Frankfurter Buchmesse

Der lange Schatten des Thilo Sarrazin

10. Oktober 2010

Er ist ein Migrant. Zugegeben keiner wie man ihn sich gemeinhin vorstellt. Der Migrationshintergrund aber lässt sich nicht leugnen. Rafael Seligmann versucht das auch gar nicht, denn er ist
auf seine jüdische Herkunft durchaus stolz. Als Kind kam der heute 62-jährige Schriftsteller in die Bundesrepublik, ein Land, das seine Muter voller Nazis wähnte. Sein Vater hingegen war
überzeugt, dass es im Land des Holocausts auch nette Menschen gibt.

"Du wirst Deutschland lieben", versprach er seinem Sohn kurz vor der Ausreise aus Israel. Und genauso lautet der Titel des neuen Buchs, in dem Seligmann seine Erlebnisse in Deutschland
beschreibt.

Die neuen Juden

Es ist eins von drei Büchern, die Franz Müntefering in den vergangenen Wochen gelesen hat. Die Autoren fangen alle mit S an: Seligmann, Steinbrück und Sarrazin. "Zwei davon kann ich
uneingeschränkt empfehlen", erzählt der frühe SPD-Vorsitzende den Zuhörern am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Und schon sind der Politiker und der Autor mittendrin in der
Integrationsdebatte.

"Sarrazin ist kein Nazi", sagt Seligmann, "aber er spielt mit denselben Motiven." Wo früher der listige Jude als Bedrohung skizziert worden sei, müsse heute der dumme Moslem herhalten.
"Sarrazin haut mit dem jüdischen Florett auf den dumpfen Türkenschädel." Das scheinen auch andere so zu sehen: Ein junger Türke habe nach der Lektüre von Seligmanns Buch zu ihm gesagt: "Das ist
gut, aber Sie müssen die Juden durch die Türken ersetzen."

Das Problem sei haugemacht: "Bis vor fünf Jahren wollte niemand anerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist", kritisiert der Schriftsteller. "Vieles ist liegen geblieben", stimmt
ihm Franz Müntefering zu. "Wir haben Gastarbeiter ins Land geholt, sie aber nicht in ihrer Art angenommen." Das räche sich nun.

Bildung als Schlüssel

Und die Lösung? "Der Schlüssel ist die Bildung", ist Müntefering sicher. Das betreffe übrigens alle, nicht nur Migranten. Der Bund, die Länder und die Kommunen müssten deshalb in die
Pflicht genommen werden, mehr für die Bildung zu tun. "Wir müssen sie zwingen, sich dieser Aufgabe zu stellen."

Mehr Bildung, das klingt auch für Rafael Seligmann vielversprechend. "Ein Mindestmaß von 300 deutschen Wörtern reicht da aber nicht aus. Besser wären 3000 Wörter." Dass die Sprache ein
entscheidender Faktor ist, belege das Beispiel seines Heimatlands: "In Israel sind alle Zugewanderte, doch trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft sprechen alle Ivrit." Warum sollte Deutschland
nicht von diesen Erfahrungen eines Eingewanderten profitieren?

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