Selbstbewußt erwartet und doch Aufatmen im Lager der französischen Sozialisten (PS) über den Sieg: Mit insgesamt 47 Prozent der in der 1. Runde der Parlamentswahl abgegebenen Stimmen kann die gesamte Linke mit einer absoluten Abgeordnetenmehrheit in der Stichwahl am nächsten Sonntag rechnen. Dann wird auch endgültig über die Sitzverteilung entschieden. Damit hätte sie die bürgerliche Mehrheit von Nicolas Sarkozy abgelöst. Die PS allein kommt auf 35 Prozent.
Eine genaue Ausrechnung der Mandate ist noch nicht möglich, weil sich in diesen Tagen die Parteilager absprechen, wer wen in der Stichwahl unterstützt. Nur wer mindestens 12,5 Prozent Stimmen erhielt kann für den letzten Durchgang antreten. Direkt – mit über 50 Prozent – wurden am Sonntag nur wenige Politiker gewählt, darunter der sozialistische Premierminister Jean-Marc Ayrault in Nantes und Außenminister Laurent Fabius im Norden Frankreichs. Minister, die ihren Wahlkreis verlieren, müssen auf Anordnung von Präsident Francois Hollande die Regierung verlassen.
Die Sozialisten können am 17. Juni mit 300 bis 350 Sitzen rechnen. Damit hätten sie in der Kammer die absolute Mehrheit (289). Ob die sozialistische Partei (PS) sie allein erringt, ist nicht sicher. Die bisherige Regierungspartei UMP (Union für eine Volksbewegung) kommt ebenfalls auf 35 Prozent (sie verlor 10 Prozent im Vergleich zur Legislativwahl 2007), kann aber nichts hinzugewinnen, weil auf der rechten Seite der extreme Front National (13,6 Prozent) keine Wahlempfehlung für die UMP aussprechen wird. Die Partei des am 6. Mai geschlagenen Sarkozy wird sich mit 210 bis 256 Mandaten zufrieden geben und in die Opposition gehen müssen.
Machterweiterung ohne Vorbild
Gewinnt die Linke wie vorausgesagt die absolute Mehrheit hätte Hollande in der Grande Nation unbeschränkte Macht. Es wäre das erste Mal, dass in Frankreich eine Linkspartei den Präsidenten und zugleich die Mehrheit in beiden Parlamentskammern (Nationalversammlung und Senat) stellt. Weiter dominieren die Linken in Kommunen, Regionen und Departements. Großstädte wie Paris, Lyon und Nantes werden von Sozialisten regiert. Wie Hollande und sein Regierungschef Ayrault die gebündelte Macht einsetzen wollen, dürften die drei SPD-Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel, Frank-Werner Steinmaier und Peer Steinbrück in Paris direkt erfahren, wenn der Präsident sie an diesem Mittwoch im Elyséepalast empfängt.
Aufmerksam wird der Einfluss der rechtsradikalen Führerin Marine Le Pen (Front National) verfolgt. Die 43-Jährige hat sich erstaunlich erfolgreich im nordfranzösischen Wahlkreis Hénin-Beaumont mit 42,36 Prozent geschlagen. Sie übertraf deutlich ihr Ergebnis der 1. Runde der Präsidentenwahl am 6. Mai. Sie muss am Sonntag gegen den sozialistischen Bewerber Philippe Kemel (23,5 Prozent) antreten. Gewinnt sie den Sitz in der Kammer, säße nach langen Jahren wieder eine Ultrarechte auf den Hinterbänken des Plenums. Aber Kemel wird alle linken und liberalen Kräfte mobilisieren, um die blonde Rechtsradikale von der Kammer fernzuhalten.
Volkstribun scheitert an Rechtsradikale
Die Grünen, Bündnispartner der Parti Socialiste, erhielten 5,1 Prozent, sie werden mit 12 bis 16 Sitzen rechnen können. Das Linksbündnis (Front de Gauche) erkämpfte sich 6,5 Prozent, aber ihr Chef Jean-Luc Mélenchon, der landesweit als Volkstribun im Wahlkreis der Le Pen auftrat, schied überraschend aus; die Extremistin hat in Nordfrankreich die stärkeren Bataillone. Dennoch dürfte das Linksbündnis 13 bis 18 Sitze erhalten.
Der sich deutlich abzeichnende Sieg der Linken wirft in den Medien die Frage auf, wie zügig nun Hollande die versprochenen Reformen aufgreift. Der 57-Jährige hat eine weitgehende Steuerreform angekündigt, wobei die Einkünfte von Topmanagern in Staatsbetrieben gedeckelt werden sollen. Hollande will keine Supereinkommen mehr dulden, ein Vorstandschef soll nur noch 20 Mal so viel verdienen wie der Mindestlohn in seinem Unternehmen. Betroffen sind davon der Stromversorger EDF, die Post, Erdölfirmen und die Pariser Flughäfen. Besonders erwartet aber werden Maßnahmen der Regierung, der Arbeitslosigkeit gerade der Jungen entschlossen zu Leibe zu rücken.