.“

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Kommentare

ich bin keinesfalls ein Freund

dieses Menschen, aber so einfach, wie es sich der Autor hier macht, ist es dann doch nicht. In Autokratischen Systemen ist es üblich, einen eingeschlagenen Weg ohne wenn und aber auch gegen die größten Widerstände durchzusetzen- im Zweifel wird geprügelt oder geschossen.
Bei uns ist es derzeit anders. Wer hier in definierte Grundrechte eingreifen will, benötigt schon sehr gute Argumente. Dies gibt es nicht, das hat Söder erkannt und seine Schlüsse gezogen. Andere, auch die Genossen in der Regierung, werden folgen, spätestens, wenn das BVG eine grundgesetzwidrig begründete Impfpflicht kassiert. Dass und warum dies unweigerlich geschehen würde, ist bei anderer Gelegenheit schon ausgeführt worden, für eine Wiederholung, der es wohl eigentlich bedürfen würde, fehlt hier der Platz. Wer Söder mit derart ungeeigneten Mitteln und dann auch noch so grobschlächtig attakiert, läuft Gefahr, ganz kleine Brötchen backen zu müssen, sobald sich herausstellt, dass Söder mit seiner Auffassung richtig lag. Er wird sich dann abfeiern und abfeiern lassen, als führender Bewahrer der Demokratie, und seine Kritiker werden kleinlaut, es sei denn, Ihnen gelingt ein Ablenkungsmanöver. Ziel verfehlt, leider

Es geht um die Art

Die Gefahren/Probleme bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht waren doch aber schon voriges Jahr klar. Dann hätte Markus Söder dagegen stimmen können. Was aber in Demokratien nicht geht: Sich einfach per Ankündigung über ein demokratisch abgestimmtes Gesetz hinweg setzen. Das ist Willkür.

Regeln müssen in Demokratien auch für Ministerpräsidenten gelten. Es gibt andere Wege auch beschlossene Gesetze in Frage zu stellen als per Ankündigung zu sagen: „Wir machen jetzt doch nicht mit.“

Natürlich kann man darauf hinweisen, dass sich die Situation oder die Bewertung möglicherweise geändert hat. Das ist legitim. Aber das kann auch in der Umsetzung berücksichtigt werden. Und natürlich kann man bei beschlossene Gesetzen nachbessern oder Änderungen diskutieren. Aber doch bitte nicht von München aus diktiert, sondern in Berlin, in Bundesrat und/oder Bundestag debattiert.

Beste Grüße

Markus Söder und die Impfpflicht: ignorant, unverschämt etc.

Ich kann den Beitrag von Benedikt Dietrich nur voll und ganz unterstreichen.
Denn Söder praktiziert das Gleiche wie die Falschdenker, indem er sich über Gesetze und Entscheidungen hinwegsetzt.

In der Frankfurter Rundschau vom 09.02.2022 schreibt Markus Decker "Die Ankündigung, das Gesetz nicht umsetzen zu wollen, wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die "Querdenker"-Szene, die ja ohnehin der Meinung ist, dass Regeln für die nicht gelten." In einer Karikatur der gleichen Ausgabe wird Söder bei einer Falschdenker-Demo als neuer Freund gelobt.

Dass Merz und Strobl sich Söder anschließen wollen, nimmt nicht Wunder, man darf schon fragen, wann sie wieder, wie vor zwei Jahren In Thüringen, gemeinsam mit der AfD eine Koalition beschließen wollen?

wer oder was ist

ein Falschdenker? Denken ist verbandelt mit Gedanken, und die sind frei, jedenfalls waren sie es einmal, blutig errungen von den Altvorderen, und nun leichtfertig aus der Hand gegeben, die gute Gedankenfreiheit. "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit"- was hat Schiller da nur losgetreten, oder wie konnte es geschehen, dass Ihnen, verehrter Herr Boettel, die Gedankenfreiheit so gar nichts bedeutet?
Derartige Formulierungen kommen dem Stalinismus nahe, ich bedauere sehr dies hier in dieser Deutlichkeit sagen zu müssen, finde aber keinen anderen begriff , der mein Entsetzen auch nur annähernd auszudrücken vermag.

wer oder was ist ein Falschdenker?

Ich benutze diesen Terminus, weil der Begriff "Querdenker" vor der Corona-Pandemie vielseitig von Mitmenschen im positiven Sinne genutzt wurde, um beispielsweise Diskussionen zu politischen Themen mit kritischen Referaten zu führen.

Wenn nun seit ca. 2 Jahren Corona-Leugner, Impfgegner im engen Schulterschluss mit der AfD, Reichsbürgern u.a. für sich den Begriff "Querdenker" in Anspruch nehmen, kann ich dies wegen deren Handelns nicht so nennen und verwende das Wort "Falschdenker", weil diese Leute offensichtlich falsche Theorien verbreiten, die hier keiner Wiederholung bedürfen, weil sie bekannt sind.

Vor allem aber hat dies nichts mit Gedankenfreiheit gegen Zensur u.ä. zu tun, wie es Hoffmann von Fallersleben in dem Lied gedichtet hat, die Sie hier reklamieren. Denn, was diese Leute derzeit praktizieren, sind ja nicht nur Gedanken, sondern Taten zu Lasten ihrer Mitmenschen, wenn z.B. schon Polizisten angegriffen werden

Und "die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem andern nicht schadet" wie Matthias Claudius aus Art. 4 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 übersetzt hat.

Wie bezeichnend, dass Sie sich in dieser Frage

auf Claudius beziehen, einen Frömmling, dem eine „Erleuchtung von oben“ näher lag als das durch die Aufklärung vermittelte „Licht der Vernunft“. Wenn die Schöpfung gottgewollt war, dann war es wohl auch die Gesellschaftsordnung; so meinte Ihr Vordenker, den man ohne weiteres zu den Gegnern der Französischen Revolution rechnen darf.
Ich sehe ihren Einwand als Bestätigung meiner Einschätzung, halte es – wir sind ja hier im VORWÄRTS, mit Rosa Luxemburg- „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden“, gepaart mit Voltaire, der seinen Leben dafür hingeben wollte, dass ein anderer, dessen Meinung er nicht teilt, ebendiese Meinung vertreten darf.
Diese sind Beispielgebend und sollten auch Ihnen Orientierung geben. Claudius mag Texte übersetzt haben, als Denker, schon gar nicht. In Ihren Kategorien Müsste ich ihn als Falschdenker bezeichnen. Mach ich aber nicht, denn schon Walter von der Vogelweide wusste "joch sint iedoch gedanke frî", und dabei bleibt es, das mag Ihnen gefallen oder nicht

Keine Alternative zum Impfen

Wenn ich in meinem 82Jährigen Leben eines gelernt habe: Es gibt nie nur eine Lösung!
Klar war Impfen eine erste , wichtige und verdienstvolle Hilfe, in einer sehr bedrohlichen Situation. Keine Frage.
Aber ich halte es für gefährlich, sich auf eine für viele Menschen tief eingreifende Methode wie das Impfen so alternativlos festzulegen (Ich will nicht auf das "Management"der Krise eingehen, das war nicht fehlerfrei zu machen)
Die Zukunft ist offen. Es gibt jetzt schon die Alternative, über Medikamente einen Teil der Menschen sinnvoll zu schützen.
Auch die Wissenschaft ist grundsätzlich offen. Und es gibt Bereiche der Wissenschaft, die in der Diskussion sträflich zu kurz kommen: Die Sozialwissenschaften, die einiges zu einer solchen Situation und ihrer Bewältigung sagen können, was unsere Virologen nicht so auf dem Schirm haben.
Diese Impf -Alternativlosigkeit macht es Leuten wie Söder zu leicht, dazwischen zu grätschen und führt dazu, dass das derzeitige Krisenmanagement selbst immer mehr in die Krise kommt, das bei mehr Offenheit glaubwürdiger wäre und weniger Widerspruch ernten würde. Schade, sehr, sehr schade...

Söder und die Demokratie

Leider muss ich feststellen , das zurzeit unsere Demokratie gerade mit Füssen getreten wird , aufgrund des verhalten eines Herrn Söder der demokratische Beschlüsse nicht aktzeptiert und dadurch der Demokratie
schadet.

Söder und die Demokratie

Ganz genau, Söder sollte mal Art. 31 GG lesen, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht.

Wenn ein Landeschef sich so verhält wie Söder, nimmt es nicht Wunder, wenn Verkehrssünder sich weder an Tempolimist noch an Ampeln oder andere Vorschriften halten, und wenn Straftäter sich darauf berufen, Gesetze zu missachten, weil ja nicht einmal Politiker sich an die Gesetze halten wollen, die sie sogar selbst mit beschlossen haben.

wo recht

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Söder

Er hängz sein Fähnchen gerne in den Wind, denn das erzeugt Schlagzeilen.
Und um Schlagzeilen geht es, denn darum markieren einige gern den "harten Hund" oder die "harte Hündin".
Söder ist da gebazso, aber beim ihm wechselt öfter die Richtung, aber das ist doch genau das worauf der derzeitige Journalismus anspringt.