Herr Messner, sieht Deutschland mit dem Klimaschutzpaket auf der internationalen Bühne gut aus?
Wir müssen natürlich auch in Deutschland und Europa noch deutlich mehr tun. Schweden, die Schweiz sind Vorreiter. Auf internationaler Ebene stehen Europa und Deutschland insgesamt vergleichsweise gut da. Viele andere Länder stehen weit hinter dem zurück, was wir vereinbart haben. Das wichtigste ist, dass wir in Deutschland jetzt einen Fahrplan schaffen, der jedes Jahr überprüft wird. Wenn wir nicht auf dem richtigen Pfad sind, müssen die Maßnahmen angepasst werden.
An welchen Eckdaten lässt sich denn festmachen, dass wir gut dastehen?
Wir haben in Europa erkannt, dass wir 2050 bei Null Emissionen ankommen müssen. In der Wissenschaft ist man sich da einig, die meisten Länder haben das aber noch nicht in Programme umgesetzt. Jetzt müssen wir aber handeln und nicht nur ankündigen.
Deutschland als Industrienation kann also in Madrid mit breiter Brust auftreten?
Deutschland war mal ein absoluter Vorreiter im Klimaschutz. Das ist heute nicht mehr in allen Bereichen so. Wenn wir nach Nordeuropa gucken sind die Länder dort beim Umbau ihrer Mobilität weiter. Beim CO2-Preis hat uns Schweden oder die Schweiz bereits überholt. Auch in China gibt es große Investitionen in die Infrastruktur um eine Treibhausgas-Neutralität zu erreichen. Deutschland kann von vielen Ländern einiges lernen, wir sollten nicht zu selbstbewusst in die Debatte gehen. Aber wir gehören noch zu der Gruppe der Länder, die ambitionierte Ziele verfolgen.
Die neue SPD-Spitze hat angedeutet, das Klimaschutzpaket nochmal neu zu verhandeln. Halten Sie das für sinnvoll?
Ich finde es zumindest nicht uninteressant, wenn es in einzelnen Punkten Verbesserungen gäbe. Die meisten Experten sind sich einig, dass der CO2-Preis hätte höher ausfallen sollen. Die SPD-Umweltministerin hatte ja auch eine andere Vorstellung, aber die Verhandlungen sind anders verlaufen. Danach hat aber auch ein CDU-Ministerpräsident, Herr Guenther, gesagt, dass da noch was zu tun wäre.
Der zweite Punkt ist die soziale Ausgewogenheit. Diejenigen, die am unteren Ende der Einkommenspyramide stehen, könnten stärker entlastet werden. Es gab ebenfalls die Idee aus dem Umweltministerium, dass das Geld, das über den CO2-Preis eingenommen wird, zum Teil wiederdirekt an die Bürger gegeben wird. Wenn eine solche Komponente noch eingefügt werden könnte, wäre das ein Fortschritt.
Die USA will aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen, auch Brasilien dreht den Klimaschutz eher zurück. Wie wirksam können die deutschen Bemühungen da überhaupt noch sein?
Wir haben nach dem Pariser Klimaabkommen 2015 einige Rückschläge erlebt. Weil die Amerikaner aussteigen wollen, strengen sich auch Russland und Saudi-Arabien weniger an und in Brasilien wird die Axt an den Regenwald gelegt. Das sind Rückentwicklungen. Umso wichtiger ist es, dass die Europäer jetzt ihre Kräfte bündeln, um der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Diese Ankündigung ist ein Signal, denn Europa ist neben dem amerikanischen und dem chinesischen einer der wichtigsten Märkte der Weltwirtschaft. Das ist also ein Anreiz für andere Regionen und Unternehmen.
Welche Erwartungen haben Sie denn an die Klimakonferenz in Madrid?
Das ist ein Arbeitsgipfel. Es geht in erster Linie darum, den Handel mit CO2-Zertifikaten klug zu regulieren. Das System wurde in Paris verabschiedet, jetzt brauchen wir Regeln, dass es gut funktioniert.
Könnte es denn zu einer guten Regelung kommen?
Ziel ist es, dass bis zum Ende der Woche die Verhandlungen abgeschlossen sind und ich gehe erstmal davon aus, dass das gelingt.
Was hat sich eigentlich seit 2015, seit dem Pariser Abkommen, geändert?
Das Jahr 2019 könnte ein Wendejahr gewesen sein. Es gibt zivilgesellschaftliche Akteure wie Fridays for Future, aber auch Unternehmen, die das Problem verstehen, die den Handlungsdruck erhöhen. Politiker können mutiger werden, denn es gibt Signale aus der Wirtschaft und der Gesellschaft, dass wir uns alle bewegen müssen. Es gibt viele interessante Investitionsprojekte, die zum Erfolgsmodell für die deutsche Wirtschaft und damit gut für die soziale Entwicklung in Deutschland sein können. Das ist ermutigend.
Was kommt eigentlich nächstes Jahr auf uns zu?
2020 wird Rechenschaft abgelegt. Beim nächsten Klimagipfel in Großbritannien wird geschaut, was von dem umgesetzt wurde, was 2015 versprochen wurde. Wie groß ist die Lücke zu dem, was wir brauchen, damit wir die 1,5 oder 2 Grad Erwärmung noch einhalten können?
In Deutschland reißen wir die Ziele für 2020 zwar, aber wir haben auch nicht nichts gemacht. Das gilt auch für andere Länder. Aber das, was wir in Paris beschlossen haben, ist nur 40 Prozent der Lösung. Wir müssen 60 Prozent draufpacken und davon sind wir weit entfernt. Deswegen moniert der UN-Generalsekretär zu Recht, dass wir das Tempo verdoppeln oder gar verdreifachen müssen.
Professor Dirk Messner ist derzeit Direktor des "Institute for Environment and Human Security" an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. Der international bekannte Nachhaltigkeitsforscher ist ab dem 1. Januar 2020 Präsident des Umeweltbundesamtes.
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