
„Wir müssen nachhaltige Jobs schaffen“, sagt Frans Timmermans. Der niederländische Sozialdemokrat ist Vizepräsident der EU-Kommission und im Kabinett von Ursula von der Leyen die nächsten Jahre für den European Green Deal zuständig. Doch die Ziele, die dieser umfasst, reichen weit über Timmermans' Amtszeit hinaus. Das wichtigste: Bis 2050 soll die EU klimaneutral werden. Mit der Frage, wie das gelingen kann und welche Schwierigkeiten auf dem Weg dahin liegen, befasste sich das Global Green Deals Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ausbau der Erneuerbaren Energien
„Wenn ich eine co2-freie chemie- oder Stahlproduktion haben will, brauchen wir massive Investitionen in erneuerbare Energien“, fordert Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Damit liegt der Gewerkschaftsboss in diesem Fall voll auf Linie mit Saori Dubourg, Managerin beim Chemiekonzern BASF. Auch Dubourg fordert einen viel weitgehenderen Ausbau der erneuerbaren Energien. Um die Industrieproduktion auf dem momentanen Niveau fortsetzen zu können, würde zehn Mal mehr erneuerbare Energie benötigt als bislang zur Verfügung stehe. Daher sagt sie: „Das größte Risiko ist, den Übergang zeitlich vernünftig zu gestalten. Wenn das gelingt, gelingt es auch, die Bevölkerung mitzunehmen.“
Investitionen
Um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, sei sehr viel Geld notwendig, sagt Timmermans. Er fügt an: „Das haben wir jetzt mobilisiert, aber das können wir auch nur einmal machen. Wenn wir das falsch machen, verschulden wir unsere Kinder und Enkelkinder in einer Art und Weise, von der sie nichts haben.“ Daher mahnt er, für nachhaltige Investitionen zu sorgen. Ähnlich argumentiert auch Hoffmann, der fordert, die EU-Konvergenzkriterien auf den Prüfstand zu stellen, damit in den nächsten zehn Jahren „massive Investitionen“ getätigt werden können, um Europa zu modernisieren. „Wir brauchen Spielräume für massive öffentliche und private Investitionen. Diese Spielräume müssen wir schaffen“, sagt Hoffmann. Der DGB-Chef fügt an: „Der öffentliche Kapitalstock ist dermaßen veraltet. Wenn wir jetzt nicht investieren, hinterlassen wir unseren Kindern und Enkeln viel höhere Schulden.“
Qualitatives Wachstum
„Wenn heute das Wort Wachstum fällt, zucken alle intuitiv zusammen. Das ist ein guter Impuls“, sagt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert. Es dürfe nicht mehr darum gehen, Wachstum um jeden Preis zu schaffen. Zentral sei die Frage, wie qualitatives Wachstum geschaffen werden könne. In diesem Kontext müsse auch über eine stärkere Demokratisierung der Wirtschaft nachgedacht werden. Als Beispiel nannte Kühnert den Bereich der erneuerbaren Energien, in dem die Marktmacht der vier vorherrschenden Energiekonzerne durch lokale Genossenschaften gebrochen werden könne, von denen wiederum die Bürger*innen vor Ort direkt profitierten.
Auch Luisa Neubauer, Sprecherin der Protestbewegung „Fridays for future“, bringt in die Debatte ein, stärker über alternative Wirtschaftsformen nachzudenken. „Fossiler Kapitalismus ist bislang daran gescheitert, innerhalb der planetaren Grenzen zu agieren. Wir brauchen Wirtschaftssysteme, die innerhalb der planetaren Grenzen agieren können.“ BASF-Vorstandsmitglied Dubourg verwendet stattdessen den Begriff des „Wertewachstums“. Dabei gehe es insbesondere um eine intelligente Form der Ressourcennutzung.
Soziale Sicherheit
Frans Timmermans warnt: „Es gibt ein hohes Risiko, dass wir in 10 bis 20 Jahren viele neue Jobs, aber auch viele Arbeitslose haben.“ Deswegen plädiert er für ein europäisches Programm zur Qualifizierung, damit sich die Menschen entsprechend weiterbilden können und im wirtschaftlichen Transformationsprozess nicht den Anschluss verlieren. Auch Neubauer sagt: „Die Klimakrise ist immer als erstes eine Gerechtigkeitskrise. Das sehen wir schon heute, wenn Bauern ihre Höfe wegen Dürre aufgeben müssen. Dann sind es immer zuerst die kleineren Betriebe.“ Deswegen sei Klimaschutz immer auch eine soziale Maßnahme. Allerdings spiele das in der öffentlichen Debatte bislang zu wenig eine Rolle.