
Die Weltklimakonferenz geht in dieser Woche in die entscheidende Phase. Mit welchem Ziel sind Sie nach Glasgow gereist?
Es ist gute Tradition, dass neben dem Bundesumweltministerium, das für die Bundesregierung die Verhandlungen auf den Weltklimakonferenzen führt, in der zweiten Woche der jeweiligen COP auch Bundestagsabgeordnete Teil der offiziellen Delegation sind. Als Energie- und Umweltpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion bin ich nach der COP24 in Katowice vor drei Jahren das zweite Mal dabei. Der große Durchbruch in der Weltklimapolitik war die COP21 in Paris 2015. Dort wurde international das Ziel vereinbart, die Klimaerwärmung auf höchstens 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Nun geht es darum, sich diesem Ziel durch konkrete Maßnahmen und Initiativen zu nähern.
Dafür braucht es – abgesehen von vielen anderen Stellschrauben – einen starken Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Transformation der Industriegesellschaft muss sozialverträglich ablaufen. Ich sehe eine große Chance für Deutschland darin, den Ausbau der Erneuerbaren Energien dafür zu nutzen. Wenn wir konsequent auf die Energiewende setzen, können über alle Sektoren hinweg viele neue Absatzmärkte und qualifizierte Arbeitsplätze entstehen.
An der Weltklimakonferenz nehmen so viele Delegierte teil wie nie zuvor. Wie macht sich das bemerkbar?
Es ist gut, dass es einen direkten Austausch mit den Menschen gibt, trotz der erheblichen Corona- Auflagen und -Beschränkungen. Wenn man aus erster Hand erfährt, was das Abholzen des Regenwaldes in Brasilen mit der indigenen Bevölkerung macht, oder wenn man die Panik in den Augen seines Gegenübers spürt, dessen Inselstaat durch den Anstieg des Meeresspiegels unterzugehen droht, dann macht das was mit Dir als verantwortungstragendem Politiker. Auch die Demonstrationen und der Dialog mit der Klimabewegung rund um „Fridays for Future“ geben der Konferenz Schwung. Ich habe vor drei Jahren Greta Thunberg in Katowice erstmals live erlebt. Eine Fachkonferenz ohne diese Breite an Teilnehmenden würde viel weniger erreichen. Da bin ich mir sicher.
Eine gute Woche wurde bereits verhandelt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Auf der Klimakonferenz ist ein Handlungswille spürbar. Mich stimmen die bisher getroffenen Vereinbarungen durchaus optimistisch. So haben sich 124 Staaten dazu bekannt, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. Darunter zu meiner großen Überraschung auch Brasilien. Genauso wichtig ist, dass sich 105 Staaten verpflichtet haben, die Methanemissionen bis 2030 – im Vergleich zu 2020 – um 30 Prozent zu senken. Methan ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2 und entsteht größtenteils in der Landwirtschaft.
Ein weiteres wichtiges Signal sehe ich in Partnerschaften wie der mit Südafrika. Deutschland und führende Industriestaaten haben sich verpflichtet, das Land bei einer sozialverträglichen Energiewende zu unterstützen. Die Internationale Energieagentur hat berechnet, dass alle in Glasgow erzielten Vereinbarungen und Absichtserklärungen die Erderwärmung auf 1,8 Grad begrenzen würden. Damit kommen wir erstmals in Reichweite des 1,5-Grad-Ziels.
Auf welche Länder kommt es bei dieser Konferenz vor allem an?
Jedes Land muss nach seinen Möglichkeiten einen Beitrag leisten. Der Klimawandel kennt keine nationalen Grenzen. Dennoch sind die großen Länder besonders in der Pflicht. Es ist gut, dass die USA nach vier Jahren unter Trump wieder mit an Bord sind. Selbst in Russland ist Bewegung in Sicht. Durch das Auftauen der Permafrostböden kommen in Sibirien ganze Städte ins Rutschen. Ein besonderes Augenmerk muss ebenfalls auf China und Indien liegen. Der Energiehunger ist in diesen Ländern derart groß, dass in der Energiegewinnung viel auf Kohle gesetzt wird. Diese ist im Fall von Indien noch in rauen Mengen im Boden vorhanden und die 280 örtlichen Kohlekraftwerke zeigen, wie lang der Weg ist. Dass Indien in Glasgow angekündigt hat, bis 2070 klimaneutral zu werden, ist ein riesiger Fortschritt. Mit unserer Expertise, die wir mit dem Kohleausstieg in den 2030er Jahren in Deutschland gewinnen werden, können wir diesen Ländern helfen, dass das sogar schneller möglich ist.
Was ist in den verbleibenden Tagen noch an Verbesserungen möglich?
In den nächsten Tagen geht es darum, Fortschritte beim „Rulebook“ zu erzielen. Dahinter steckt die Frage, wie Erfolge beim Klimaschutz für alle nachvollziehbar gemessen und bewertet werden. Auch bei der Umsetzung von Artikel 6 des Pariser Klimaschutzabkommens brauchen wir Fortschritte. Hier geht es um die Klarstellung, welchem Land eine Klimaschutzmaßnahme gutgeschrieben wird. Wenn wir als Bundesrepublik beispielsweise in Solarenergie in einem Entwicklungsland investieren, muss geklärt sein, ob diese Klimaschutzmaßnahme uns oder dem anderen Staat gutgeschrieben wird.
Derzeit besteht die Gefahr, dass hier doppelt verrechnet wird und das liegt nicht im Sinne des Erfinders. Darüber hinaus gibt es noch Forderungen einzelner Länder, sich das Nichtabholzen finanziell anrechnen zu lassen. Jedoch führt ein nicht erfolgter negativer Eingriff in das Weltklima nicht zu einer Minderung der bisherigen Erderwärmung. Solche Präzedenzfälle müssen verhindert werden.
Verhandelt wird bis zum Schluss. Am Ende meist nicht nur tagsüber, sondern auch nachts. Das Schlussdokument wird ein Kompromiss sein, der uns aber weiterbringen muss. In Anlehnung an Sepp Herberger gilt: Nach der COP26 in Glasgow ist vor der COP27 in Scharm asch-Schaich.