Bofingers Plädoyer für einen starken Staat

„Ist der Markt noch zu retten?“

Dietrich Jörn Weder18. Mai 2009

Es soll dies nicht ein abgemagerter Minimalstaat sein, wie ihn die Marktliberalen befürworten, sondern ein finanziell gut ausgestattetes Gemeinwesen, das, von seinen Bürgern bereitwillig
getragen, Bildung und "Wohlstand für alle" garantiert. In weiten Teilen liest sich das Buch als wissenschaftliche Vorlage für eine neue sozialdemokratische Agenda, einer Agenda, die der
Zielrichtung der Schröderschen Reformen, die Lohnzurückhaltung und Sozialabbau, den Rücken kehrt.

Ein Jahrzehnt ohne Reallohnsteigerungen

Aber hat diese Schrödersche Agenda 2010 nicht auch Erfolge gebracht? Ja, räumt der Autor ein, doch in seiner Sicht überwiegen die Nachteile, die in der Krise voll zum Tragen kommen. Die
Arbeitnehmer haben über ein ganzes Jahrzehnt keine Reallohnsteigerungen erfahren, die wachsende Zahl der Niedriglöhner hat sogar an Kaufkraft eingebüßt. Die Binnenkonjunktur trat ebenso lang auf
der Stelle, mit der Folge, dass der Einbruch des mittlerweile übergewichtigen Exports die deutsche Volkswirtschaft umso härter in Mitleidenschaft zieht.

Die Gebrauchsgüterhersteller setzten zuletzt 15 Pozent weniger um als im Jahr 2000. Die Bauwirtschaft hat ein Viertel und das Handwerk zehn Prozent des Umsatzes eingebüßt, Dadurch gingen
nach den Berechnungen Bofingers eine Million Arbeitsplätze verloren. Trotz der Erfolge im Export gäbe es in Deutschland so weniger reguläre, sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze
als zu Beginn des Jahrzehntes.

Mindestlöhne und negative Einkommensteuer

Dem Wirtschaftsprofessor aus Würzburg geht es, wie er schreibt, um nichts weniger als um "eine neue Balance von Wirtschaft und Staat", die darauf zielt, die wirtschaftliche Dynamik wieder in
einen Wohlstand für alle umzumünzen.

Aber wie soll das im Zeitalter der Globalisierung gelingen, die uns angeblich doch allen einen abwärts gerichteten Wettlauf bei Löhnen und Steuern aufzwingt? Bofinger gibt darauf die für
viele erstaunliche Antwort, der Nationalstaat habe die Globalisierungswelle hervorragend überstanden, seine Steuerbasis sei ungeschmälert und es stehe ihm frei, die allen Seiten zufallenden
Früchte der Globalisierung fair zu verteilen.

Aber wie den Arbeitnehmer vor Lohndumping schützen, das doch zweifelsohne in den letzten Jahren um sich gegriffen hat? Das könne auf vielfältige Weise geschehen, sagt der um originelle
Einfälle nicht verlegene Ökonom, sei es durch einen allgemeinen Mindestlohn, der der Beschäftigung keinesfalls schaden müsse, sei es auch durch die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen,
jedenfalls soweit es kinderlose Alleinverdiener angehe. Verdienern mit Kindern könne darüber hinaus am besten mit einer negativen Einkommensteuer geholfen werden.

Gegen Schuldenbremsen, für Bildungsanleihen

Alle Arten von gesetzlich fixierten Schuldenbremsen hält der auch als Interviewpartner viel gefragte Professor für schädlichen Unsinn. Wo sollten die fleißigen deutschen Sparer ihr Geld
sicher unterbringen, wenn auch der in dieser Hinsicht bisher sehr geschätzte deutsche Staat sich als Schuldner verweigere! Die Öffentliche Hand solle sich durch eine Rückkehr zu der höheren
Steuerquote der Kohlschen Ära sowie durch eine kräftige Kreditaufnahme den erforderlichen Spielraum schaffen, um alle nötigen, die Zukunft sichernden Ausgaben zu finanzieren.

Vor allem ein höherer Aufwand für Erziehung und Bildung werde sich auf lange Sicht allemal auszahlen. Schon jetzt liege Deutschland mit dem Anteil seiner Bildungsausgaben am Sozialprodukt
sowie mit dem Anteil hoch qualifizierter junger Leute hinter anderen Euro-Ländern zurück. Würde man dagegen fünfzig Jahre lang ein Prozent des Sozialproduktes zusätzlich für Bildung und Forschung
ausgeben, ergäbe sich daraus ein volkswirtschaftlicher Leistungsgewinn, mit dem sich die höheren Schulden leicht bedienen ließen.

Zu Münteferings Freude: Eine Heutschreckensteuer

Den unheilvollen Exzessen der Finanzwirtschaft will Bofinger mit scharfen Vorgaben beikommen, wie sie in der einen oder anderen Form jetzt allenthalben diskutiert werden. Hübsch finde ich
seinen Vorschlag für eine "Heuschrecken-Steuer", die räuberischen Hedgefonds das Ausplündern von Unternehmen verleiden soll. Doch alles in allem hat die Finanzkrise den sozial denkenden Professor
nicht um seinen Glauben an eine, wenn auch geordnete Marktwirtschaft gebracht. Wir lesen: "Es besteht für die große Mehrheit der Ökonomen kein Zweifel daran, dass der Markt das beste
Organisationsprinzip für eine arbeitsteilige Wirtschaft darstellt."

Weltwirtschaft wird wieder Tritt fassen

Bofinger sieht selbstzerstörerische, aber auch bereits wieder selbstheilende Kräfte am Werk. Zuversichtlich schreibt er: "Die Weltwirtschaft wird wieder Tritt fassen", auch wenn dies etwas
länger dauern könne. Den Absturz des Ölpreises stellt er als einen schlagenden Beweis für das Funktionieren der Märkte heraus. Aber war der Fasspreis von 150 US-Dollar vor einem Jahr nicht ebenso
exzessiv überhöht, wie die jetzigen Notierungen um die 50 Dollar verführerisch niedrig sind, so dass Explorationen unterbleiben und die Erneuerbaren Energien sich noch weniger rentieren? - Das
bei Econ/Ullstein erscheinende Buch ist auch für Laien lesenswert, informativ und zum Teil sogar amüsant. Doch bleibt es in den Grenzen einer Wissenschaft, die gegenüber den Vorzeichen der
großen Krise mehrheitlich blind war und die mit dieser Krise, wie Bofinger einräumt, "terra incognita", unerforschtes Gelände, betritt.




Prof. Dr.
Peter Bofinger
Ist der Markt noch zu retten?
Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen
192 Seiten, € 19,90 [D]
Erschienen: Mai 2009


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