Ist die Demokratie mit den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen vereinbar? Mit dieser Frage, die sich nicht erst seit dem gescheiterten Referendum in Griechenland stellt, eröffnet Julian
Nida-Rümelin die Veranstaltung "Philosophie trifft Politik" im Berliner Willy-Brandt-Haus. Der Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission und Professor für Philosophie an der
Ludwig-Maximilians-Universität München bezeichnet den Menschenrechtsdiskurs als globale Veranstaltung.
Demokratiedefizite in China und Europa
Der chinesische Wissenschaftler Wang Hui spricht im Berliner Willy-Brandt-Haus über das Verhältnis zwischen kapitalistischer Ökonomie, Demokratie und Kultur. Als Kopf der Neuen Linken
Chinas kritisiert er die Vorherrschaft des marktwirtschaftlichen Denkens in China, dessen Folge eine Vernachlässigung von sozialer Gleichheit und von Ökologie ist. Wang Hui spricht über den
globalen Finanzkapitalismus und die Krise der Demokratie. Demokratiedefizite sieht er allerdings nicht nur in China sondern auch in den europäischen Staaten.
Politiker seien eine Koalition mit den Kräften des Finanzmarktes eingegangen, sagt Wang Hui und konstatiert einen "katastrophalen Rückgang der Politik". Sie habe sich von den Massen
entkoppelt, große Teile der Bevölkerung seien ausgeschlossen von demokratischer Teilhabe.
Vertrauen in politische Gestaltungsmacht verloren
Diese Einschätzung einer Krise des Politischen teilt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Das Vertrauen in die Demokratie sinke und das Gefühl einer doppelten Ohnmacht mache sich in der
Gesellschaft breit: Anonymen Finanzmärkten sehe man sich ausgeliefert und von der Politik fühle man sich nicht vertreten. Die Gestaltungsmacht der Politik werde angezweifelt. Umgekehrt habe die
Politik den Kontakt zu großen Teilen der Bevölkerung verloren, wisse nichts über ihren Alltag. Damit sich das ändert treibt Gabriel die Öffnung der SPD voran.
In seiner Rede plädiert Sigmar Gabriel dafür direktdemokratische Instrumente zu stärken. Der Weg führe "von Abstimmungen über Personen hin zur Abstimmung über Inhalte", so Gabriel. Das sei
nicht risikofrei, doch auch Entscheidungen von Politikern seien nicht immer richtig. Es gelte eine neue Dynamik in die gealterte Demokratie Europas zu bringen. Das Zeitalter des Neoliberalismus
sei am Ende und im Gegensatz zu Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU), die von "marktkonformer Demokratie" spreche, plädiert Sigmar Gabriel für "demokratiekonforme Märkte".
Globale Arbeitsteilung, gemeinsame Probleme
In einer Podiumsdiskussion erörtern Thomas Meyer, Politikwissenschaftler und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission, und Wang Hui den europäischen und den chinesischen
Weg zu mehr Wohlstand und mehr Gleichheit. In den deutschen Massenmedien sei der Blick auf China geprägt von Schwarzmalerei und Schelte, doch es gebe rege Debatten und gesellschaftliche
Bewegungen, erklärt Thomas Meyer. Was nicht heiße, dass die Menschenrechte missachtet würden, doch die chinesische Regierung versuche auch Bedürfnisse die aus der Bevölkerung kommen aufzugreifen.
Es gebe Reformbemühungen erklärt Wang Hui und betont, dass Marktwirtschaft und Demokratie auch in Europa längst nicht immer verwoben gewesen seien. Er gibt zu bedenken, dass der
wirtschaftliche Aufschwung Chinas die Armut vieler Menschen reduziert habe - gleichzeitig habe der wirtschaftliche Erfolg auch die Ungleichheit im Land verschärft. Es bedürfe Reformen in China.
Man müsse aber auch die globalen Vernetzungen sehen.
Wenn etwa über die Umweltverschmutzung in China gesprochen werde, müsse auch über die ungleich verteilte globale Arbeit gesprochen werden. So habe etwa die deutsche Autoindustrie wichtige
Standorte in China. Wang Hui mahnt eine gemeinsame Debatte an, denn es handle sich um ein gemeinsames Problem einer globalisierten Welt. Bisher, das formuliert Wang Hui in seiner Rede, habe die
Gleichheit der Bürger einer Demokratie immer nur bis an die Landesgrenzen gegolten. Das habe Länder weder von Militärschlägen, noch von Kolonialisierung oder der Ausbeutung von Ressourcen
abgehalten.
Den Essay von Wang Hui "Die Gleichheit neu denken" (unredigierte Langfassung) und die Rede von Sigmar Gabriel gibt es auf
www.kulturundpolitik.de