„Energiedrehscheibe 2.0“

LNG, Wasserstoff, gute Arbeit: Wilhelmshaven hofft auf grünen Boom

Benedikt Dittrich06. Mai 2022
Wilhelmshaven könnte der erste Hafen mit einem LNG-Terminal werden.
Wilhelmshaven könnte der erste Hafen mit einem LNG-Terminal werden.
In Wilhelmshaven könnte bald Flüssiggas aus aller Welt importiert werden, bis auf ein LNG-Terminal fehlt nicht mehr viel. Doch in der Hafenstadt denkt man schon weiter: Wilhelmshaven könnte eine grüne Zukunft als „Energiedrehscheibe 2.0“ bevorstehen.

Es geht um 28 Kilometer. 28 Kilometer, die den Nordseehafen im niedersächsischen Wilhelmshaven vom Gasspeicher in Etzel trennen. Eine 28 Kilometer lange Rohrverbindung, die Deutschland unabhängiger von russischem Gas machen könnte. Alles andere, sagt Marten Gäde, Landtagskandidat der SPD vor Ort, hat ­Wilhelmshaven als „Energiedrehscheibe“ in Niedersachsen schon. „Wilhelmshaven ist prädestiniert dafür“, so Gäde über die Pläne der Bundesregierung, ein LNG-Terminal dort zu errichten. Eine solche Andockstelle ist notwendig, um Flüssiggas zu importieren, das via Schiff aus Ländern wie Katar oder den USA importiert werden kann. Bisher ist das nur über andere ­Häfen in der EU möglich, beispielsweise in den Niederlanden.

In der niedersächsischen Hafenstadt gibt es aber einen Tiefwasserhafen, in dem solche Schiffe ankern können. Pläne gab es bereits in der Vergangenheit, fertiggestellt wurde die Infrastruktur aber nie am „Jade-Weser-Port“, wie der Hafen und das Industrieareal heißen. Einer der Gründe: Das auf diese Art importierte Erdgas ist teurer als das, was per Pipeline aus Russland oder Norwegen kommt. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine will Deutschland aber die Gasimporte von dort deutlich reduzieren, sich aus der Abhängigkeit des Kriegstreibers Putin lösen. Dafür braucht es andere Import-Möglichkeiten – Wilhelmshaven könnte schneller als Brunsbüttel oder Stade diese Möglichkeit mit einem LNG-Hafen bieten*.

Die dafür notwendige Verbindung: das besagte 28 Kilometer lange Rohr zum nächsten Gasspeicher. Der Bau könnte nach Aussage der beteiligten Firmen schon nach neun Monaten abgeschlossen sein. „Das Problem ist das Baurecht“, sagt Gäde, denn die Genehmigung dafür fehlt noch.

Transformation mit Tempo

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) hat aber bereits angekündigt, dass er Tempo machen will bei der Transformation, schon mit vorläufigen Genehmigungen bauen lassen, beispielsweise. Seine Devise: So schnell wie möglich russische Energieimporte reduzieren. Die Funktion des noch nicht gebauten LNG-Terminals könnten außerdem Schiffe übernehmen, die es bereits gibt: Direkt an Bord kann dort das Flüssiggas wieder in den gasförmigen Zustand umgewandelt und weitertransportiert werden. Der Energiekonzern Uniper konnte jüngst vermelden, dass ein solches Schiff schon bereitsteht. Das Unternehmen hatte voriges Jahr die LNG-­Pläne vor Ort auf Eis gelegt, Uniper betreibt außerdem den Gasspeicher in Etzel.

Es geht Lies dabei aber nicht nur um kurzfristige Importe von fossilem Gas: Auch künftig werde Deutschland Energie importieren – nur dann in Form von klimaneutral produziertem Wasserstoff, wie er im Gespräch erklärt. 100 Prozent ­Erneuerbare Energien „made in ­Germany“, inklusive diesem grünen Wasserstoff, und komplett ohne Importe, das wird wohl nicht möglich sein. Der Meinung ist auch Energieökonomin Claudia Kemfert.

(Lesen Sie hier das „vorwärts“-Titelgespräch zwischen Ökonomin Claudia Kemfert und Umweltminister Olaf Lies)

Chance für gute Arbeit

So oder so: Für die Menschen und die Wirtschaft in Wilhelmshaven, den Landkreis Wittmund und die Region sieht Marten Gäde große Chancen. Die Stadt Wilhelmshaven hat mit rund zehn Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Niedersachsen. Deshalb liegen den Sozialdemokrat*innen vor Ort vor allem gut bezahlte Arbeitsplätze für qualifiziertes Fachpersonal am Herzen.

Die Pläne für die Wasserstoff­industrie sind deswegen bereits gereift: Mehrere Projekte waren schon 2021 in der Planung. Eine Zukunftsvision, die der Region zum Aufschwung verhelfen könnte. Und in der die norddeutsche ­Hafenstadt einen wesentlichen Beitrag zur Transformation der Wirtschaft in ganz Deutschland leisten könnte.
Dass bisher kein Flüssiggas importiert wurde, kommt allerdings nicht von ungefähr: „LNG ist schon immer umstritten“, meint Gäde, das gilt auch für die Situation vor Ort. Umweltverbände waren und sind dagegen, weil Fracking besonders umweltschädlich ist, und beispielsweise in den USA besonders viel Erdgas auf diese Weise gefördert wird. Mit den Flüssiggas-Tankern würde dieses Fracking-Gas auch nach Deutschland kommen.

Doch mit dem Krieg, mit der Zeitenwende, sind Dinge in Bewegung geraten, registriert Gäde auch vor Ort: Inzwischen gibt es aus seiner Sicht in der Bevölkerung eine Mehrheit für das Terminal. Vor ­einem Jahr sei das noch anders ­gewesen.

Potenzial von grünem Boom

Derweil steckt die Region bereits mitten im Wandel: Ende Dezember wurde das Kohlekraftwerk vor Ort stillgelegt. „Strukturhilfen gibt es dafür schon“, sagt Gäde, „aber die Gelder sind noch nicht da.“ Doch sein Blick geht noch weiter zurück: 1991 schloss das Werk des Schreibmaschinenherstellers Olympia, viele Menschen verloren damals ihren Arbeitsplatz. „Davon hat sich Wilhelmshaven nur langsam erholt“, sagt der Sozialdemokrat. Vor der Pandemie ging es seiner Ansicht nach bergauf, dann kam der Corona-Dämpfer. Jetzt hofft Gäde auf einen neuen „Boom“, angetrieben von der Produktion grüner Energie in der Region, die ansonsten von Tourismus geprägt und sowohl Gesundheits- als auch Marinestandort ist.

SPD-Landtagskandidat für Wilhelmshaven: Marten Gäde.
SPD-Landtagskandidat für Wilhelmshaven: Marten Gäde.

Die Chancen dafür sieht nicht nur der Sozialdemokrat: Schon im April 2021 legte die Stadt zusammen mit Wirtschaftsverbänden eine Potenzialanalyse für Wilhelmshaven als „Energiedrehscheibe 2.0“ vor. Unter diesem Schlagwort könnte sich Wilhelmshaven als ein Knotenpunkt für neue Formen der Energieerzeugung etablieren, schreiben die Autoren der Analyse. Verbindungen werden dabei unter anderem zum „Green Deal“ der Europä­ischen Union gezogen bis hin zur konkreten Bedeutung von grünem Wasserstoff, der klimaneutral mittels Elektrolyse ­erzeugt werden kann und das fossile Erdgas in der Industrie ersetzen soll. Was die Fördermöglichkeiten für Wilhelmshaven angeht, ziehen die ­Autor*innen ein positives Fazit: Die Rede ist von zahlreichen technologischen Möglichkeiten, Finanzierungsprogrammen und Fördermöglichkeiten für die Hafenstadt als „Energiedrehscheibe 2.0“.

Im Fokus steht dabei vor allem das künftige Potenzial: Der Import von Wasserstoff, die Produktion von synthetischen Kraftstoffen und die Stromproduktion über Windkraftanlagen in der Nordsee. Wilhelmshaven kommt dabei die Infrastruktur als bisherige „fossile Drehscheibe“ zugute: Gasspeicher, Raffinieren, Tanklager, Strom und Gasleitungen sind bereits vorhanden und könnten weitergenutzt werden.

Doch so weit ist man in Wilhelmshaven, in Niedersachsen nicht. Noch nicht. Erst mal geht es nur um ein 28 Kilometer langes Rohr vom Hafen bis zum nächsten Gasspeicher.

*Anfang Mai 2022 haben die Bauarbeiten am LNG-Terminal in Wilhelmshaven begonnen. Wir haben mit Marten Gäde und Olaf Lies bereits im April gesprochen.

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Kommentare

LNG

Da ist nix Grünes dran, genausowenig wie die Konversion von Nahrungs- und Futtermittel in "Bio"gas oder "Bio"sprit.