Interview mit Justizminister Heiko Maas zur VDS

„Kein unerheblicher Eingriff in die Grundrechte“

Sarah Schönewolf16. April 2015
Heiko Maas in der Bundespressekonferenz
Ist überzeugt, einen guten Kompromiss vorgelegt zu haben: Bundesjustizminister Heiko Maas.
Bundesjustizminister Heiko Maas will die Vorratsdatenspeicherung unter strengen Auflagen für maximal zehn Wochen erlauben. Im vorwärts-Interview erklärt er, warum die Einigung mit dem Bundesinnenministerium ein guter Kompromiss ist, Deutschland seinen eigenen Weg geht und warum wir unsere Freiheitsrechte nicht zulasten einer vermeintlichen Sicherheit aufgeben dürfen.

Sie haben - nach intensiven Vorgesprächen mit ihrem Kollegen aus dem Bundesinnenministerium - einen Vorschlag zur Speicherung von Verkehrsdaten vorgelegt. Wie zufrieden sind Sie mit dem nun gefundenen Kompromiss?

Zu einem Kompromiss gehört immer, dass beide Seiten Abstriche machen. Aber ohne Kompromisse wäre politisches Handeln faktisch nicht möglich. Ich bin aber überzeugt, dass wir einen guten Kompromiss vorgelegt haben. Unsere Leitlinien kombinieren zeitlich und inhaltlich eng begrenzte Speicherfristen mit sehr strengen Abrufregelungen. Wir haben uns dabei an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs gehalten – und ich habe natürlich auch den Parteitagsbeschluss von 2011 im Auge gehabt.

Dass wir einen ausgewogenen Mittelweg gefunden haben, zeigen auch die unterschiedlichen Reaktionen: Einigen geht er nicht weit genug, denn es ist eben nicht die alte Vorratsdatenspeicherung, deren Wiedereinführung sich insbesondere die Sicherheitspolitiker gewünscht hatten. Und anderen – insbesondere den Netzpolitikern – geht er zu weit.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, dass die VDS-Richtlinie unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist, hat die EU-Kommission in diesem Jahr erklärt, keinen neuen Vorschlag für eine EU-Richtlinie vorzulegen. Warum strebt Deutschland bei der Vorratsdatenspeicherung jetzt einen nationalen Alleingang an?

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs war die damalige EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hinfällig. Direkt nach dem Urteil habe ich gesagt, dass wir das Urteil sorgfältig auswerten und neu mit unserem Koalitionspartner über das Thema reden werden. Das haben wir getan. Natürlich hätte es Sinn gemacht, zunächst eine mögliche neue EU-Richtlinie abzuwarten, bevor man eine nationale Regelung trifft. Aber nachdem die EU-Kommission entschieden hatte, eine neue Richtlinie vorerst nicht vorzulegen, waren wir als nationaler Gesetzgeber wieder am Zug. Ich weiß auch nicht, ob man wirklich von einem nationalen Alleingang sprechen sollte. Schließlich verfügen die weitaus meisten Mitgliedstaaten der EU über Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung. Die meisten gehen weit über das hinaus, was wir jetzt regeln wollen.

Gespeichert werden IP-Adressen und Verbindungsdaten, aber Inhalte wie etwa der E-Mail-Verkehr nicht. Wären diese aber nicht gerade für die Aufklärung von schweren Straftaten notwendig?

Es gibt viele Daten und Informationen, an die die Strafverfolgungsbehörden gerne herankommen würden – aber wir dürfen unsere Freiheitsrechte nicht zulasten einer vermeintlichen Sicherheit aufgeben.Die E-Mail-Kommunikation gehört inzwischen zum alltäglichen Leben fast aller Bürgerinnen und Bürger. Verabredungen, Einladungen, private Erlebnisse – all das wird heutzutage über Emails ausgetauscht. Ich halte es für falsch, wenn der Staat auf diese sehr privaten Dinge aller Bürgerinnen und Bürger Zugriff bekäme. Für die Strafverfolger ist vor allem wichtig, dass sie beim Verdacht sehr schwerer Straftaten sehen können, wer wann mit wem telefoniert hat, welche IP-Adressen zu einem bestimmten Zeitpunkt wem zugeordnet waren und – in Ausnahmefällen – in welcher Funkzelle ein Mobilgerät zu einem bestimmten Zeitpunkt war.

Was sagen Sie Kritikern, die in der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung eine fundamentale Einschränkung der Bürgerrechte und einen Generalverdacht gegen die Bevölkerung sehen?

Es ist richtig, dass die Speicherung von Verbindungsdaten keinen unerheblichen Eingriff in die Grundrechte darstellt. Deswegen legen wir ein besonderes Augenmerk darauf, Freiheitsrechte und Datenschutz soweit wie möglich zu sichern und zu bewahren. Unsere Leitlinien sehen daher unterschiedliche Höchstspeicherfristen vor: Standortdaten dürfen nur vier Wochen gespeichert werden, weil es sich hierbei um besonders sensible Daten handelt. Für die übrigen Verkehrsdaten sehen die Leitlinien eine Höchstspeicherfrist von zehn Wochen vor. Und: Der gesamte Email-Bereich ist komplett von der Speicherung ausgenommen. Und die Daten von Berufsgeheimnisträgern dürfen nicht abgerufen werden; Zufallsfunde dürfen nicht verwertet werden. Damit gehen die Einschränkungen bei der Speicherung und die hohen Hürden beim Abruf weit über das hinaus, was in bisherigen Regelungen enthalten war. Nach unseren Leitlinien dürfen künftig deutlich weniger Daten auch nur für einen kürzeren Zeitraum bei höheren Zugriffshürden gespeichert werden.

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Kommentare

Vorratsdatenspeicherung

Wenn Heiko Maas eingesteht, dass die Vorratsdatenspeicherung keinen unerheblichen Eingriff in die Grundrechte darstellt, stellt sich die Frage, warum er als Mitglied der Exekutive, diesen erheblichen Eingriff in die Grundrechte mitträgt. Denn nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt ....als unmittelbar geltendes Recht. Er räumt damit also ein, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Verfassung verstößt. Wenn auch Art. 19 Abs. 1 Einschränkungen erlaubt, dürfen Grundrechte nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden. (Art. 19 Abs. 2 GG), aber auch dieser Grundsatz ist spätestens nach den Enthüllungen von Snowden Makulatur.