
Eine Koalition besteht aus Kompromissen – das gilt natürlich auch für die große Koalition im Bund. Um Einigkeit zwischen SPD, CDU und CSU herzustellen, waren oft viele lange Sitzungen nötig, angefangen bei der Grundrente über den Klimaschutz bis hin zum Konjunkturprogramm. Aber: Am Ende gab es Entscheidungen, Vereinbarungen und drängende Probleme konnten zumindest teilweise gelöst werden.
Nun scheinen sich die Blockaden auf Seiten der Union zu häufen – und zwar querbeet vor allem in Feldern, in denen die SPD auf Veränderungen drängt. Manche Vorhaben wurden schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben, andere bereits im Kabinett vereinbart. Trotzdem scheinen die Hürden gerade eher höher als kleiner zu werden.
Lieferketten
Verletzung von Grundrechten, Umweltschutz-Standards – oder schlicht Transparenz um die Herkunft von Produkten: Vieles spricht dafür, dass Produktions- und Lieferketten weltweit nachverfolgbar sein müssen. Doch das Gegenteil ist der Fall, oft sind die Transportwege undurchschaubar. Bisher sind Unternehmen in Europa auch nicht in der Pflicht, diese Lieferketten nachzuweisen – und entziehen sich damit einem Teil ihrer Verantwortung, wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe erklärt. Das will SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ändern, aber auch CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller und Unterstützung gibt es dafür unter anderem von „Brot für die Welt“. Doch bisher prallen die Forderungen im Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) und bei verschiedenen Unternehmen auf Widerstand, doch längst nicht bei allen. Auch ein Spitzengespräch der drei Minister im September brachte bisher keine Einigung. Ausgang: offen.
Recht auf Homeoffice
Die Pandemie habe uns einen Großversuch in Sachen Homeoffice gebracht, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Das sei unfreiwillig und für viele Beschäftigte nicht besonders romantisch gewesen, fügt er in einem Interview mit dem „vorwärts“ hinzu. „Aber andere haben die Erfahrung gemacht, dass plötzlich möglich war, was früher für unmöglich erklärt wurde.“ Heil fordert deshalb einen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten und stützt sich dabei auf Studien, wonach sich Beschäftigte mehrheitlich einen entsprechenden Anspruch wünschen.
Danach sollen Arbeitnehmer*innen dort, wo es möglich ist, einen gesetzlichen Anspruch auf mindestens 24 Tage mobiles Arbeiten im Jahr erhalten. Arbeitgeber*innen sollen künftig nicht mehr willkürlich oder aus Prinzip Nein sagen können, sondern nur wenn betriebliche Gründe dagegen sprechen. Die von Heil vorgesehenen 24 Tage sieht er dabei als Untergrenze. Darüber hinaus gehende Vereinbarungen seien zwischen den Tarifparteien jederzeit möglich. Die Union lehnt das Arbeiten von zu Hause zwar generell nicht ab, wehrt sich aber gegen einen Rechtsanspruch.
„Sauereien“ in der Fleischindustrie
Auch ein weiteres, von SPD-Minister Hubertus Heil vorgelegtes Gesetz wird von der Union blockiert: das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Dabei war die Empörung im Sommer groß: Politik und Öffentlichkeit waren sich einig, die Missstände in der Fleischindustrie, die unter anderem zu hunderten von Corona-Infektionen geführt hatten, zu beenden. Um Beschäftigte besser zu schützen, hatte sich die Koalition auf ein von SPD-Minister Hubertus Heil vorgelegtes Arbeitsschutzkontrollgesetz geeinigt. Werkverträge und Leiharbeit sollten verboten, Standards für Massenunterkünfte und eine digitale Zeiterfassung durchgesetzt werden. Die Maßnahmen sollten bereits zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten, doch dann nahm die Union das Gesetz von der Tagesordnung. Für Heil ein klares Zeichen, dass Lobbyist*innen versuchten „Sand ins Getriebe zu bringen“, wie er zu Beginn der Woche in Berlin kritisierte.
Trotz bereits getroffener Vereinbarungen versuche der Koalitionspartner zurzeit das Gesetz auszubremsen. Dabei gehe es um Arbeitsverhältnisse, „die schon vor Corona nicht in Ordnung waren, weil vor allem Menschen aus Ost- und Mitteleuropa ausgebeutet worden sind“, betont der Bundesarbeitsminister. Unter den Bedingungen der Pandemie seien diese Arbeitsverhältnisse zu einem allgemeinen Gesundheitsrisiko geworden. Konkret verlange die Union eine Öffnungsklausel bei der Leiharbeit, erklärte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch in Berlin. Er bedauere diese Blockade, betonte Mützenich, machte aber deutlich: „Wir wollen am Verbot festhalten!“
Demokratiefördergesetz
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe twitterte hierzu: „Und leider ist die CDU/CSU nicht nur in dieser Frage ein Klotz! Sondern auch gegen ein „Demokratiegesetz., brauchen wir in diese Zeiten dringender denn je...“, so Kiziltepe. Um Initiativen und Strukturen im Bereich der Extremismusprävention und Demokratieförderung längerfristig und verlässlich fördern zu können, bedarf es neben der Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen einer stabilen Rechtsgrundlage. Dies ist bislang nicht gegeben. Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey fordert daher seit langem ein Demokratiefördergesetz, erklärt dazu ein Sprecher des Ministeriums. Ein solches Demokratiefördergesetz sei auch Gegenstand der Beratungen des Kabinettausschusses der Bundesregierung, der ressortübergreifende Abstimmungsprozess noch nicht abgeschlossen. Elisabeth Kaiser, Mitglied der Arbeitsgruppe Bürgerschaftliches Engagement der SPD-Bundestagsfraktion, betonte im Interview über „Demokratie braucht mehr politische Bildung“, dass die Union neben einigen anderen Gesetzen derzeit eben auch das Demokratiefördergesetz blockiere. Zwar soll das Programm „Demokratie leben“ ausgebaut werden, das sei aber kein Demokratiefördergesetz. „Dementsprechend bereiten wir uns auf den Wahlkampf vor und wollen unsere Ideen zur Stärkung politischer Bildung und Demokratieförderung im Regierungsprogramm verankern.“
Frauen in Führungspositionen
Es war ein überraschender Vorschlag, den Markus Söder da am Mittwoch verlautbaren ließ. Überraschend nicht aufgrund des Inhaltes, der ist seit langem bekannt, als Forderung der SPD. Vielmehr überraschte es, dass sich ausgerechnet der CSU-Vorsitzende für eine Frauenquote in Vorständen von Dax-Unternehmen aussprach. Denn den fertigen Gesetzesentwurf der SPD-Ministerinnen Franziska Giffey und Christine Lambrecht blockiert bislang einzig die Union. CDU-Wirtschaftsminister wiegelte gar mit der Äußerung ab, dies sei Unternehmen angesichts der Corona-Pandemie derzeit nicht zumutbar. Dabei zeigt sich deutlich, dass das von der Union propagierte Prinzip der Freiwilligkeit nicht aufgeht.
Im internationalen Vergleich landet Deutschland weiterhin auf dem letzten Platz, wie die jüngste Allbright-Studie eindrucksvoll zeigte. „Hier zu Lande gibt es nur vier DAX-Unternehmen mit mehr als einer Frau im Vorstand, außerdem gibt es kein einziges Großunternehmen, das von einer Frau geführt wird oder das einen Frauenanteil von 30 Prozent im Vorstand erreicht. Diese Zahlen beweisen, dass die Unternehmen regelrecht um eine Quotenregelung betteln“, meint die SPD-Bundestagsabgeordnete Josephine Ortleb. Den passenden Kommentar zu Söders Vorstoß lieferte entsprechend die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast: „Gut, dass Markus Söder einsieht, dass sich ohne Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen nichts bewegt. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch – lassen Sie uns Nägel mit Köpfen machen. Für mehr Frauen in Führungspositionen – jetzt!“
Lobbyregister
Eigentlich war im Sommer schon alles klar. Nach dem fragwürdigen Einsatz des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor für die Firma „Augustus Intelligence“ hatten CDU und CSU Ihren langjährigen Widerstand gegen die Einführung eines Lobbyregisters aufgegeben. „Unser Ziel ist das Inkrafttreten zum 1.1.2021“, sagte der zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Bartke, im Juli. Im September lag der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor.
Nach der ersten Lesung im Parlament wurde er sogar ergänzt: Das Lobbyregister soll demnach nicht nur für die Abgeordneten des Bundestags gelten, sondern auch für die Bundesregierung. Alles gut also, möchte man meinen. Kurz vor der entscheidenden zweiten und dritten Lesung Ende Oktober wurde das Lobbyregister allerdings von der Tagesordnung des Bundestags genommen – auf Initiative der SPD. Warum? Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hatte darauf gedrungen, auch den „exekutiven Fußbabdruck“ mit in das Gesetz aufzunehmen. Die Bundesregierung wäre damit verpflichtet, Gesetzentwürfen eine Liste der Interessenvertreter*innen und Sachverständigen beizufügen, die bei deren Erarbeitung mitgewirkt haben. Das allerdings will Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht.
„Wir fordern die Union und das Innenministerium auf, sich auf den Vorschlag einer exekutiven Fußspur einzulassen, so wie dies von vielen Experten, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen klar befürwortet wird“, sagt Timo Lange von „LobbyControl“. Es sei „sehr bedauerlich und unverständlich, dass die Union nun auf den letzten Metern wieder zur Transparenz-Blockiererin wird“. Für SPD-Mann Barthke ist klar: „Die SPD will ein Lobbyregister, das den Namen auch verdient und keinen zahnlosen Tiger.“
Infektionsschutzgesetz
Die dritte Änderung des Infektionsschutzgesetzes in diesem Jahr war ein großer Streitpunkt zwischen Union und SPD. Zumindest, dass sie kommt, ist inzwischen klar. Der Entwurf, auf den sich die Regierungsparteien geeinigt haben, wurde am Freitag im Bundestag beraten. Doch anders als von der SPD gefordert, enthält dieser nicht den Parlamentsvorbehalt, gegen den sich die CDU/CSU nach wie vor sträuben. Dieser würde bedeuten, dass sämtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die wesentlich in die Grundrechte der Bürger*innen eingreifen, auch vom Bundestag beschlossen werden müssten. Dafür warb die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Bärbel Bas in der Plenardebatte noch einmal: „Es schadet uns allen nicht, die Parlamentsbeteiligung auszubauen.“