Nach einem halben Jahr

Koalitionsvertrag zur Sommerpause: Was die Ampel schon umgesetzt hat

Jonas JordanKai DoeringBenedikt Dittrich14. Juli 2022
Ampel mit Tempo: SPD, Grüne und FDP haben bereits einiges aus ihrem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Ampel mit Tempo: SPD, Grüne und FDP haben bereits einiges aus ihrem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Mit viel Elan starteten SPD, Grüne und FDP nach der Bundestagswahl. Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag viel vorgenommen. Es folgten: Energiekrise, Inflation, Krieg in Europa. Trotzdem kann sich die Bilanz zur Sommerpause sehen lassen.

„Mehr Fortschritt wagen“, mit dieser an Willy Brandt angelehnten Überschrift nahm im Dezember 2021 die Ampel-Koalition ihre Arbeit auf. Es ist die Überschrift über einen Koalitionsvertrag, in dem das progressive Bündnis aus SPD, Grüne und FDP ambitionierte Ziele formulierte und viel möglichst schnell anpacken wollte – inmitten einer schweren Corona-Welle, einer beginnenden Energie- und Inflationskrise richteten die Politiker*innen damals den Blick nach vorn. Zwei Monate später griff Wladimir Putin die Ukraine an.

Dennoch zeigt ein Blick auf die Projekte der Ampel-Koalition: Trotz der erschwerten Bedingungen geht es voran, einige Versprechen sind bereits umgesetzt, bei anderen Projekten stehen Entscheidungen kurz bevor.

Arbeitsmarkt: 12 Euro Mindestlohn und Bürgergeld

Beschlossen

Die Forderung war bereits im Wahlkampf der SPD konkret und mit Grünen und Liberalen wurde sie im Anschluss schnell beschlossen: Der Mindestlohn wird auf 12 Euro angehoben. Der neue Stundenlohn gilt ab dem 1. Oktober 2022.

In Arbeit

Im kommenden Jahr soll das Arbeitslosengeld durch das „Bürgergeld“ ersetzt werden. Ein neuer Begriff, hinter dem sich auch eine Reform verbirgt: Die meisten Sanktionen sollen entfallen, die Regelsätze angehoben werden, damit mehr Menschen unterstützt werden können. Das komplette System soll fairer und unkomplizierter werden. Über konkrete Zahlen und Rechnungen ist man sich in der Ampel-Koalition aber noch uneins. Kommen soll das Bürgergeld ab 2023 kommen – dafür macht Hubertus Heil (SPD), Arbeits- und Sozialminister, bereits Druck. Sanktionsmöglichkeiten wurden schon während der Corona-Pandemie ausgesetzt, diese Regelung wird auch noch mindestens bis Mitte 2023 gelten.

Klimapolitik: Der Schatten der Energiekrise

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden – darauf hat sich auch die Ampel-Koalition verständigt. Um das zu erreichen, das hat Bundeskanzler Scholz mehrmals bekräftigt, gelte es, die Weichen früh zu stellen. Dann überfiel Russland Ende Februar die Ukraine, Energiepreise schossen schon in die Höhe als sich der Krieg anbahnte. Seither gilt die Abhängigkeit von Russland bei Energieimporten als große Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Das beeinflusst in jedem Fall die Energiewende – unklar ist nur, auf welche Weise.

Beschlossen

Mit dem Osterpaket der Regierung ist aber erkennbar: Die Koalition macht Druck, vor allem bei Erneuerbaren Energien, die jetzt auch für Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit stehen. Mit den jüngsten Gesetzesänderungen ist der Ausbau von überragendem Interesse, nachhaltige Stromerzeugung bekommt einen Vorrang gegenüber anderen Belangen – wie es im Koalitionsvertrag bereits als Absicht formuliert wurde.

Mit dem vorgezogenen Wegfall der EEG-Umlage beweist die Koalition außerdem: Die notwendige Entlastung der Haushalte bei den Energiekosten hat sie im Blick. Auch die Aufteilung des CO2-Preises beim Heizen der Wohnung auf beide Parteien – Mieter*innen und Vermieter*innen – trägt zur gerechten Lastenverteilung bei.

In Arbeit

Ob der Kohleausstieg aber schon „idealerweise“ 2030 gelingen kann, wie es im Koalitionsvertrag angedacht ist, ist unklar. Am Ausstieg bis 2038 wird aber weiterhin festgehalten – ebenso am Atomausstieg bis Ende 2022. Weitere Gesetzespakete im Sommer und Herbst sind ebenfalls schon in Planung.

Gesellschaftlicher Fortschritt

Beschlossen:

Ende Juni hat der Bundestag, wie im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbart, eine erste Reform des Bafögs in dieser Legislaturperiode beschlossen. Dadurch erhalten Studierende mehr Geld. Die monatlichen Bedarfssätze werden um 5,75 Prozent erhöht, auch steigen der Kinderbetreuungszuschlag auf 160 Euro und der Wohnzuschlag auf 360 Euro. Der Förderungshöchstsatz inklusive Wohnkostenzuschlag steigt damit von 861 Euro auf 934 Euro, was eine Steigerung von mehr als acht Prozent bedeutet. Zudem wurden mehrere Freibeträge erhöht, sodass noch mehr Studierende Bafög erhalten können. Die im Koalitionsvertrag verabredete grundlegende Bafög-Reform soll noch folgen.

Lange hatten vor allem Frauen dafür gekämpft, vor wenigen Wochen wurde sie Wirklichkeit, die Abschaffung des Paragrafen 219a. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP wurde die Streichung des umstrittenen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch Ende Juni beschlossen. Bislang regelte dieser das so genannte Werbeverbot, das in der Realität häufig zu einem Informationsverbot wurde und es Ärzt*innen erschwerte, neutral über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. 

Um Kinder aus der Armut zu holen, hat sich die Ampel-Koalition etwas Großes vorgenommen: Die Kindergrundsicherung soll Kinder finanziell, aber auch sozial absichern. Die Fachgespräche dazu laufen. Umgesetzt wird das Reformprojekt aber wohl erst im kommenden Jahr. Bis es soweit ist, erhalten von Armut betroffene Kinder ab dem 1. Juli jeden Monat einen „Sofortzuschlag“ in Höhe von 20 Euro. Dieser soll gezahlt werden, bis die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung eingeführt ist.

Und sonst?

Beschlossen:

Im August jährt sich der überhastete Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan zum ersten Mal. Wie es dazu kommen konnte und warum die Lage vor Ort so falsch eingeschätzt wurde, soll ein Untersuchungsausschuss aufarbeiten. So haben es sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vorgenommen. Eingesetzt wurde er in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause. „Wo gab es Fehleinschätzungen und warum? Wo gab es Fehler in der Kommunikation?“ Das sind Fragen, die der Ausschuss-Vorsitzende Ralf Stegner aufarbeiten will, denn: „Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir die Bundeswehr ins Ausland schicken. Wir müssen deshalb aus Fehlern lernen und es beim nächsten Mal besser machen.“

Parallel wird sich noch ein zweites Gremium mit Afghanistan beschäftigen: Auch die Enquete-Kommission findet sich im Koalitionsvertrag. Sie leitet der SPD-Abgeordnete Michael Müller. „Wir wollen die gesamten 20 Jahre des deutschen Engagements in Afghanistan untersuchen“, sagt er. Auch hier stehe der „Blick nach vorn“ im Mittelpunkt. „Das Ergebnis unserer Arbeit wird Grundlage sein für künftig politische Entscheidungen“, ist Müller sicher. „Ich gehe davon aus, dass die Arbeit der Enquete-Kommission mindestens zwei Jahre dauern wird, eher länger“, sagt er. Bis zum Ende der Legislatur 2025 sei „die Aufgabe aber gut zu bewältigen“.

In Arbeit:

Das Problem ist bereits lange bekannt, getan hat sich bisher aber nichts: Durch Überhang- und Ausgleichsmandate wächst der Bundestag von Legislatur zu Legislatur. Expert*innen sehen mittlerweile die Arbeitsfähigkeit des Parlaments ernsthaft bedroht. Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel deshalb eine Reform des Wahlrechts vorgenommen. Das Ziel: Den Bundestag verbindlich auf 598 Abgeordnete begrenzen. Die Bundestagabgeordneten Sebastian Hartmann (SPD), Till Steffen (Grüne) und Konstantin Kuhle (FDP) haben deshalb einen Vorschlag erarbeitet, mit dem genau das gelingen soll.

„Mit unserem Vorschlag stärken wir den Grundsatz des Verhältniswahlrechts, das in Deutschland gilt“, sagt Sebastian Hartmann. Noch vor der Sommerpause haben die Koalitionsfraktionen dem Vorschlag zugestimmt. In der zweiten Jahreshälfte sollen nun noch weitere Bestandteile eines neue Wahlrechts, etwa die Frage der Parität, besprochen werden, ehe dann ein Gesetzentwurf erarbeitet und im Bundestag beschlossen wird.

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Kommentare

„Die Bilanz kann sich sehen lassen" - oder

nicht versprochen – aber gehalten.

„Der Satz aus unserem Grundsatzprogramm, ... die strategische Partnerschaft mit Russland ist für Deutschland und die Europäische Union unverzichtbar, ... stimmt aktuell nicht“ (Klingbeil). Und auch unsere neue europäische „Friedens- und Sicherheitsordnung ... müssen wir nicht nur ohne Russland, sondern auch gegen Russland aufbauen“ (SPD-Außenexperte Roth). Folgerichtig werden wir die Russische Föderation „ruinieren“ (Baerbock). Angefangen haben wir schon mal damit, auf russische Energie und andere Bodenschätze zu verzichten – „für immer“ (Baerbock), dramatische Kollateralschäden weltweit (und bei uns) inklusive. Aber wer mag sich schon mit nur einem Feind, der zudem "ein müder, kranker Koloss" (Roth) ist, zufrieden geben, wenn man auch „China in Zukunft (als) die größte Gefahr für uns“ haben kann (Baerbock).

„Die Bilanz ...“

Dieser Weg führt direkt zur „Zeitenwende“ und zu mindestens 70 bis 80 Mrd. € Verteidigungsetats jährlich (Scholz), denn die "größte Armee Europas" (Scholz) lässt sich ja nicht mit weniger „Investitionen“ aufbauen. Die aber brauchen wir, weil „die Welt an der Schwelle zu einer neuen globalen Ordnung, einer globalen Zeitenwende (steht und) Deutschland (sich) dabei als wichtige Führungsmacht sieht“. Für die ist „militärische Gewalt ein Instrument, das einfach zum Portfolio dazugehört" (Klingbeil bei t-online). Das muss auch die Bevölkerung nicht nur einsehen, sondern aktiv wünschen und damit zu „einer neuen Akzeptanz der Bundeswehr in der Gesellschaft“ sich bekennen.

„Die Bilanz kann sich sehen lassen“_2

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„Die Bilanz kann sich sehen lassen“_2

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