Globaler Klimaschutz

Warum es einen „Klimadienst“ in der Entwicklungszusammenarbeit braucht

Dirk Bornschein13. Oktober 2022
Nach dem Vorbild des Friedensdienstes sollte es künftig auch einen „Klimadienst“ in der Entwicklungszusammenarbeit geben.
Nach dem Vorbild des Friedensdienstes sollte es künftig auch einen „Klimadienst“ in der Entwicklungszusammenarbeit geben.
Der Kampf gegen den Klimawandel sollte verstärkt Teil der Entwicklungszusammenarbeit werden. Ein„Klimadienst“ nach dem Vorbild des Friedensdienstes könnte hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Neben dem Frieden ist es heute der Klimawandel, der die Zukunft der Menschheit bewegt. Gerade auch die Entwicklungszusammenarbeit muss tiefgreifend und doch schnell darauf reagieren. Organisationen aus dem Entwicklungssktor regen daher einen „Klimadienst“ an, der nach dem Vorbild des Friedensdienstes Personal vermitteln kann. Noch ist nichts entschieden, darum ist es an der Zeit, einige grundsätzliche Fallstricke zu diskutieren.

„Sollen wir noch ein Programm schaffen“, mit neuen Geldern und Personal im In- und Aus­land, „das in die sowieso schon komplexe Landschaft einer deutschen Entwicklungszusam­menarbeit (EZ) eingliedert werden muss“? Dieser Kommentar kommt bei den „alten Hasen“ schnell auf, wenn die Idee der personellen Zusammarbeit über einen neu zu schaffenden Klimadienst angesprochen wird. Der soll Fachkräfte dann weltweit dorthin schicken können, wo sie Wirkung gegen den Klimawandel entfalten.

Freiwillige für den Klimaschutz

Diese Debatte um den Klimadienst schwang von Beginn an im Hintergrund mit, als sich Ende Juni Reprä­sentanten der Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste (AgDD) und der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) mit rund 100 zurückgekehr­ten Fachkräften zum sogenannten „Danktag“ trafen. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze erinnerte daran, dass es insgesamt jährlich 1.000 deutsche und europäische Fachkräfte sind, die sich in der Welt engagierten, für den Frieden, gegen die Ungleichheit und vieles andere mehr. Und das Klima? Noch scheint der Klimawandel nur ein Thema unter vielen zu sein.

Einen Tag später fand ein Austausch unter Rückkehrer*innen statt, bei dem die allermeisten einig schienen, dass ein solcher Klimadienst sowohl dringlich sei, als auch ein guter Anlass, das veraltete Entwicklungshelfergesetz zu reformieren. Wie auch die Entwicklungsdienste betonten sie, dass die Klimaarbeit intensiviert und systematisiert werden muss.

Tatsächlich ist die Gründung neuer Institutionen oftmals eine Reak­tion darauf, dass die alten unfähig erscheinen, sich zu reformieren. Auf lange Sicht besteht mitunter die Gefahr, dass die Vielzahl der Akteure die Koordination schwächt, so wird das große Ganze behäbig und ineffizient. Aber wie kann man dem Dilemma entrinnen, ein Überlebens-Thema schnell auf­zuwerten ohne auf die große Reform warten zu müssen? Der Klima­wandel ist zwar in aller Munde, aber zugleich so schwer zu bekämpfen, dass viele Menschen ihn „flexibel“ einfach zu akzptieren scheinen. Beginnen wir nicht, uns an die Katastrophen zu gewöhnen und anzupassen? Es ist diese Anpassungsfähigkeit, die schon immer Teil unserer Stärken als Mensch war, auch wenn sie uns diesmal eher in den Abgrund führen könnte.

Worauf es bei einem  „Klimadienst“ ankommt

Damit die entsandten Klimafachkräfte auch effizient agieren, und nicht nur die alten Pfade ausfüllen, sollte auch über die folgenden drei Fallstricke nachgedacht werden, die in der Debatte etwas oder gar viel zu kurz kommen:

  • Wissenstransfer von Süd nach Nord

Die Überlegung, auch Expert*innen aus dem sogenannten Süden, zum Beispiel in Bildungspro­jekten in Deutschland arbeiten zu lassen, ist modern und entspricht der Erkenntnis, dass es keinen Grund zu glauben gibt, es reiche aus, nur den anderen zu helfen. Der Klimawandel basiert schließlich vor allem auf den wirtschaftlichen und energiepolitischen Mechanismen, die in dem Wirken der Industrieländer seinen Ursprung hat.

Mehr Bewusstsein würde auch uns gut tun, zum Wert der Umwelt an sich und den Folgen nicht angemessener Investitionen in Ländern, in denen auch die ausländischen Direktinvestitionen auf ein anderes Regelwerk treffen – oftmals unvorstellbar schwächer. Darüber hinaus gibt es aber auch arme Länder, die sich mit Erfolg schon Problemen stellen, für die Deutschland noch nicht ausreichend vorbereitet scheint, so zum Beispiel den Überschwemmungskatatrophen.

Wissenstransfer geht aber viel weiter. Was wir heute über die Welt wissen, das wird gene­rell nach konkreten Fragestellungen erforscht, die der Geldgeber definiert. Und so ist es üblich, dass internationale Organisationen, aus dem Wirtschafts- und Finanzsektor, die Vereinten Nationen und die internationale Kooperation, ganz praktisch Antworten und Lösungen für die anderen suchen, die es nicht nötig machen, sich auch selbst zu ändern. Insofern ist das Vorherrschen einer von Interessen und Tabus geleiteten Dritt­mittelfor­schung im Vergleich zur Idee der unabhängigen Forschung absolut besorgnis­erregend.

Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd

Noch extre­mer ist der Unterschied, wenn der Norden auf den Süden schaut. Wie viel Geld kann der Süden investieren, um sich selbst oder gar den Norden zu betrachten? Akade­mische Institu­te in armen Ländern werden, wenn überhaupt, nicht selten dafür benutzt, punktuelle Fragen zu klären, deren Antworten bereits über den Auftrag abgesteckt sind. Gerade auch darum sind diese Institute oftmals schwach. Ich selbst habe dies in 20 Jahren in Lateinamerika immer wieder sehen müssen. Oder kann sich jemand vorstellen, dass die USA bei der Frage der Ursachen der Migration in Zentralame­rika zu wissen interessiert sind, ob ihre Handels­verträge dazu beitragen? Um es klar zu sagen, nein, das sind sie nicht. Und wir Europäer im Vergleich?

In der Praxis ist es aber nicht einmal so sehr die Akademie im Süden, die dem Norden untergeordnet zuarbeitet, sondern es sind Nichtregierungsorganisationen, die bei Bedarf für Wochen oder Monate Expertise einkaufen. Mitunter stellen die Geldgeber die Fachleute auch direkt ein. Deren Wissensproduktion fließt dann nur unzureichend in die nationale Debatte ein. Nach meiner Erfahrung vergessen danach sogar gut finanzierte UNO-Organi­sationen viel zu oft, ihre Forschungen in den Provinzen zu präsentieren, in denen sie die Interviews führten und wenn das Ergebnis den definierten Zielen widerspricht, dann wenden die Autoren und Autorinnen ihr ganzes Geschick an, um doch noch etwas davon zu retten. Auf diese Weise lässt sich erklären, dass die Einleitungen so mancher Auftragsforschung sich wie politische Statements lesen, auch wenn der Text durchaus neue Erkenntnisse liefert.

Ein Klimadienst, der Wissenstransfer auch von Süd nach Nord garantieren will, sollte darum nicht nur Personal von Süd nach Nord entsenden, sondern auch dabei helfen, die Wissens­produktion dort, Kooperationen zu stärken und eine kritische Masse zu­zulassen. Vieles ist eine Frage der Perspektiven, nur eine zu vertreten ist wenig zielführend.

  • Advocacy, da wo relevant

Die Antworten auf den Klimawandel bedürfen neuer Technologien und – wie erwähnt – viel mehr Bewusstsein. Aber wer genau sollte seine Einstellungen wandeln und wie? Die Wir­kungsorientierung in der Entwicklungszusammenarbeit hat in diesem Rahmen den Hang, entweder in einer Hauptstadt des Südens zu agieren oder dort, wo die Menschen unter den Folgen leiden, in entlegenden und armen Regionen. Politischer Wandel jedoch bedarf der Arbeit mit unterschiedlich­sten Akteuren, damit die EZ nicht zum Tropfen auf dem heißen Stein wird.

Und mehr noch gilt es, Allianzen zu stärken, zwischen Ländern und Institutionen des Südens oder auch für den Süden und mit dem Norden, vielleicht bei der UNO in Genf, in Washington oder in Berlin. Auch hier könnte personelle Zusammenarbeit helfen, mitunter einer Fachkraft aus dem Süden und dann wieder mal jemand aus dem Norden. Solche Fragen müssen von Fall zu Fall beantwortet werden. 

In einem kürzlich organisierten Seminar der Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste, AGdD, stand die Advocacy für die meisten anwesenden (ehemaligen) Fachkräfte im Zen­trum ihrer Lehren für die Zukunft. Dafür müssten aber alte Regeln flexibler gestaltet werden, denn noch kann die Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit seine Arbeit geographisch prinzipiell nur im Zielland des Südens verrichten.

  • Die Stärkung des Staates oder der Zivilgesellschaft?

Innerhalb der Gesellschaften besteht eine der ewigen Fragen darin, ob mit dem Staat oder der Zivilgesellschaft kooperiert werden soll. Dies betrifft natürlich nicht nur in die Klima- und Umweltpolitik, zeigt aber sofort, wie komplex die zu lösenden Aufgaben sind und dass es keine Klimaarbeit geben kann, ohne zugleich durch das verworrene Dickicht politscher, wirtschaftlicher und sogar kultureller Gegebenheiten zu schauen. Auf den ersten Blick scheint die Frage in Deutschland gelöst zu sein, denn während die zivilgesellschaftlichen Organisationen generell auf ihrer Seite des Spektrums agieren, ist die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, die dem Ministerium zuarbeitet, zum Staat hin orientiert. In der Praxis muss ein Personal­dienst aber auch hier einiges beden­ken (andere Beobachtungen betreffen eher Aspekte der Projektar­beit).

Staaten, wie etwa Guatemala, müssen nicht nur gestärkt und entworren werden, sondern auch aufgebaut. Wie jede Instanz muss auch das nationale Umweltministerium ausreichend außerhalb der Hauptstadt vertreten sein. Deren Präsenz greift aber nicht nur in die immer noch aktuelle ideologische Frage nach der Rolle des Staa­tes für die Wirtschaft ein, sondern auch mit welchen Steuereinnahmen diese Präsenz finan­ziert werden, beziehungsweise wer diese bezahlen soll.

Wie alle anderen muss also auch die Klimapolitik an sich und ein Dienst personeller Zusammenarbeit die nationale Willens­bildung bedenken. Bleibt sie im strikten Sinne neutral, so wie es die UNO-Regeln, die bilate­rale Kooperation, aber implizit auch Anhänger des Postkolonialismus verlangen? Oftmals res­pektiert die EZ den mangeln­den Willen des Staates und gibt technische Hilfestellungen – ohne große Wirkung. Hier befinden wir uns vor einer Problematik, die öffentlich nur schwer diskutiert werden kann.

Die Lage spitzt sich zu

Auf Seiten der Zivilgesellschaft sieht die Frage der Stärkung ganz anders aus. Und hier wird es nun wirklich spannend: Hat schon einmal jemand dazu geforscht, wie die Finanzierungs­regeln und die Ideologie des freien Unternehmertums in der EZ in den Zustand der Zivilge­sellschaft eingreifen? Darüber hinaus gibt es noch andere Probleme:

Politische Willensbildung braucht partizipativer Strukturen, dies lässt sich aus vielen Pro­jektbeschreibungen ablesen. Aber wie eng und nachhaltig wird ein Netzwerk, wenn bei der nächsten Projektausschreibung alle gegeneinander antreten müssen und es in Zei­ten des Rückzugs der Kooperation oftmals um die Frage die reines Überlebens geht? Und wie sehr sind die Organisationen faktisch noch mit der Basis verknüpft, wenn die administra­tiven Erfordernisse und Abläufe alle Kraft benötigen und nur das was im Projekt genannt wird, auch tatsächlich gemacht wird.

Über die Jahre hat sich die Lage mit manchen Geld­ge­bern, auch aus Deutschland, dramatisch zugespitzt. Einige zahlen für die Dienste der nationalen Organisation keinen Overhead mehr, also den Anteil, mit dem die Struktur der Organisation co finanziert wird. Nur, wo soll das Geld für den oder die Direktorin kommen, für den Techni­ker, die Miete des Hauses oder die Rezeption. Und die Projektmitarbeiter, deren Arbeitsauf­wand – ohne jede Sozialversicherung – auf vielleicht 20 Prozent einer Stelle festgelegt wurde?

In dem konkreten Beispiel des Deutschen Volkshochschulverbandes, DVV, gab es Jahre später dann sogar nur noch Geld für die abgewickelten Veranstaltun­gen. Das Denken und der Aufbau eines Prozesses obliegt, wenn überhaupt, dann nur noch der Organisation aus dem Norden. Sollten die Exper­ten oder Entwicklungshelfer so bezahlt werden, dann bräche das System auf der Stel­le zusammen, aber mit den nationa­len Kräften der Counterparts geht das offenbar, denn die haben keine andere Wahl und wehren sich nicht, denn Alterna­tiven sind nicht in Sicht.

  • Der Klimadienst ist nur die kleine Lösung, aber eine feine

Ich persönlich halte den Klimadienst für eine absolut nötige Zwischenlösung auf dem Weg zu einer klimageleiteten Entwicklungspolitik. Er kann eine kleine Lösung sein, wie der bereits existierende Friedensdienst oder mit Reformen einhergehen, wie zum Beispiel am Entwicklungshelfer­gesetz. Schön wäre es, die Handelnden könnten sich zudem darauf einigen, dass die EZ im Allgemeinen und die personelle Zusammenarbeit im Spezifischen heute eine globale Aufgabe würde, die Nord und Süd nicht mehr so streng trennen darf. Fach­kräfte gilt es mitunter auch im Süden zu finden und Menschen gilt es dorthin zu senden, wo dies im jewei­ligen Kontext sinnvoll erscheint, als Süd-Süd Kooperation oder in den Norden.

Eine engere Kooperation braucht zugleich einer Revision der (administrativen) Regeln und Förderrichtlinien, einer effektiven Stärkung von Staat und Zivilgesellschaft sowie eines Wissenstransfers, der schon bei der Definition der Forschungsinteressen und der For­schung selbst beginnt. Neben seinen klassischen Arbeitsfelder sollte der Klima­dienst auch dort zu helfen in der Lage ein.

Neue Perspektiven schaffen

Bei alledem ist aber nicht zu vergessen, dass sich die Klimakooperation in demselben Dilemma befindet (wie auch alle anderen Themen vorher): Die Abhängigkeit vom Willen politischer Eliten, auf die man auch einwirken muss – es kann nicht nur um die Armen gehen – und der von Kontextbedingungen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. In der Regel heißt dies Stärkung des Staates und seiner lokalen, natio­nalen und regionalen Wirtschaftsstruktur, als Teil fairer Handesbeziehungen, die auch an ihre Fähigkeit denkt, Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Klimawandel stellt uns vor neue Herausforderungen. Er muss nicht nur mit einer Auf­wertung des Themas einher gehen, sondern auch mit einer Reform der Entwicklungszu­sammenarbeit, die sich aus einigen Zwängen der Vergangenheit zu lösen hat: der Einbahn­strasse von Nord nach Süd, der Konzentration auf die direkte Wirkung, den Zusammen­hängen mit Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und  einer administrativen Kontrolle, die die Counterparts oftmals eher schwächen, als sie zu stärken. Der Klimadienst ist ein erster wichtiger Schritt, mit dem die Grenzen der alten Entwicklungszusammenarbeit überwunden und neue Perspektiven gefunden werden können.

weiterführender Artikel

Kommentare

Worauf es bei einem "Klimadienst" ankommt / Ungleichgewicht zwis

DANKE für diesen Beitrag Dirk Bornschein!

"Der Klimawandel basiert schließlich vor allem auf den wirtschaftlichen und den energiepolitischen Mechanismen, die in dem Wirken der Industrieländer seinen Ursprung hat."

Siehe dazu bitte:

https://kontrast.at/wer-stoesst-am-meisten-co2-aus/

auch, aber im Wesentlichen beruht

er auf dem ungehemmten Bevölkerungswachstum- der ja nun auch hierzulande fortgesetzt wird. Daher - Kindergeld runter, nicht auch noch monetär anheizen, dieses schädliche Wachstum

Kindergeld runter

Herr Freitag, Ihre Forderung in diesem Zusammenhang nach "Kindergeld runter" (gerade in Deutschland) geht nach meiner Ansicht völlig am Grundproblem vorbei und ist eher stark populistisch.
Insofern darf ich hinweisen auf:

https://www.welthungerhiilfe.de/presse/pressemitteilungen/welthunger-ind...

https://www.welthungerhilfe.de/welternaehrung/rubriken/klima-ressourcen/...

ja, so kann man das machen, wenn die Meinung nicht

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