Bayrou ist es gelungen, als schärfster Gegner von Sarkozy aufzutreten. Seine Philippika "Machtmissbrauch" wurde ein politischer Bestseller, eine Streitschrift, die bislang die
brutalsteAbrechnung mit der Politik des konservativen Staatschefs darstellt. Wahlforscher glauben, dass enttäuschte Anhänger aus dem Präsidentenlager zum MoDem überlaufen. Bayrou nutzt die
Kampagne, sich als Präsidentschaftskandidat für das Jahr 2012 in Szene zu setzen.
Die letzten Wahlumfragen bestätigen die Poolposition der Präsidentenpartei UMP und sehen sie bei 28 Prozent, die Sozialisten kommen auf 22, Bayrou auf 13 und die Partei Europe Ecologie von
Daniel Cohn-Bendit auf 10 Prozent. Für Sarkozy wäre das ein Zugewinn, verglichen mit den mageren 16,6 Prozent in der Europawahl 2004 von nahezu 12 Prozent. Nach der Umfrage des Pariser Instituts
CSA für die Zeitung "Liberation" würde die Parti Socialiste sieben Prozent verlieren, obwohl die Vorsitzende Martine Aubry keine Anstrengung scheut, mit der früheren, ungleich beliebteren
Präsidentenbewerberin Segolene Royal gemeinsam aufzutreten.
Sarkozy: Nützlich wählen!
Unterdessen könnte sich eine neue Wahlblamage um die Beteiligung abzeichnen. Weit über die Hälfte der Franzosen wollen der Urne fernbleiben. Folglich heißt die Strategie aller französischen
Parteien, die 72 Abgeordnete in die Kammer nach Straßburg entsenden, eilige Mobilisierung der Wähler. Die UMP wirft das Schlagwort "Nützlich wählen!" in die Debatte und scheut die Übertreibung
nicht, das Land brauche weiter Sarkozys "Modell Frankreich" Die PS versucht die politische Demontage des Präsidenten, kehrt aber unter dem Druck der Mitglieder zu der Wahlaussage zurück, Europa
müsse sich sozial festigen, die Schere zwischen arm und reich schließen, ein 100-Milliarden-Konjunkturprogramm auflegen und 10 Millionen Jobs im EU-Raum schaffen.
Das Vertrauen in Europas führende Rolle in der Welt ist in der Grande Nation schwer angeschlagen. Eine Mehrheit der Befragten (55 Prozent) ist davon überzeugt, die EU könne die Bürger vor
den "Folgen der internationalen Finanzkrise nicht wirksam schützen". Nur jeder Dritte denkt das Gegenteil. Junge Wähler scheinen mehr europamotiviert zu sein. Die "Liberation"-Umfrage ergibt, 39
Prozent der 18- bis 24-Jährigen glauben, die EU schütze sie vor verheerenden Auswirkungen der Krise. Bei den 50- bis 64-jährigen sind es ein Drittel, bei der Zwischengeneration (25-49) sind es
nur 28 Prozent.
Aubry: Parlament als Powermaschine
Doch die befürchtete Miniwahlbeteiligung haben sich die Parteien selbst zuzuschreiben. Ganz wenige Kandidaten sprechen von Europa. PS-Chefin Aubry sagt am Vorabend der Europawahl, sie wolle
nicht die "erste Gegnerin von Sarkozy" sein, sondern die "erste Ideengeberin": Das neue Europaparlament müsse eine sozialpolitische Powermaschine werden. Wie die Kammer in Straßburg funktioniert
- keine Antwort, der Mechanismus von Entscheidungen oder die EU-Kommission in Brüssel - kein Thema in der zumeist moderaten Debatte. Sarkozy beschränkt seinen Beitrag auf ein "Non zum türkischen
EU-Beitritt". Bayrou denkt an seine Präsidentenbewerbung 2012. Rechts- und Linksextreme geisseln in einem Atemzug Kapitalismus, Managermillionen und die Globalisierung. Aber in leisen, nicht
lauten Tönen. Unvergessen ist, auch bei den EU-Partnern, dass Paris im Mai 2005 die Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrages in einer Volksabstimmung abgelehnt hatte. Kein Kompliment für das
Europa-Engagement der Franzosen...