Was John Boyne in seinem neuen Roman schildert ist nicht pure Vergangenheit. Obwohl der Erste Weltkrieg bald 100 Jahre zurückliegt und das Geschehen die Leser in das England der Vor- und Nachkriegszeit sowie an einen Kriegsschauplatz in Frankreich führt.
Es ist die Zeit des großen Nivellierers, des Krieges. Der Feind war böse, der Kamerad gut. Wer sich diesem Schema verweigerte, zählte für die große Masse leicht zur Seite des Bösen. Wer nicht auf den Feind zielte, auf den wurde gezielt, der geriet ins Niemandsland. Genau davon erzählt das Buch „Das späte Geständnis des Tristan Sadler“.
Ausgestoßen
Tristan Sadler, ein gut aussehender, nach körperlicher Arbeit kräftiger junger Mann, ist gerade einmal 17 Jahre alt, als er sich freiwillig an die Front meldet. Dem beschriebenen Geist des Freund-Feind-Denkens ist er durchaus verfallen, auch oder gerade weil er selbst ein Ausgestoßener ist. Sein Vater, ein Fleischermeister, hat ihn aus dem Haus geworfen. Den möglichen Tod des Sohnes im Krieg nimmt er nicht nur billigend in Kauf, er wünscht ihn geradezu.
In der Armee findet Tristan einen Freund, Will Bancroft, der ihn die täglichen Schikanen leichter ertragen lässt und von dem er sich angenommen fühlt. Eifersüchtig reagiert Tristan auf Arthur Wolf. Der macht gemeinsam mit ihnen die militärische Grundausbildung, hat aber einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt. Zwar wird er von so gut wie allen missachtet, doch Will meint, seine Argumente müssten zumindest überdacht werden.
Gerade als Wolfs Antrag stattgegeben wird und er die Truppe verlassen und eine zivilere Arbeit hätte aufnehmen können, wird er tot aufgefunden. Will geht von Anfang an davon aus, dass Arthur Wolf von dem sadistischen Vorgesetzten ermordet wurde. Tristan möchte dies nicht glauben. Zwar weiß er Wills Argumenten wenig entgegenzuhalten, doch er will sich nicht von der Truppe ausschließen. Will verwehrt sich ab nun der mörderischen Logik des Krieges und verhält sich abweisend gegenüber Tristans Annäherung.
Geheimnis
Doch diese Kriegsgeschehnisse erfährt der Leser erst ganz allmählich im Laufe des Buchs. Es beginnt mit Tristans Zugreise nach Chiswick, der Stadt in der Wills Familie lebt. Die Konversation mit einer älteren Kriminalschriftstellering, die Tristan – inzwischen Mitarbeiter eines Verlages – für sein Haus gewinnen will, läuft so schief wie seine Ankunft. Das gebuchte Zimmer in der Pension steht noch nicht zur Verfügung. In der Nacht zuvor war darin ein Homosexueller von einem Stricher attackiert worden.
Tristan Sadler trifft sich mit Wills Schwester. Diese möchte von ihm wissen, wie ihr Bruder gestorben ist. Sie ist glücklich, einen Freund Wills zu treffen, und weiß nichts von den Konflikten, die Will und ihr Bruder auszutragen hatten. Im Ort wird ihr Bruder seit der Nachricht von seinem Tode geschmäht: Will verweigerte den Dienst an der Waffe, nachdem ein von ihm gefangen genommener Soldat von einem seiner Kameraden einfach erschossen wurde. Dieses Verbrechen, das ungestraft blieb, gab für Will den Ausschlag dafür, sich zu weigern, weiterhin Soldat zu sein. Tristan hat Will nicht beigestanden, hat das Geschehene nicht bezeugt und so wurde Will als Verweigerer hingerichtet.
Die Konstruktion des Buches erinnert an einen Kriminalroman. Nicht nur, dass es mit einem Mord beginnt. Alles ist zunächst verschlüsselt. Erst ganz zum Ende hin fügt sich alles zusammen. Der nun erfolgreiche ältere Autor Tristan Sadler trifft die Schwester Wills ein letztes Mal und offenbart ihr, wie Will wirklich gestorben ist. Ein Schlussstrich wird gezogen.
John Boyne: „Das späte Geständnis des Tristan Sadler“. Übersetzt von Werner Löcher-Lawrence, Arche Literatur Verlag AG Zürich - Hamburg , 333 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-7160-2664-9