
„Wenn Sie über Russland sprechen, dann reden Sie über Ihren Bankier.“ Dieser Satz von Präsident Emmanuel Macron an die Adresse Marine Le Pens im TV-Duell wird bleiben. Mit 9 Millionen Euro haben Putin nahestehende Banken 2017 den Wahlkampf der rechtsextremen Kandidatin Le Pen finanziert. Sie sei nicht unabhängig und daher auch nicht in der Lage, die Interessen Frankreichs zu vertreten, attackiert der Präsident seine Herausforderin. Sie sei eine „in jeder Hinsicht freie Frau“ erwidert Le Pen, muss aber einräumen, dass der russische Kredit bis heute nicht zurückgezahlt ist.
Zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten Debatte, ausgestrahlt auf denselben Kanälen wie bereits vor fünf Jahren, und Marine Le Pen geriet erneut in Schwierigkeiten. Nicht nur an dieser Stelle. Debattiert wurden die Themen Kaufkraft, innere und äußere Sicherheit, Energie, Europa, Umwelt, Bildung. Die offene Frage bleibt allerdings auch nach dem Duell: Wird es Emmanuel Macron nutzen und wenn ja, wie stark?
Die Ausgangslage vor der Wahl
Kaum jemand bezweifelt, dass Macron seiner Kontrahentin rhetorisch und intellektuell überlegen ist. Zu deutlich war Le Pen im ersten Duell 2017 unterlegen, hatte sich in Zahlen, Fakten und Daten völlig verhaspelt, war erkennbar weniger fähig, das Amt des Präsidenten auszufüllen. Allein, das war dieses Mal auch vorher schon klar. Insofern war für Macron eher wenig zu gewinnen. Jeder erwartete seinen Sieg.
Für Marine le Pen bedeutete das, sie hat schon etwas erreicht, wenn sie nicht untergeht. Wirkt sie obendrein sympathisch sogar viel. Wie bereits den gesamten Wahlkampf über, versuchte sie den Eindruck zu vermitteln, eine Frau aus dem Volk zu sein, die sich um die Sorgen und Nöte der normalen Menschen kümmert. „Ungerecht“ war ihre am häufigsten benutzte Vokabel in all ihren Ausführungen, egal was sie im einzelnen Macron gerade vorwarf. Konsistent war das nicht: In einem Satz erklärte sie, Macron kümmere sich ausschließlich um die Großindustrie und vernachlässige die kleinen Handwerker, was „ungerecht“ sei, um ihm im nächsten Satz vorzuwerfen, er sei schuld an der Deindustrialisierung des Landes und dem Verlust an Arbeitsplätzen, auch dies sei „ungerecht“.
Macron widerlegt Le Pen
Macron hatte bisweilen erkennbar Probleme an sich zu halten, zum Beispiel als Le Pen behauptete, die Halbierung der Klassenstärke auf 12 Schüler*innen in Problemvierteln bei gleichzeitiger deutlicher Erhöhung der Lehrergehälter seien bestenfalls Kosmetik und auch nur eine vorläufige Maßnahme.
Mehrfach wies Macron darauf hin, wo seine Widersacherin schlicht falsche Behauptungen aufstellte, Fakten verdrehte oder sich im offenen Widerspruch zu ihrem Wahlprogramm äußerte. So behauptete sie unter anderem, das Atomkraftwerk Fessenheim – in Deutschland als Pannenreaktor bekannt – sei vollkommen sicher. Sie werde es wieder anfahren lassen, was technisch unmöglich ist. Sie erklärte, Frankreich vom europäischen Energienetz abkoppeln zu wollen und bestritt, auf Energielieferungen aus dem Ausland auch nur zeitweilig angewiesen zu sein. Sie fände Klimaschutz durchaus sinnvoll, aber das völlig überhöhte Tempo dabei werde Frankreich von Europa – allen voran von Deutschland – aufgezwungen. Die strategische Partnerschaft mit Deutschland werde sie ohnehin deutlich zurückfahren.
Teure Versprechen Le Pens ohne Finanzierung
Le Pen versprach hier 10 Milliarden Euro für Schulen, dort für neue Gefängnisse, die Rente mit 60 – spätestens – und jedes Jahr drei Prozent Lohnerhöhung für alle staatlichen Bediensteten, für Lehrer*innen und medizinisches Personal. Wie das alles finanzieren? Die Erklärung blieb sie schuldig.
So sah sich Macron bisweilen zu einer Art „Rollentausch“ gezwungen und in die Position des Angreifers zu wechseln. Einerseits musste er die Fakten klarstellen, durfte dabei aber andererseits möglichst wenig dem Klischee entsprechen, er sei ein arroganter Oberlehrer. Das gelang ihm zu guten Teilen, aber nicht durchgängig. Deutlich punkten konnte er, als er Le Pen ihre Putin-Nähe vorhielt, und das nicht nur in Finanzfragen. Er bestand darauf, gerade jetzt, im Angesicht des russischen Angriffs- und Vernichtungskriegs gegen die Ukraine müsse Europa, müsse die EU einiger und souveräner werden.
Mehrheit sieht Marcon als TV-Sieger
Das endgültige Ergebnis wird sich erst am Sonntagabend, nach der Stimmabgabe erweisen. Aber natürlich gibt es erste Umfragen, die belegen, wie die Französinnen und Franzosen das TV-Duell bewerten, erstaunlicherweise mit relativ geringen Unterschieden zwischen den Instituten.
Eine Mehrheit von 59 bis 64 Prozent findet, Macron habe das Duell für sich entschieden. Während 97 Prozent der Macron-Unterstützer ihren Kandidaten vorne sahen, gilt das andersherum nur für 85 Prozent der Le Pen-Anhänger. Wichtig für den Wahlausgang ist, was die Wähler des Linksnationalen Mélenchon denken: Laut dem Elabe-Institut fanden sie Emmanuel Macron mit 61 Prozent überzeugender gegenüber 39 Prozent für Marine Le Pen.
Wechsel im Élysée-Palast möglich
Die nach der Debatte durchgeführte Umfrage zeigt auch, dass Macron von 49 Prozent der Zuschauer (31 Prozent Le Pen) als dynamischer angesehen wurde. Für ehrlicher hielten ihn 36 Prozent (34 Prozent Le Pen). Er sei besser für Frankreich sagten 44 Prozent gegenüber 31 Prozent für Le Pen. Exakt eine Hälfte der Befragten hält Macron für den arroganteren Anwärter, die andere Le Pen für besorgniserregend.
Vier Tage noch, dann wird die Entscheidung gefallen sein. Und auch wenn die meisten Umfragen dem amtierenden Präsidenten Macron die größeren Siegeschancen bescheinigen, entschieden ist noch nichts. Noch ist auch ein Wechsel im Élysée-Palast möglich und der hätte heftige Auswirkungen, auf Frankreich und auf Europa.