
Zweifelsohne – der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP ist insbesondere klimapolitisch ein Neuanfang. Nicht nur, weil er anerkennt, dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlagen gefährdet, Freiheit, Wohlstand und Sicherheit bedroht, nicht nur, weil sich Klimapolitik, Transformation und Nachhaltigkeit wie ein roter Faden durch den gesamten Koalitionsvertrag ziehen (die Markwirtschaft soll als „sozial-ökologisch“ neu „begründet“ werden), sondern auch weil das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele, und damit die Klimapolitik als „oberste Priorität“ herausgestellt werden. Das war überfällig. Die Zeit des Bremsens, des Blockierens und des Nicht-Gestaltens der Merkel-CDU soll nun endlich vorbei sein.
Klimaneutralität bis 2045 ist entscheidend
Deswegen: Ja, der Koalitionsvertrag ist gut – auch klimapolitisch. Aber ist er auch gut genug? Maßstab der Beurteilung muss aus Sicht des SPD-Klimaforums sein,ob die vereinbarten Maßnahmen sicherstellen, dass Deutschland Klimaneutralität bis 2045 erreicht und dadurch den notwendigen Beitrag zum Erreichen des 1,5 Grad-Ziels leistet. Das Ziel der Klimaverträglichkeit war ja bereits im Klimaschutzgesetz der (bisherigen) Bundesregierung verbindlich festgelegt worden. Für das SPD-Klimaforum ist aber entscheidend, dass die SPD in ihrem Wahlprogramm die Klimaneutralität für Deutschland bis 2045 ausgerufen hat. Wir sind also hier politisch in der Pflicht.
All das wird nun von den schwerwiegenden Herausforderungen der Pandemie überschattet: Die neue Regierung wird sehr schnell schwierige Entscheidungen treffen müssen, um weiteres Leid, schnell steigende Todeszahlen und unerträgliche Zustände in den Kliniken zu verhindern. Aber: Das darf nicht dazu führen, dass wertvolle Zeit verloren geht, um die große Herausforderung unserer Zeit – die dramatischen und zum Teil irreversiblen Folgen der Erderhitzung – entschlossen und wirksam anzugehen.
Was im Koalitionsvertrag fehlt
Die gute Nachricht ist: Wir haben einen Koalitionsvertrag, der zumindest potentiell das Zeug hat, um Deutschland auf den Weg zur Klimaneutralität bis 2045 zu bringen. Ambitioniert ist das Ziel, bis 2030 einen 80-prozentigen Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung zu erreichen bei einem genannten Strombedarf von 680 bis 750 TWh. Ferner ist zu begrüßen, dass endlich Ziel-Kapazitäten für Photovoltaik- und Windkraft-Ausbau festgelegt werden.
Zu nennen sind des Weiteren die Förderung der Wasserstoffwirtschaft – mit einem Fokus auf den industriellen Bereich, die Unterstützung von Innovationsbemühungen der Industrie und des Mittelstands, engagierte Vorschlägen gegen den Fachkräftemangel, die angedachten „Allianzen für Transformation“, die Abkehr vom fossilen Individualverkehr sowie die Förderung – auch durch Novellierung von Gesetzen – der nachhaltigen Wald- und Bodenbewirtschaftung, unter anderem zum Schutz der Biodiversität.
Leider gibt es auch eine Reihe von Punkten zu verzeichnen, die den guten Eindruck erheblich trüben und die nachgebessert werden müssen, wenn Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden soll. Beispiel Gebäudesanierung: Eine Sanierungsrate mit dem Ziel, den Gebäudesektor (Wärme für Wohn-, Arbeits- und Industriegebäude) bis 2045 klimaneutral zu machen, fehlt komplett. Auch verzichtet der Koalitionsvertrag auf das vom SPD-Klimaforum in seinem Sofortprogramm vorgeschlagene Drittelmodell, um entsprechende Sanierungsanreize an die Vermieter und Gebäudeeigentümer zu geben.
Sorgenkinder Verkehr und Energieeffizienz
Inwieweit die Maßnahmen im Verkehrsbereich ausreichen, um Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, ist zumindest sehr zweifelhaft: Heiße Eisen wie die Pendlerpauschale werden im Koaltionsvertrag nicht thematisiert, ein Geheimnis bleibt auch, wie durch „Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen“ innerhalb von neun Jahren mindestens 15 Millionen E-Autos (gegenwärtig sind es 500.000) auf Deutschlands Straßen gebracht werden sollen. Nicht einmal ein weiterer Ausbau von Autobahnen wird deutlich in Frage gestellt, eine grundlegende Neuausrichtung der Verkehrsströme zu Bahn und ÖPNV ist nicht erkennbar.
Auch die Energieeffizienz und Einsparungen spielen so gut wie keine Rolle im gesamten Koalitionsvertrag. Dabei gib es kein ernstzunehmendes Szenario, das Klimaneutralität für Deutschland bis 2045 ohne eine massive Reduzierung des Primärenergieverbrauchs (je nach Szenario 30 bis 50 Prozent) für möglich hält. Diese kann nur durch Senkung des Energiebedarfs und durch eine entsprechende Steigerung der Energieeffizienz aufgefangen werden. Das hohe Einsparpotential an Primärenergie durch Elektrifizierung, z.B. im Verkehr, wird die notwendige Senkung des Energieverbrauchs kaum alleine erreichen können. Anreize und Pflichten, die eine solche Reduktion hervorbringt, sieht der Koalitionsvertrag aber nicht vor.
Mehr sozialer Ausgleich notwendig
Unzureichend angesprochen ist auch der kontinuierlich steigende Ressourcenverbrauch: So wird sich etwa der Bedarf an Grundchemikalien weltweit in 15 Jahren schlicht verdoppeln. Die Umstellung auf eine weitgehende Kreislaufwirtschaft ist ein notwendiger, aber nur ein erster Schritt.
Auch in Sachen Landwirtschaft fehlt es an Ambition. So wird kein klares Ziel zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle formuliert. Und die von der Vorgängerregierung akzeptierte, klimapolitisch völlig unzureichende Gemeinsame Agrarpolitik der EU wird nicht in Frage gestellt.
Angesichts der bestehenden Ungleichheiten in der Verteilung des Gesamtvermögens in Deutschland (die unteren 50 Prozent der Bevölkerung besitzen 1,4 Prozent des Gesamtvermögens, während das reichste Zehntel-Prozent 20,4 Prozent, also fast 15 mal so viel besitzt) wäre eine stärkere Einbindung der wohlhabendsten Teile der Bevölkerung bei der Finanzierung sozialer Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen der Klimapolitik notwendig, um eine solide gesellschaftliche Akzeptanz der klimapolitischen Maßnahmen zu sichern.
Der Koalitionsvertrag muss nun umgesetzt werden
Schließlich: Die sozial-ökologische Wende muss verwaltet und umgesetzt werden. Die „kaputtgesparten“ Verwaltungen und Kommunen, die unter der Schuldenlast ächzen, müssen ertüchtigt werden. So begrüßenswert es ist, dass der Koalitionsvertrag hinreichend öffentliche Investitionen in klimapolitische Maßnahmen ermöglichen soll, so dringend ist es auch, dass hinreichend finanzielle Ressourcen vorgesehen werden, dass die Verwaltung und die Kommunen in die Lage versetzt werden, ihren Job gut zu erledigen. Denn nur dann kann auf den Weg gebracht werden, was nötig ist.
Ein perfekter Plan ist der Koalitionsvertrag also mitnichten. Das war wohl auch nicht zu erwarten. Die Frage wird sein, ob die neue Bundesregierung in der Lage ist, dem Klimaschutz die anerkannte Priorität einzuräumen, den Spielraum des Koalitionsvertrags entsprechend zu interpretieren und gegebenenfalls nachzusteuern, wie es das Bundesverfassungsgericht für angemessen und notwendig hält.
Notwendige Maßnahmen sind, zumindest grob, vereinbart worden. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Dabei spielt die Verteilung der Ministerien eine entscheidende Rolle. Es gibt kein Widerspruchsrecht des Wirtschafts- und Klimaministeriums gegen einzelne Maßnahmen, aber – wie bisher auch – des Finanzministers. Zu erwarten ist, dass die grünen Ministerien Wirtschaft und Klimaschutz, Umwelt sowie Landwirtschaft bemüht sein werden, ihre Hausaufgaben zu machen.
Analoges gilt für die SPD-geführten Ressorts Arbeit und Soziales sowie Bauen. Damit kann die SPD beweisen, dass sie erfolgreich soziale und ökologische Belange miteinander verknüpfen kann. Dass die Ressorts Finanzen, Verkehr und Wissenschaft von der FDP geführt werden, wird sicher eingehende Debatten und ggf. ein Nachsteuern erfordern, um die notwendige Transformationsgeschwindigkeit in Richtung Klimaverträglichkeit nicht in Frage zu stellen.
Deutschland kann ein Taktgeber sein
Wichtig ist auch: Auch wenn Deutschland alleine das Weltklima nicht retten kann, ist es doch der Taktgeber in der EU. Eine ähnliche Rolle kommt der EU oftmals in der Weltgemeinschaft zu. Daher ist die Frage der konkreten Umsetzung in Deutschland auch für die Klimapolitik weltweit entscheidend – eine Umsetzung als Imperativ des Nötigen, und nicht nur als eine Politik des Machbaren zwischen den drei Partnern.
Berlin kann nur den Rahmen setzen. Lösungen für eine wirkungsvolle, aber sozial verträgliche Klimapolitik können nur vor Ort entwickelt umgesetzt werden – im Sinne der vom Koalitionsvertrag angedachten „Transformationsallianzen“ zusammen mit Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und Forschungseinrichtungen. Gute Arbeit trotz und gerade wegen der ökologischen Wende zu erhalten und/oder zu schaffen, ist dabei die zentrale Aufgabe der SPD.
Die vielen Genoss:innen des SPD-Klimaforums wollen den Aufbruch. Es kann gehen! Wir haben uns vernetzt, um voneinander zu lernen und damit unser Know-how auch auf Bundesebene gehört wird. Jede helfende und beratende Hand ist willkommen. Interessierte melden sich unter mitmachen@spd-klimaforum.de.SPD-Klimaforum