Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Wie krank macht die Gesundheitsreform?

Ursula Engelen-Kefer09. Juli 2010

"Mehr Netto vom Brutto" hieß die Zauberformel, mit der Westerwelle für sich und seine FDP den Sprung in die Bundesregierung mit komfortabler Mehrheit durch die Wähler ausgestattet, schaffte.
Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass die Einführung einer Kopfpauschale in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit die Ablösung der an der Höhe des Einkommens bemessenen Beiträge
von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein zentrales Politik- Projekt der FDP darstellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich entschlossen gezeigt, ihrem ursprünglichen Traum-Koalitionspartner
Guido Westerwelle dabei entgegen zu kommen. Denn dies entsprach auch ihren Vorstellungen, wie beim Parteitag in Leipzig im Dezember 2003 mit großem Öffentlichkeitswirbel dargestellt.

Ein ausgewogenes Paket?

Diese Vorstellungen sind von dem damaligen gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU Fraktion und heutigem Ministerpräsidenten von Bayern, Horst Seehofer vehement bekämpft worden. Auch
jetzt hat er seinen bayrischen Gesundheitsminister Söder vorgeschickt - mit verbalen Attacken auf die Kopfpauschalen Pläne der FDP und ihren Bundesgesundheitsminister. Die vielen Wendemanöver von
Horst Seehofer und der CSU kommen inzwischen einem Salto Mortale gleich: Horst Seehofer gab seinen "Segen" zu dem Koalitionsvertrag mit der klaren Ansage, die Solidarität in der GKV aufzukündigen
und eine Kopfpauschale einzuführen.

Damit nicht genug: Vor der staunenden Presse sprachen beide von dem Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Welch ein Hohn für die 70 Millionen Menschen in Deutschland, die auf die gesetzliche
Krankenversicherung angewiesen sind!

Die Fortsetzung dieser Männerfreundschaft hat jetzt in dem Kompromiss der schwarz gelben Koalitionsparteien zur Reform der GKV einen vorläufigen Höhepunkt gefunden: Bundesgesundheitsminister
Philipp Rösler verkündete am Morgen nach dem nächtlichen Gesundheitspoker erleichtert im Deutschlandfunk "Die kurzfristigen Probleme für das Jahr 2011 sind gelöst, aber wir haben auch den
Einstieg in eine langfristige Reform gewagt, die sicherstellt, dass die Menschen auch Morgen gut versichert sein können. …Wie gesagt, ein ausgewogenes und gerechtes Paket."

Die Arbeitnehmer können sich ob dieser "Chuzpe" des Bundesgesundheitsministers der FDP erstaunt die Augen reiben. Es ist richtig: Die Bewältigung des Krisen-Defizits in der GKV von 11 Mrd.
Euro 2011 muss von Arbeitgebern und Versicherten gleichermaßen getragen werden. Der Beitragssatz wird von 14,9 auf 15,5 Prozent angehoben. Der Anstieg um 0,6 Prozent wird je zur Hälfte von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Damit wird er wieder auf das Niveau angehoben, das er bei Einführung des Gesundheitsfonds hatte. Im Rahmen des Konjunkturprogramms zur Bewältigung der
Wirtschaftskrise war er 2009 um 0,6 Prozent auf 14,9 Prozent gesenkt worden. Der Einnahmeausfall bei der GKV und dem Gesundheitsfonds wurde über Steuerzuschüsse ausgeglichen.

Wie wenig verlässlich und kurzlebig steuerliche Zuschüsse in der gesetzlichen Solidarversicherung sein können, zeigt sich hierbei besonders. Kaum waren am 9. Mai die Landtagswahlen in
Nordrhein Westfalen gelaufen, lässt die Bundesregierung die " Katze aus dem Sack". Mit ihrem Sparpaket von 80 Mrd. Euro bis 2014- vor allem zu Lasten der Arbeitlosen, Familien und Kinder- sollen
die öffentlichen Schulden zurückgeführt und die noch zu Zeiten der Großen Koalition eiligst in das Grundgesetz eingeführte Schuldenbremse erfüllt werden. Auch der Steuerausschuss für die
gesetzliche Krankenversicherung muss abgebaut werden.

Krisenmanagement auf dem Rücken des Beitragszahlers

Jetzt liegt der zweite Teil des Sparpaktes auf dem Tisch- als "Gesundheitsreform" verpackt. Vorgesehen sind: höhere Belastungen für die Beitragszahler zur GKV- mit je 3 Mrd. Euro pro Jahr.
Das Loch im Gesundheitsfonds soll 2011 noch einmal mit 2 Mrd. Euro aus Steuergeldern gestopft werden. Wenig überzeugend ist der angekündigte Sparbeitrag von ebenfalls 3 Mrd. Euro für die sog.
Leistungserbringer: Die Ärzte jedenfalls lassen sich nicht entmutigen und fordern weiter höhere Honorare; die seit Jahren überfällige Kostendämpfung bei den Arzneimitteln ist wenig überzeugend
und lässt weiterhin die ungebremste Vermarktung einer undurchsichtigen Fülle von Arzneimitteln mit unkontrollierbar hohen Preisen zu; die Apotheken kommen weitgehend ungeschoren davon; nebulös
ist weiterhin der Sparbeitrag der Krankenhäuser. Dies ist ein Krisenmanagement "von der Hand in den Mund"- vor allem auf dem Rücken der Beitragszahler. Der Moloch "Gesundheitsfonds" wird für die
Menschen immer mehr zu einem "Fass ohne Boden" ihrer finanziellen Belastungen mit abnehmenden Gesundheitsleistungen.

Längerfristige Planung: Arbeitgeberbeiträge einfrieren

Dem Fass schlägt es allerdings den Boden aus, was die schwarz gelbe Koalition als längerfristige Grausamkeiten beschlossen hat. Danach sollen die Arbeitgeberbeiträge auf 7,3 Prozent
eingefroren werden. Die Arbeitnehmer müssen darüber hinaus nicht nur einen ergänzenden Beitrag von 0,9 Prozent tragen. Darüber hinaus wird ein sogenannter Zusatzbeitrag eingefordert, um die
Deckungslücke im Gesundheitsfonds von mindestens 0,5 Prozent auszugleichen. Dieser wird drastisch erhöht. Bisher war er auf ein Prozent des Einkommens begrenzt. Dies gilt nun nicht mehr: Er kann
in Zukunft auf das Doppelte- nämlich zwei Prozent des Einkommens aufgestockt werden.

Es kommt noch schlimmer: In Zukunft können die Krankenkassen ihre jeweils erforderlichen Zusatzbeiträge selbst festsetzen und damit weit über die zwei Prozent hinausgehen. Der Finanzausgleich
des Staates für die unteren Einkommensgruppen erfolgt jedoch nach einer Pauschalberechnung für alle Krankenkassen. Als Ergebnis kann es mithin sein, dass die Versicherten keinen vollen Ausgleich
der über zwei Prozent ihres Einkommens liegenden Zusatzbeiträge erhalten. Sie müssen somit in Zukunft erheblich mehr an ihre Krankenkasse zahlen.

Der Ratschlag des Bundesgesundheitsministers: Die Versicherten können ja ihre Krankenkasse wechseln, wenn der Zusatzbeitrag zu hoch wird. Dies ist nur noch als Zynismus und bar jeglicher
Realität und menschlichen Sensibilität zu bezeichnen: Wie sollen ältere und vor allem chronisch kranke Menschen ihre Kasse wechseln. Die einseitige Belastung einzelner Kassen durch Menschen mit
niedrigem Einkommen und hohen Gesundheitsrisiken wird weiter zunehmen. Die Kassen werden versuchen, ihre gesundheitlichen Leistungen einzuschränken. Für die betroffenen Versicherten bedeutet dies
steigende Zusatzbeiträge und schlechtere Leistungen.

Deutlich weniger Netto vom Brutto

Hier ein Beispiel, was für schwarz-gelb im Regierungsalltag bedeutet: "Mehr netto vom Brutto": Arbeitnehmer mit einem Einkommen von 1500 Euro brutto müssen eine Erhöhung der monatlichen
Beiträge von 4,50 Euro bezahlen. Dazu kommen bis zu 30 Euro für die durch die Hintertür der erhöhten Zusatzbeiträge eingeführte kleine Kopfpauschale. Insgesamt beträgt ihre Belastung für die GKV
dann monatlich 158 Euro, statt bisher 118,50 Euro. Das sind 10,53 Prozent ihres Einkommens an Stelle 7,9 Prozent wie bisher. Das ist nicht mehr sondern weniger Netto vom Brutto!

Dadurch, dass der Beitrag der Arbeitgeber bei 7,3 Prozent eingefroren ist, werden alle weiteren Steigerungen der Gesundheitskosten alleine von den Arbeitnehmern zu zahlen sein. Die
Zusatzbeiträge werden somit immer mehr zu der großen Kopfpauschale, wie von Angela Merkel auf dem CDU Parteitag in Leipzig beschlossen und von Guido Westerwelle im Koalitionsvertrag durchgesetzt.
Wo bleibt da der Protest von Horst Seehofer und der CSU?

Die Kopfpauschale:

Erinnern wir uns: Nach den damaligen Vorstellungen von Angela Merkel und der CDU sollten Erwachsene eine sogenannte Kopfpauschale von 200 Euro im Monat in die Krankenversicherung
einbezahlen- und zwar völlig unabhängig von der Höhe des Einkommens. Dies wäre eine drastische Entlastung der Wohlhabenden: Ihre Krankenversicherungsbeiträge würden in dem Maße sinken, wie ihr
Einkommen steigt. Ehefrauen sollten nicht mehr mitversichert werden. Für ein Ehepaar müssten mithin 4oo Euro an Kopfauschale aufgebracht werden. Für Kinder sollte die Kindergeldstelle eine
Prämie von monatlich 90 Euro überweisen, was allerdings eine entsprechende Senkung des Kindergeldes bedeutet hätte. Vier Jahren lang sollten untere Einkommen bezuschusst werden. Danach würde
der finanzielle Ausgleich nur noch dann geleistet werden, wenn die Kopfpauschale für die Krankenversicherung in einem Haushalt mehr als 15 Prozent des Einkommens ausmacht.

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