
Viel Spielraum sehen die beiden SPD-Vorsitzenden nicht bei den aktuellen Corona-Maßnahmen – schon gar keinen bei Lockerungen. Stattdessen forderten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am Montag dazu auf, vor allem die Schutzmaßnahmen in den Betrieben und Unternehmen in den Blick zu nehmen. „Nach neun Monaten sind die Menschen ziemlich mürbe“, sagte Esken mit Blick auf die Coronakrise. Deswegen hält sie weitere Kontaktbeschränkungen im Privatbereich derzeit für nicht zumutbar, wohl aber im Arbeitsleben. „Wir brauchen mehr Homeoffice. Nicht irgendwann, sondern jetzt!“, appellierte sie nach der Sitzung des Präsidiums vorrangig an die Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen noch ins Büro beordern, obwohl viele Tätigkeiten auch Zuhause ausgeübt werden könnten.
„Damit entlasten wir auch den öffentlichen Nahverkehr. Das ist dringend nötig“, ergänzte sie. Wo Homeoffice nicht möglich sei, so ihr Co-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans, müssten indes FFP2-Masken zur Pflicht werden und die Mitarbeiter*innen außerdem regelmäßig mit Schnelltests auf Corona-Infektionen getestet werden. „Es ist wichtig, dass die Bereitschaft wächst, Homeoffice zu ermöglichen.“ Dabei schickte die SPD auch eine kleine Drohnung an die Arbeitgeber*innen: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) habe auch die Möglichkeit, Homeoffice anzuordnen, wo es möglich ist. Wenn das nötig sei, würde davon auch Gebrauch gemacht werden, so Esken.
Dies bekräftigte Arbeitsminister Heil selbst am Montagnachmittag während eines Pressestatements. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende kündigte an, die Regeln für den Corona-Schutz am Arbeitsplatz verschärfen und zudem den Druck auf Arbeitgeber erhöhen zu wollen, um mehr Homeoffice zu ermöglichen. Seine Vorschläge wolle er im Detail zunächst innerhalb der Bundesregierung sowie mit den Ministerpräsident*innen abstimmen. Diese sollen bei ihrem Treffen am Dienstag eine politische Entscheidung darüber treffen. Auf Grundlage des Arbeitsschutzkontrollgesetzes könnte dann eine Rechtsverordnung folgen. „Wir werden zu mehr Verbindlichkeit kommen müssen“, sagte Heil zum Thema Homeoffice.
Lockdown durchsetzen statt verschärfen
Im Übrigen pochten Esken und Walter-Borjans darauf, bestehende Maßnahmen erst mal konsequent durchzusetzen, statt neue Einschränkungen zu beschließen. Dabei teilte die SPD-Vorsitzende auch gegen CSU-Chef Markus Söder aus – ohne den bayerischen Ministerpräsidenten beim Namen zu nennen. „Wir brauchen ein gut abgestimmtes Vorgehen, das den Menschen in diesen unsicheren Zeiten Sicherheit und Orientierung gibt“, mahnte sie nach der Sitzung des SPD-Präsidiums. „Da hilft es aber nicht, wenn Länderchefs immer mal wieder mit einer Maßnahme vorpreschen, nur um eine Duftmarke zu setzen.“ Das verunsichere nur. Der CSU-Chef hatte in den vergangenen Tagen beispielsweise von einer Impfpflicht für Pflegepersonal gesprochen, neue Kontrollen an den Landesgrenzen ins Spiel gebracht und im Freistaat eine FFP2-Maskenpflicht für Einzelhandel und Nahverkehr verordnet. Die SPD in Bayern kritisierte Söder deswegen auch schon als „Ankündigungsmeister“, weil die vielen Ankündigungen oft nur ungenügend umgesetzt würden.
Indes dominierte in den vergangenen Tagen unter den Länderchef*innen bereits die Ansicht, dass an Lockerungen derzeit nicht zu denken ist – obwohl die Infektionszahlen in den vergangenen Tagen etwas gesunken waren. Allerdings ist die Datenlage zu den Neuinfektionen immernoch lückenhaft, vor allem mit Blick auf die neue Mutation des Coronavirus, gab auch Saskia Esken zu bedenken. „Aber trotzdem sind vergangene Woche wieder 6.000 Menschen an oder mit Corona gestorben“, so die Sozialdemokratin weiter. Die Haltung der SPD zu den bestehenden Maßnahmen sei eine grundsätzliche, auch unabhängig von der Verbreitung der hochansteckenden Mutation aus Großbritannien hierzulande.
Informationskampagne statt Impfpflicht-Debatte
Deswegen hält Esken auch für den Schulbereich einen Regelbetrieb in absehbarer Zeit für undenkbar. Stattdessen pocht sie auf flächendeckende digitale Angebote für den Unterricht. Davon gehen indes auch die Kultusminister*innen der Länder offenbar nicht aus. Und statt einer Debatte über eine Impfpflicht oder Privilegien für Geimpfte halten die beiden SPD-Vorsitzenden Appelle und eine breite Informationskampagne für die Impfungen für wesentlich sinnvoller.
Am Dienstag beraten sich die Ministerpräsident*innen und die Bundesregierung erneut, um das weitere Vorgehen im Kampf gegen die Corona-Pandemie zu koordinieren. Im Mittelpunkt steht die Debatte um eine weitere Verschärfung und Verlängerung des Lockdowns, da die Infektionszahlen weiterhin noch weit von dem Zielwert von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern entfernt sind. Liegt der Wert unter 50, sollte es den Gesundheitsämtern wieder möglich sein, die Infektionsketten und Kontakte flächendeckend nachzuverfolgen und so die Corona-Pandemie wieder unter Kontrolle zu behalten.
Im Vorfeld kursierten Überlegungen zu bundesweiten Ausgangssperren und Kapazitätsgrenzen im ÖPNV sowie eine Ausweitung der Maskenpflicht am Arbeitsplatz, wie auch der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach im Gespräch mit dem „vorwärts“ vorschlug.