Politik trifft Buch

Malu Dreyer und Ulrich Wickert: Heimat ist kein Begriff der Rechten

Kai Doering19. Oktober 2019
Malu Dreyer und Ulrich Wickert auf der Buchmesse: „Der Heimatbegriff und Identifikation mit Deutschland werden gebraucht.“
Malu Dreyer und Ulrich Wickert auf der Buchmesse: „Der Heimatbegriff und Identifikation mit Deutschland werden gebraucht.“
Auf der Frankfurter Buchmesse plädieren Malu Dreyer und Ulrich Wickert dafür, den Heimat-Begriff nicht den Rechten zu überlassen. Wie eine gemeinsame Identität geschaffen werden kann, da sind sich die kommissarische SPD-Vorsitzende und der Journalist jedoch nicht einig.

Für Montesquieu war die Situation klar. „Ich bin aus Notwendigkeit Mensch und aus Zufall Franzose“, sagte der Philosoph schon im 18. Jahrhundert. Für Ulrich Wickert ist die Aussage einer der zentralen Sätze seines neuen Buchs. „Identifiziert euch!“ heißt es und der Journalist beschreibt darin, „warum wir ein neues Heimatgefühl brauchen“.

Ulrich Wickert: Heimat ist ein Gefühl

Dabei ist das mit der Heimat für Wickert selbst keine so ganz einfache Sache. „Ich bin ein Zigeuner“, sagt Wickert am Samstag am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. In Tokio wurde er geboren, in Frankreich studierte er, beruflich lebte er viele Jahre in den USA. „Heimat hat nichts mit einem Ort zu tun“, ist Wickert deshalb überzeugt. „Heimat ist mehr ein Gefühl.“ Dabei können auch Gerüche schon mal eine Rolle spielen: „Wenn ich frische Croissants oder Baguette rieche, fühle ich mich wohl“, bekennt der Frankreich-Fan.

„Die eine Heimat gibt es nicht“, findet auch Malu Dreyer. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und kommissarische SPD-Vorsitzende ist an diesem Vormittag Wickerts Gesprächspartnerin am vorwärts-Stand. Auch für Dreyer gehört eine „emotionale Verbundenheit immer dazu“.

„Heimat ist weder rechts noch links“

Die Folge: Der Heimatbegriff lässt sich politisch nicht verorten. „Heimat ist weder rechts noch links“, ist Ulrich Wickert überzeugt. Deshalb sei es schade, dass sie mehr und mehr zu einem Kampfbegriff der Rechten werde. „Franzosen können sich leichter mit ihrem Land identifizieren“, meint Wickert, „weil die die älteste Nation Europas sind“.

Trotzdem findet er es schade, dass es in Deutschland „so wenig Bekenntnis zur Gemeinschaft“ gibt. Die Folge sei, dass der Begriff von anderen besetzt werde. „Wir dürfen ‚Identität‘ und ‚Heimat‘ nicht den Rechten überlassen“, fordert Wickert. Deshalb habe er das Buch geschrieben.

Dreyer: Der Heimatbegriff wird gebraucht

„Rechtsextreme versuchen, den Heimatbegriff ideologisch zu instrumentalisieren“, beobachtet auch Malu Dreyer. Diese würden allerdings nicht danach suchen, was die Menschen verbindet, sondern versuchen, festzulegen, „was alles nicht Deutsch ist“ und Menschen so ausgrenzen. Für Dreyer ist deshalb klar: „Der Heimatbegriff und Identifikation mit Deutschland werden gebraucht.“

Wie diese geschaffen werden kann, da sind sich Wickert und Dreyer allerdings nicht einig. Während der Journalist dafür plädiert, einen „sozialen Pflichtdienst“ nach dem Abschluss der Schule einzuführen, setzt die Politikerin auf Überzeugung. „Die Menschen werden sozial nicht verantwortlicher, wenn wir sie zwingen, für ein Jahr im Altersheim zu arbeiten“, ist Malu Dreyer überzeugt. „Wir sollten sie lieber zu freiwilligem Engagement motivieren.“

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Kommentare

Heimatmißbrauch

Der Heimatgbegriff wurde und wird in Deutschland dauerhaft instrumemtalisiert und das nicht nur von der extremen Rechten !
Bevor die AFD ihn für sich zu nutzen wusste, schwirrte der deutsche Heimatbegriff gefühlt irgendwo von Nazidktatur, Herbert Roth bis Kitschromanen! Momentan nutzt ihn sehr gerne der wendehälsige CSU-Aufsteiger Söder der sich angesichts der FFF-Proteste und des sich dadurch ändernden Zeitgeistes in nullkomanix vom Klimaignoranten zum Heimat- und Schöpfungsbewahrer transformiert hat. Damit hat die neue CSU-Erzählung gleichzeitig sich das traditionell Ausgrenzende bewahrt, was einem eher widerlichen aktualisierten Zeitgeist entspricht, der von AFD u.Konsorten wiederbelebt wurde. Allerdings mit tatkräftiger Hilfe aus der CSU und Teilen der CDU. Ob es noch Menschen gibt die sich vom Zeitgeist einer ausgrenzenden Heimat distanzieren und diese sich möglichst in einer erneuerten SPD mit klarer Kante gegen solchen Heimatmißbrauch wiederfinden wage ich zu hoffen ! Es wird aber sehr auch von der künftigen Haltung des demnächst neuen SPD-Spitzenpersonals abhängen !!! Der Heimatbegriff hat in Deutschland eine sehr schmerzliche und verbrecherische Seite !

Heimat ?

Menschen, die permanent Angst haben ob sie sich ihre Wohnung noch leisten können, in befristeten und prekären Jobs .......... denen müssen Intelektuelle nicht den Begriff "Heimat" erklären. Heimat ist da wo man sich wohlfühlt und die Gentrifizierten und Prekarisierten, die ohne Chance von Anfang an, die fühlen sich nicht wohl.

Investorenheimat

Ein sozialer Pflichtdienst in Altenheimen, die gerade landauf, landab in die Hände von Finanzinvestoren verramscht werden, ist eine skurrile Idee. Sie zeigt das Elend des entgrenzten Kapitalismus, der jede Heimat, Gemeinschaft und Verantwortung systematisch und weltweit zerstört. There is no such thing as a Society. Keine Heimat, nirgends, ist das Programm der ökonomischen Globalisierung. Die dafür verantwortlichen jammern über die Folgen ihrer eigenen Entscheidungen, betreiben den Ausverkauf von Heimat aber ungerührt weiter. Die Rechten nutzen das aus. take back control verfängt, weil ohne Kontrolle über Wohnen, Arbeiten und das eigene Leben Heimat immer prekär ist. Gegen die Rechten hilft nur eine Revitalisierung der Demokratie. Wir werden deshalb uns zwischen Demokratie und ökonomischer Globalisierung entscheiden müssen. Wohl auch zwischen Heimat und Kapitalismus, dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der Industriegesellschaft und zwischen künstlicher Intelligenz und menschlicher Vernunft.