Klimaretter*innen

Letzte Generation: Was ist eine „kriminelle Vereinigung“?

Christian Rath25. Mai 2023
Blockade der Letzten Generation in Berlin: Die Voraussetzungen für eine kriminelle Vereinigung sind erfüllt.
Blockade der Letzten Generation in Berlin: Die Voraussetzungen für eine kriminelle Vereinigung sind erfüllt.
Die Generalstaatsanwaltschaft München sieht in der „Letzten Generation“ eine „kriminelle Vereinigung“. Was ist da dran, was bedeutet es und welche Konsequenzen kann es haben?

Ist die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung? Das vermutet jedenfalls die Münchener Generalstaatsanwaltschaft und ließ am Mittwoch bundesweit 15 Wohnungen durchsuchen. Damit hat sie eine lebhafte politische und juristische Debatte ausgelöst.

Immer wieder heißt es, man dürfe auf die Idealist*innen keinen „Anti-Mafia-Paragrafen“ anwenden. Doch richtet sich der Straf-Paragraf 129, der kriminelle Vereinigungen verbietet, wirklich gegen die Organisierte Kriminalität? Historisch ging es eher gegen politische Gruppierungen.

Wer bisher als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft wurde

Die Vorgängernorm im Kaiserreich stellte „staatsfeindliche Verbindungen“ unter Strafe. Sie wurde auch gegen Sozialdemokrat*innen angewandt. In der Weimarer Republik geriet die kommunistische KPD in den Fokus. 1951 wurde die Norm modernisiert, sie wendet sich jetzt gegen „kriminelle Vereinigungen“. Und wieder traf es stark die (1956 verbotene) KPD. Anfang der 1970er-Jahre galt die so genannte Baader-Meinhof-Bande (RAF) als kriminelle Vereinigung, bis 1976 für „terroristische Vereinigungen“ mit Paragraf 129a eine noch schärfere Strafvorschrift geschaffen wurde.

Paragraf 129 blieb aber anwendbar. So galt die kurdische PKK, seit sie 1999 auf Anschläge in Deutschland verzichtete, nur noch als kriminelle Vereinigung. Auch die Rechtsrock-Band „Landser“ wurde 2005 vom Bundesgerichtshof (BGH) als kriminelle Vereinigung eingestuft. Ihr Ziel sei die Verbreitung strafbarer Texte. Aktuell verhandelt das Oberlandesgericht Dresden gegen eine militante Antifagruppe, die in Ostdeutschland Neonazis verprügelte.

Doch es gibt auch unpolitische Anwendungsfelder. So gelten einzelne Chapter von Rockergruppen, etwa der „Bandido“s, als kriminelle Vereinigung. 2015 stufte der Bundesgerichtshof zudem Fußball-Hooligans, die sich zum Prügeln im Wald trafen, als kriminelle Vereinigung ein.

Die „Letzte Generation“ erfüllt die Voraussetzung

Und mit solchen Gruppen soll die Letzte Generation nun in einen Topf geworfen werden? Doch darauf kommt es im Strafrecht nicht an. Entscheidend ist, ob der im Strafgesetzbuch beschriebene Tatbestand erfüllt ist. Und bei Paragraf 129 geht es darum, dass „Zweck oder Tätigkeit“ einer Vereinigung „auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“.

Im Falle der Letzten Generation sind diese Voraussetzungen erfüllt. Sie führt vor allem Straßenblockaden durch, die über bloße symbolische Aktionen hinausgehen. Dafür werden die Aktivist*innen regelmäßig wegen Nötigung verurteilt, die Höchststrafe für Nötigung beträgt drei Jahre.

Dennoch haben sich die Staatsanwaltschaften lange Zeit damit begnügt, nur die einzelnen Blockaden anzuklagen, ohne eine kriminelle Vereinigung anzunehmen. Grund dafür war, dass der BGH schon seit langem für kriminelle Vereinigungen zusätzlich eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verlangt und die Staatsanwaltschaft diese Gefahr in den nur lästigen Verkehrs-Staus nicht erkennen konnte. Auch nach einer Neuregelung von Paragraf 129 im Jahr 2017 hielt der BGH an dieser zusätzlichen Erheblichkeitsschwelle fest.

Nun muss das Gericht entscheiden

Wohl auch deshalb hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin, die im Vorjahr als erste Anklagebehörde die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung bezeichnete, nicht auf die Verkehrsblockaden abgestellt, sondern auf Sabotage-Akte an Raffinerien und Pipelines in Schwedt.

Und auch die Münchener Generalstaatsanwaltschaft erwähnte in ihrer Pressemitteilung zu den jüngsten Razzien solche Angriffe auf Pipelines. Es ist auch mehr von der Finanzierung der Letzten Generation die Rede, als von deren Sitzblockaden.

Ob das als Grundlage für die Hausdurchsuchungen genügt, wird vermutlich bald das Landgericht München entscheiden müssen. Die Letzte Generation hat entsprechende Rechtsmittel angekündigt. Dass die Aktivisten Anfang des Monats großspurig ankündigten, sie wollen jetzt Berlin „lahmlegen“, wird ihnen dabei aber sicher nicht nützen.

Welche Konsequenzen drohen

Ein Mittelweg könnte für die Justiz sein, nur die Führungskader der Letzten Generation als Mitglieder einer kriminellen Organisation anzuklagen, aber nicht alle Aktivist*innen einzubeziehen. Eine ähnliche Struktur der Vereinigung innerhalb der Vereinigung hatte der BGH 2004 auch für die Führungsebene der kurdischen PKK angenommen. Auch die Münchener Staatsanwält*innen sprachen zunächst nur von sieben Beschuldigten.

Was aber bringt der Staatsanwaltschaft die Annahme einer kriminellen Vereinigung? Sie ermöglicht auch die Bestrafung eventueller Hinterleute und Unterstützer*innen der Letzten Generation. Außerdem können so auch Telefone abgehört werden, was bei bloßen Nötigungsdelikten nicht möglich wäre.

Nicht zuletzt geht es aber auch um eine symbolische Ausgrenzung der Aktivist*innen und ein Tatkraft-Symbol an die genervten Bürger*innen. In Bayern wird immerhin in diesem Jahr gewählt.

weiterführender Artikel

Kommentare

Klimakleber

Nun mag ich dieses elitäre Grüppchen ganz und gar nicht, auch wenn ich ihre Ziele eigentlich befürworte, aber mit ihren Aktionen verschaffen sie sich keine Sympathie für ihr anliegen in der breiten Öffentlichkeit und sind von daher kontraproduktiv. Da muss man argumentieren statt drein zu schlagen.
ABER: Wer kriminell oder nicht ist, das deninieren in einem Rechtsstaat die Gericht und nicht eine Staatsanwaltschaft oder eine Polizei !!!!

Ist es die Strategie der "Sicherheitspolitiker und innen" diese Wirrköpfe zu kriminalisieren und zu radikalisieren ? Wenn ja, dann verschafft sich bei mir die "Staatsgewalt" auch keine Sympathien.

Klimakleber

Natürlich verscherzen sich die Leute von der Letzten Generation mit manchen ihrer Aktivitäten wie z.B. Beschädigung von Kunstwerken, was in absolut keinem Zusammenhang mit den Klimazielen steht, bei der Bevölkerung.

Aber die nunmehrigen Aktionen von Polizei und Justiz gegen diese Leute halte ich für total überzogen. Wo werden Leute, Firmen und andere Institutionen, die nicht Sachbeschädigung, sondern Verletzungen und Tötungen verursachen, in dieser weise verfolgt. Gerade die Skandalpolitiker wie Dobrindt und Scheuer haben es gerade nötig, in dieser Weise gegen die Klimaschützer vorzugehen, während sie selbst das Klima zerstören.

Klimakleber

Korrektur meines letzten Satzes:
Gerade die Skandalpolitiker wie Dobrindt und Scheuer haben es gerade nötig, in dieser Weise gegen die Klimaschützer vorzugehen, während sie in ihrer politischen Arbeit maßgeblich daran beteiligt sind oder waren, das Klima für die Nachwelt zu zerstören.

Befremdend

Das Klima wird auch durch Militarismus, Rüstung und Krieg geschädigt. Auf dieser Schiene sind diese Kleber allerdings nicht unterwegs.

Klebeaktionen

Leider nicht, dies würde dazugehören. Allein die Herstellung von Waffen, dann deren Transport und schließlich ihre Verwendung schadet dem Klima mehr als alles andere.

Der häufig verwendete Vorwand, die Waffenherstellung schaffe Arbeitsplätze, trifft nicht zu, da einerseits diese Firmen oft mehr Werke im Ausland unterhalten, andererseits die Produktion ohne weiteres auf nützlichere Dinge wie z.B. Eisenbahnwaggons umgestellt werden könnte.

„... nicht eine Staatsanwaltschaft oder eine Polizei !!!!“ –

und schon gar nicht ein „rechtspolitischer Korrespondent“. Das ZDF (24.5.23) sagt dazu lapidar: „Unter Juristen ist eine solche Einordnung (als kriminelle Vereinigung) umstritten“. Zur eigenen Meinung könnte ein Satz aus der (UNO-)„Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ beitragen: „Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, Armut zu beseitigen, und gleichzeitig vielleicht die letzte Generation, die noch die Chance hat, unseren Planeten zu retten“.

Retten wir unseren Planeten (- indem wir bei uns anfangen)!

was wäre wenn sich

PEGIDA Leute irgendwo ankleben würden, oder Anhänger des Dublin Verfahrens beim Asylrecht. Finden alle irgendwas im Grundgesetz, das sie bemühen könnten. Auch ok?

Wenn jeder das auf diese Weise durchsetzen darf, was er grundgesetzlich für richtig erachtet, dann mal los. Ich hab auch so ein paar Ideen. Bedingungsloses Grundeinkommen sofort, wegen des Sozialstaatsgebots. Wer macht mit?

Wehret den Anfängen! Was kommt als Nächstes?

Genau zu den Tagen, an denen die SPD mit Stolz auf ihre 160jährige Geschichte zurück blickte, haben Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ völlig ungestört das „Willy Brandt Haus“ mit Farbe beschmiert, um im Stil einer unseligen Vergangenheit die Sozialdemokratie als Feind einer klimaneutralen Zukunft zu brandmarken. Warum lässt sich die Führung der SPD mit einer solchen, genau geplanten, anmaßend demütigenden Aktion auf der Nase herum tanzen?