
Als Stephan Weil den Tischkicker sieht, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Ein paar Sekunden später stehen er und drei seiner Begleiter an den Griffen und spielen. Zwei gegen Zwei. Weil übernimmt den Torwart und die Abwehrspieler. Als es eins zu eins steht, drängt einer seiner Mitarbeiter zum Aufbruch. Der nächste Termin wartet. „Wie, schon Feierabend?“, fragt ein sichtlich enttäuschter Stephan Weil. Dieses Spiel hätte er gern gewonnen.
Doch für Zerstreuung bleibt an diesem Freitag Ende August nicht viel Zeit. Stephan Weil steckt mitten im Landtagswahlkampf. Am 9. Oktober wird in Niedersachsen gewählt. Weil strebt eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident an. Wäre es eine Direktwahl, würde jede*r Zweite dem 63-Jährigen seine Stimme geben. Auch die SPD liegt in allen Umfragen vorn, allerdings deutlich knapper.
Auf ein Wort mit Stephan Weil
Kein Wunder, dass Stephan Weil auch im Wahlkampf viel Sympathie entgegenschlägt. Vor der kurzen Pause am Tischkicker hat er auf einem Wochenmarkt in Osnabrück Rosen verteilt. Als er gerade an einem Obststand steht, kommt eine Frau auf ihn zugelaufen. „Herr Weil!“, ruft sie schon von Weitem. Es ist eine pensionierte Lehrerin, die nun Geflüchteten Deutsch beibringt. Im Unterricht müsse jedoch deren Muttersprache stärker berücksichtigt werden, findet sie. Etwas, das im Lehrplan nicht vorgesehen sei. Stephan Weil hört interessiert zu, dann sagt er: „Das höre ich zum ersten Mal. Ich werde der Sache nachgehen.“ Damit ist die Lehrerin zufrieden. „Ich habe schon so viele Briefe geschrieben. Als ich Sie hier gesehen habe, musste ich die Gelegenheit einfach ergreifen“, strahlt sie.
Begegnungen wie diese erlebe er viele, erzählt Stephan Weil etwas später. Fast jeden Tag ist er in diesen Tagen kreuz und quer durch Niedersachsen unterwegs, in Städten wie Osnabrück genauso wie in den vielen Dörfern. „Man kann sich in Niedersachsen nicht auf die großen Städte konzentrieren“, sagt Weil ohne jedes Bedauern. Besonders gut komme das Format an „Auf ein Wort mit Stephan Weil“: Dabei lädt die SPD vor Ort auf einen Platz ein. Über Bierdeckel können die Menschen schriftlich Fragen stellen, die der Ministerpräsident dann in eineinhalb Stunden beantwortet. „Hauptthemen sind die Energieversorgung und die Energiepreise“, berichtet Stephan Weil.
Dinge also, die die Landesregierung allein kaum richten kann. Umso froher ist er, dass der Bund nun mit einer Gaspreisbremse gegensteuern will. Die Verhandlungen darüber führt Weil mittlerweile an vorderster Linie: Seit dem 1. Oktober ist er Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Niedersachsen könnte bald die entscheidende Rolle bei der Energieversorgung der gesamten Bundesrepublik spielen. Davon ist Stephan Weil überzeugt. In Wilhelmshaven wird gerade Deutschlands erstes Flüssiggas-Terminal gebaut. In Stade soll bald ein weiteres entstehen. Käme es hart auf hart, könnte das hier ankommende Gas die gesamten bisherigen Importe aus Russland ersetzen, ist Weil überzeugt.
Wachstum in der Krise
Wie wichtig eine zuverlässige Energieversorgung ist, davon überzeugt sich der Ministerpräsident in Osnabrück persönlich. Mit Helm und Schutzkleidung steht er vor einem Schmelzofen der KME. Gegründet 1873, stellt das Osnabrücker Unternehmen Produkte aus Kupfer her, vom Kabel bis zur Fassadenverkleidung. „KME ist ein Hidden Champion“, zeigt sich Weil nach der Besichtigung beeindruckt. Kupfer sei nicht zuletzt wichtig für die Digitalisierung und die Elektromobilität. „KME ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass man bei einer knappen Gasversorgung nicht einfach Privathaushalte gegen die Industrie ausspielen kann.“ Schließlich sei „die industrielle Produktion die Basis für den Wohlstand in Deutschland“.
Das gilt auch für ein Unternehmen, das Stephan Weil am Nachmittag noch in einem Vorort von Osnabrück besucht. In den AVO-Werken werden seit 1921 Gewürze hergestellt. 50.000 Tonnen werden es in diesem Jahr sein. Der Geschäftsführer rechnet mit einem Wachstum von zehn Prozent. Der Krieg in der Ukraine macht sich aber auch hier bemerkbar: Die Kosten für das Rapsöl seien in diesem Jahr bereits drei Mal gestiegen. „Was wünschen Sie sich von der Politik?“, will Stephan Weil vom Geschäftsführer wissen. Der überlegt kurz, dann sagt er: „Machen Sie Ihre Sache weiter ordentlich. Wenn wir Sie brauchen, rufen wir an.“