Gustav Horn bei der SPD Friedrichshain-Kreuzberg

Ich krieg die Krise!

Martin Jungmann28. November 2011

Der 57-jährige Volkswirt steht als wissenschaftlicher Direktor dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vor. Zu Recht hat er den Ruf, die
Dinge auf den Punkt zu bringen - gleich zu Beginn seines Einführungsreferates stellte Horn eine pointierte These in den Raum: "Der wirtschaftspolitische Sachverstand im Bundestag ist wenig
ausgeprägt - das gilt für alle Fraktionen."

Wenn schon die Politikprofis überfordert sind - wie mag es dann dem "einfachen Bürger" gehen? Die Situation stellt sich in der Tat verwirrend dar: Täglich ist in den Zeitungen Neues zu
lesen von Rettungsschirmen, Paketen und Hebeln. Aberwitzige Summen werden genannt, der Leser resigniert. Doch worum geht es eigentlich im Kern?


Ungleichgewicht führte zu Schieflage

Um die Ursachen der Krise zu erklären, holte Horn weit aus: "Wir sprechen über einen Grundfehler in der Konstruktion: Die Einrichtung des Euros war nicht nur eine ökonomische, sondern
auch eine politische Entscheidung." Aufgrund wirtschaftlicher Unterschiede hätten einzelne Staaten wie beispielsweise Griechenland ein chronisches Handelsbilanzdefizit, andere Eurostaaten wie
Deutschland einen Exportüberschuss im innergemeinschaftlichen Handel. Auf Dauer habe dieses Ungleichgewicht zu einer eklatanten Schieflage geführt, die sich nun in einer Krise entlade.

Deutschland hat durch seine sinkenden Reallöhne und seine künstlich viel zu niedrig gehaltene Inflationsrate übermäßige Handelsüberschüsse angehäuft. Doch diese sind nicht viel wert, wenn
sie nur in Schulden innerhalb des gleichen Währungsraumes bestehen. Darauf beruht die innereuropäische Krise. Die Finanzmarktkrise hat vollkommen andere Ursachen, doch fatalerweise hat sie sich
mit der innereuropäischen Schieflage gekreuzt. Griechenland hat immense Staatsschulden, in Spaniern und Irland hingegen liegt die Überschuldung vor allem im privaten Sektor. Die folgen jedoch
sind, da sie die gesamte Finanzwirtschaft betreffen, ähnlich fatal.


Es geht um Vertrauen

Eine der Kernthesen Horns leuchtet spontan ein: "Es geht in erster Linie um Vertrauen bei den Investoren". Eine wesentliche Kennzahl in der aktuellen Diskussion sind die Zinsen für
Staatsanleihen. Je höher diese sind, desto schwächer steht das ausgebende Land da. Hohe Renditen sind also ein Indikator für ein Misstrauen der Anleger gegenüber dem jeweiligen Staat. Das wird
anhand der Krisenstaaten deutlich. Die Zinsen schossen durch die Decke, die Ratings stürzten ab.

Die Folge: Den Staaten ging das Geld aus, Rettungsschirme wurden zögerlich aufgespannt, Hebel angesetzt. Doch das Misstrauen der Finanzmärkte blieb. Gustav Horn stellte fest: "Der
Zahlungsverkehr in Europa ist praktisch zum Erliegen gekommen, die Banken misstrauen einander und hängen schon jetzt faktisch am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB)". Hart ging der
Wissenschaftler mit der Kanzlerin ins Gericht: "Sie hat anfangs lange nicht begriffen, dass es eine Vertrauenskrise ist und auch nicht, dass diese ansteckend ist."


Was ist zu tun?

Gibt es einen Weg aus der Krise? Und wenn ja, wurde er bereits eingeschlagen? Gustav Horns Antwort fiel nüchtern aus: "Man ist auf dem besten Weg, den Karren immer tiefer in den Dreck zu
fahren". Der derzeitige von der Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds verordnete Kurs eisernen Sparens sei auf jeden Fall kontraproduktiv: Dadurch werde die
Binnenkonjunktur der betroffenen Länder abgewürgt. Politik sei aber nur möglich solange die Wachstumsraten höher seien als die Anleiherenditen.

In Horns Augen ist die EZB gefragt: Sie müsse zum Gläubiger der letzten Instanz werden und Anleihen der bedrohten Staaten kaufen. Dies müsse nicht zwangsläufig zu einer Inflation im
Euroraum führen. "Nur so kann das dringend benötigte Vertrauen geschaffen werden - und wenn die Märkte sich erholen, dann können diese Anleihen schließlich wieder zu besseren Konditionen
verkauft werden." Von der Politik forderte der Ökonom rasches Handeln: "Das Zögern und Zaudern schafft gerade kein Vertrauen - und es ist sehr teuer!"