FES-Veranstaltung Bildungschancen

Mädchen auf der Überholspur, Jungs als Bildungsverlierer?

Türkan Karakurt01. Februar 2011

Mehr als hundert Eltern und Studierende, Lehrerinnen und Erzieherinnen diskutierten nach einem Podiumsgespräch zwischen Cornelia Helfferich, von der Evangelischen Hochschule in Freiburg, und
dem Schulleiter Thomas Hartwich über Ursachen und Hintergründe für das schlechtere Abschneiden von Jungs in der Schule.

Mehr Abiturientinnen

Mädcheneltern können aufatmen: Die Chancen ihrer Töchter auf eine gute Schulbildung sind erheblich höher als die der gleichaltrigen Jungs. Die verbringen insbesondere in den Jahrgangsstufen,
in denen die Weichen für die Zukunft gestellt werden, ihre Zeit gerne mit Faulenzen, Computerspielen und Aufbegehren gegen den Leistungsdruck vertreiben. Mädchen dagegen legen mehr Lerndisziplin
an den Tag. So machen sie ihren Eltern, Lehrern und sich selbst das Leben weniger schwer. Die Konsequenz: bessere Schulnoten und rund 55 Prozent weibliche Abiturientinnen.

Können die Mädcheneltern nun davon ausgehen, dass ihre Töchter später entsprechend höhere Karrierechancen haben? Chefinnen auf allen Ebenen von Wirtschaft und Politik und damit in absehbarer
Zeit eine völlig andere Gesellschaft? Cornelia Helfferich, die am Sachverständigengutachten zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesfamilienministern mitgeschrieben hat, bezweifelt das: Wenn
man nicht nur auf den Schulabschluss blickt, sondern sich die langfristige Bildungslaufbahn von Frauen ansieht, relativiert sich das positive Bild.

Frauen landen eher in schlecht bezahlten Berufen

Mädchen haben zusätzlich zu den für beide Geschlechter geltenden Risiken bei den Übergängen zwischen den Bildungsphasen - von der Primar- in die Sekundarstufe und später von der Ausbildung in
den Beruf - höhere Risiken, auf der Strecke zu bleiben. Sie landen - trotz Abitur - eher in den weniger gut bezahlten Berufen. Eine frühe Mutterschaft führt oft zum Abbruch der Berufsausbildung
oder dazu, diese erst gar nicht zu beginnen.

Das hat gravierende negative Langzeitfolgen für junge Frauen, ganz besonders für junge Migrantinnen. Vielerorts unterbleiben Investitionen in längere Ausbildungen, weil ohnehin Schwierigkeiten
bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erwartet werden. Für Mädchen aus bildungsfernen Familien, die ohnehin schwierigere Ausgangspositionen haben, verschlechtert das die Berufsaussichten
zusätzlich. Daher lautet eine der Forderungen des Sachverständigengutachtens zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesfamilienministerin, an dem Cornelia Helfferich mitgeschrieben hat, dass
Bildungsphasen durchlässiger und Quereinstiegsmöglicheiten ausgebaut werden müssen.

Teilzeitausbildung und Kinderbetreuung

Damit Elternschaft während der Bildungsphase nicht automatisch in die Sackgasse führt, sollten Teilzeitausbildungen und modularisierte Studiengänge ermöglicht werden. Begleitend dazu ist eine
flexible, mit dem Ausbildungs- und Studienplan abgestimmte, Kinderbetreuung, nötig, heißt es im Gutachten.

Also doch alles beim alten? Nicht ganz. Auch wenn man in punkto Gleichstellungspolitik noch weit von idealen Zuständen entfernt ist, muss man sich dennoch den Jungs in besonderer Weise
zuwenden. Denn, so Thomas Hartwich, Schulleiter an einer Freiburger Brennpunktschule: "Jungs machen uns in bestimmten Bereichen mehr Kopfzerbrechen als Mädchen, insbesondere dort, wo Gruppen mit
Schuldistanz entstehen, oft als Reaktion auf ein Gefühl, nicht dazuzugehören." Nur Schulen, die gut mit LehrerInnen und SozialarbeiterInnen ausgestattet seien, schaffen es Jungs, die in der
kritischen Phase zwischen13 und 16 Jahren ihr Männlichkeitsideal mit einer Ablehnung von Schule und Erfolg verbinden, einzubinden und zu Leistung zu motivieren. Sonst sei es für viele, wenn sie
mit 16 Jahren vernünftiger werden und merken, dass sie im Leben etwas erreichen wollen, zu spät.

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