Gescheiterte Staaten: Sudan

Aus ein macht zwei

Jérôme Cholet13. September 2011

"Die Regierung im Süden verfügt nicht über das Gewaltmonopol. Sie kann weder weite Teile des Territoriums kontrollieren noch die Sicherheit der Bevölkerung garantieren," sagt Anja Dargatz von
der Friedrich-Ebert-Stiftung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, "im Norden ist die Staatskontrolle sehr ausgeprägt, hier fehlt es jedoch an der sozialen Grundversorgung. Die Wirtschaft ist
sehr einseitig ausgerichtet und Armut weit verbreitet."

Als der Sudan 1956 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, sahen sich die Menschen im Süden betrogen. Die europäische Grenzziehung hatte den überwiegend christlich-animistischen Süden dem
arabisch geprägten, islamischen Norden zugesprochen und die neuen Machthaber in der Hauptstadt Khartum alsbald alle Versprechen eines föderalen Staates vergessen.

Gewaltige Herausforderungen nach blutigem Bürgerkrieg

Ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd kostete etwa 1,5 Millionen Menschen das Leben, mehr als vier Millionen wurden zu Flüchtlingen. Erst im Jahr 2005 einigten sich beide Seiten
auf einen umfassenden Friedensplan. Der Südsudan sollte mehr Autonomie erhalten und in einem Referendum selber bestimmen, ob er sich vom Norden abspalten will.

Im Januar diesen Jahres schließlich stimmte die große Mehrheit der Bevölkerung des Südsudan für die Gründung eines eigenen Staates und feierte am 9. Juli die Unabhängigkeit. Doch die acht
Millionen Südsudanesen stehen vor gewaltigen Herausforderungen.

Die neue Hauptstadt Juba kann sich nicht selber versorgen, die wenigsten Straßen sind asphaltiert, es fehlt an Wasser, Strom, Schulen und Krankenhäusern. Jedes siebte Kind stirbt vor dem
fünften Geburtstag. Weniger als die Hälfte der Kinder besuchen die Grundschule. 84 Prozent der Frauen können nicht Lesen und Schreiben. Nur sechs Prozent der Mädchen, die mit Schulunterricht
beginnen, schaffen auch einen Abschluss. Jedes Jahr sterben etwa 1.500 Menschen wegen interner Streitigkeiten um Weiden und Boden, die Zivilbevölkerung ist hochbewaffnet.

Landwirtschaft liegt brach

Und durch den Bürgerkrieg ist die Infrastruktur des Südens weitestgehend zerstört. Die Landwirtschaft liegt brach, das Land hängt am Öltropf. Zwar befinden sich die wichtigsten Reserven im
Süden, die Pipelines gehen jedoch weiterhin durch den Norden, um das Öl über das Rote Meer zu verschiffen. Und trotz formeller Anerkennung durch den einstigen Erzfeind und Nachbarn im Norden,
sind viele Fragen noch offen. Wie werden die Schulden des Landes, wie die Ölerlöse verteilt? Wie verlaufen die Grenzen? Was passiert in den Unruheprovinzen?

In der Abyei-Region steht noch ein Referendum aus, welchem Staat sich die lokale Bevölkerung zuordnen möchte. Der Konflikt entzweit das Volk der Dinka Ngok, die mit ihren großen Agrarflächen
dem Süden beitreten wollen und die arabischen Misseriya, die mit ihren großen Viehherden ein Interesse daran haben, dem Norden zugeordnet zu werden. Und aus den Hauptstädten Juba und Khartoum
wird immer wieder versucht, Einfluss auszuüben. Nach Bombenabwürfen, Soldatenübergriffen und Razzien überwachen derzeit Friedenstruppen der Afrikanischen Union die Region. Und auch in der Provinz
Südkordofan hatte sich eine kleine Bevölkerungsgruppe immer für einen laizistischen Gesamtstaat ausgesprochen. Nun sehen sich die Einwohner dem Norden zugeordnet, der die islamische Scharia zur
Rechtsgrundlage machen möchte - und üben Protest.

Beide Regionen könnten Ausgangspunkt eines neuen, umfassenden Bürgerkrieges zwischen Norden und Süden werden, dabei kämpft der Norden gleichzeitig noch in Darfur und der Süden sieht sich von
der Volksgruppe der Nuer herausgefordert.

Krieg ohen Waffen

Nach innen steht der neue südsudanesische Präsident Salva Kiir Mayardit vor der Herausforderungen aus seiner Rebellengruppe eine politische Partei aufbauen, die Demokratie des Landes
absichern sowie Korruption und Stammesdenken überwinden zu müssen. Und auch sein Kollege Omar al-Baschir steht im Inneren massiv unter Druck, die Einheit des Landes verraten zu haben. Wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen in der westlichen Darfur-Provinz wird er zudem mit einem internationalen Haftbefehl vom Internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag gesucht. Darüber hinaus ist die Wirtschaft seines Reststaates von dem Verlust der Ölreserven getroffen. Experten gehen davon aus, dass der Haushalt um 36 Prozent einbrechen wird.

Zwischen beiden Präsidenten kriselt es bereits. "Im Norden sind mit der Unabhängigkeit des Süden die ganzen inneren Spannungen aufgebrochen. Derzeit setzt Khartoum auf Machtdemonstrationen
statt sich schnell und gütlich zu einigen," sagt Anja Dargatz, "es besteht die Gefahr eines dauerhaften 'Krieges ohne Waffen' zwischen Nord und Süd. Aber: die Probleme sind nicht unüberwindlich,
wenn der politische Wille da ist, sie zu lösen. Und die Interessen sind viel komplementärer als es scheint."

vorwärts.de
wird sich in einer Serie den "Failed States" annehmen und schauen, was Deutschland tun kann und sollte. Mehr Informationen unter
www.fundforpeace.org