
„Als Wöschbacherin weiß ich was es bedeutet, wenn nachts kein Bus mehr fährt, schnelles und freies Internet immer noch auf sich warten lässt, Geschäfte schließen und dennoch kaum bezahlbarer Wohnraum verfügbar ist“, schrieb Aisha Fahir vor der Kommunalwahl im Mai 2019 auf Facebook. Die 23-Jährige übernahm Verantwortung und ist seit zwei Jahren Gemeinderätin in Pfinztal – einer rund 18.500 Einwohner*innen zählenden Gemeinde nahe Karlsruhe. Nun will sie mehr, nämlich für die SPD in den Landtag von Baden-Württemberg. Sie kandidiert, um für frischen Wind zu sorgen, den Landtag zu verjüngen und für ihre Themen zu streiten.
„Wo kommst du her?“ – Aus Wöschbach!
Fahir ist eine waschechte Wöschbacherin. In dem kleinen Ort wuchs sie auf. Dort, wo ihre Familie noch heute lebt, fühlt sie sich „daheim“. Dennoch begegnet ihr immer wieder die Frage „Wo kommst du eigentlich her?“. Weil sie anders aussieht als andere Badener*innen. Weil ihr Vater aus Sri Lanka stammte. Jüngst wurde eines ihrer Wahlplakate daher zum Ziel rassistischer Schmierereien. Ein Hakenkreuz war über ihr Gesicht gemalt. „Als ich es mitbekommen habe, war der Fall schon bei der Polizei. Ich habe dann die Fotos gesehen und war sehr geschockt. Ich habe einen Moment gebraucht, um zu realisieren, wie krass das ist“, berichtet die Sozialdemokratin.
Doch Fahir ließ sich nicht einschüchtern, zeigte gleich klare Kante, auch in den sozialen Medien. „Es zeigt, wie wichtig es ist, dass jemand wie ich in den Landtag kommt und ich mich nicht unterkriegen lasse“, sagt sie. Zudem erfuhr die jüngste Landtagskandidatin der SPD große Solidarität innerhalb der Partei. Katja Mast, Thorben Albrecht oder Sawsan Chebli sprachen ihr auf Twitter Mut zu. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil war für Wahlkampftermine in der Region und traf sich kurzerhand mit ihr in Karlsruhe. „Mir ist es wichtig, im Namen der ganzen SPD zu sagen: Wir stehen hinter dir. Wir lassen nicht zu, dass jemand aus unseren Reihen angegriffen wird“, sagt Klingbeil in einem Video, das die SPD auf Instagram veröffentlicht hat.
„Das war richtig toll und ich habe mich dadurch bestärkt gefühlt“, sagt Fahir nach dem Treffen mit Klingbeil. Vor dieser rechtsextremen Attacke war Rassimus nicht das beherrschende Thema ihres Wahlkampfes. Sie setzt sich beispielsweise für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Pflegebereich ein. Dafür hat sie auch einen Fünf-Punkte-Plan entwickelt, den sie gemeinsam mit dem Pfleger Alexander Jorde in einer Online-Veranstaltung diskutierte.
Zurück in die Zukunft
Und dennoch schwingt das Thema Rassismus bei ihr implizit immer mit. Wegen der Anfeindungen, aber auch als Motivation, Dinge innerhalb der Gesellschaft zum Positiven zu verändern. Mit 16 trat Fahir in die SPD ein, engagierte sich früh, bei den Jusos, im Ortsverein, seit zwei Jahren im Gemeinderat. Durch die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen und dem rechtsextremen Anschlag in Hanau im Februar vergangenen Jahres wuchs bei ihr die Erkenntnis: „Ich will mehr machen.“ Sich einmischen, für den Landtag kandidieren. „Es hat mir noch mal vor Augen geführt, dass es passieren kann, dass mein Bruder in eine Shishabar geht und umgebracht wird“, sagt Fahir offen.
Die 23-Jährige kämpft für eine bessere Gesellschaft. Sie will nicht zurück in die „alte Normalität“ vor Corona. Ihr schwebt eine „neue Normalität“ vor, von der sie sehr konkrete Vorstellungen hat: „Die neue Normalität ist so sozial, gerecht und klimafreundlich wie nie zuvor.“ Dafür will sie den ÖPNV stärken, langfristig soll er kostenlos werden. Die Gesundheitsversorgung dürfe nicht den Regeln des Marktes angepasst werden, Mieten müssten bezahlbar sein. Im Wahlkreis Ettlingen, in dem sie kandidiert, seien die durchschnittlichen Mieten innerhalb eines Jahres um acht Prozent gestiegen, obwohl die Gegend recht ländlich geprägt ist, berichtet sie. Die Nähe zu Karlsruhe reiche schon für den Anstieg.
Unterstützung von Kevin Kühnert
Ob es für Fahir mit dem Einzug in den Landtag klappt, ist aufgrund des komplizierten Wahlsystems in Baden-Württemberg schwierig vorherzusagen. Anders als etwa bei der Bundestagswahl darf jede*r Wähler*in nur ein Kreuz machen. Der oder die Kandidat*in mit den meisten Stimmen gewinnt den Wahlkreis direkt. Weitere Mandate sind jedoch nach Regionalproporz der Parteien möglich. In jedem Fall gibt Fahir ihr Bestes, auch wenn der Wahlkampf zurzeit durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nur eingeschränkt möglich ist. Sie macht viel Haustürwahlkampf. „Man klingelt und geht gleich einen Schritt zurück, trägt immer eine Maske“, berichtet sie. Zudem setzt sie auf Online-Veranstaltungen. Am Freitag ab 17.45 Uhr ist der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert digital zu Gast.