
Menschen wie Karla Spagerer gibt es nicht mehr viele. Die Schrecken der Nazi-Zeit hat sie am eigenen Leib erfahren. „Als ich sieben war, wurde meine Großmutter von der Gestapo verhaftet“, erzählt Spagerer. Die Kommunistin hatte Geld und Lebensmittel für Familien gesammelt, deren Väter bereits verhaftet worden waren. Erst 18 Monate später sei sie aus dem Zuchthaus zurückgekehrt.
Weil sich die Nazi-Zeit nicht wiederholen darf
Als Karla Spagerer zehn Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Ihr Vater wurde eingezogen. Als Spagerer ihn wiedersah, war sie bereits 18. Es sind nur zwei Geschichten von vielen, die die 92-Jährige erzählen kann. Als Zeitzeugin ist sie seit 2018 vor allem an Mannheimer Schulen zu Gast, um über die Schrecken des Nationalsozialismus zu berichten. Fragt man sie nach dem Grund, kommt die Antwort prompt: „Weil ich nicht will, dass sich so etwas wiederholt.“
Dabei fing sie erst mit Ende 80 an, von ihren Erlebnissen zu erzählen. „Ich war überzeugt, die Menschen haben aus Fehlern gelernt. Aber nach dem Auftauchen der AfD bin mir da nicht mehr sicher“, sagt Karla Spagerer zur Begründung. Die Idee, dass sie ihre Erfahrungen aus der Nazi-Zeit mit jungen Menschen teilen könnte, hatte der Mannheimer SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei. Er begleitet Spagerer auch meistens zu den Veranstaltungen.
„Mir blieb die Spucke weg.“
„Die jungen Leute sind sehr interessiert und hören meistens gebannt zu“, sagt Karla Spagerer. Ihnen gefalle, dass Geschichte über die Erzählungen lebendiger wird, als würden sie nur im Schulbuch darüber lesen. Trotz ihrer 92 Jahre dürfen die Schüler*innen Karla Spagerer meist duzen. Das helfe bei den Gesprächen. Die fänden auch während der Corona-Zeit statt. Das ist Karla Spagerer wichtig. „Solange ich noch kann, werde ich weiter erzählen“, sagt sie.
Dieser unermüdliche Einsatz hat auch die SPD in Baden-Württemberg beeindruckt – so sehr, dass sie Karla Spagerer als Wahlfrau für die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten nominierte. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch rief sie persönlich an, um zu fragen, ob sie nach Berlin fahren möchte. „Ich saß auf dem Sofa und mir blieb die Spucke weg“, erinnert sich Spagerer.
Ein Foto mit Steinmeier im Wohnzimmer
Die Nominierung empfindet sie als große Ehre. Mit 92 Jahren wird sie die älteste der 1.472 Delegierte sein, die den Bundespräsidenten wählen. Nach Berlin wird sie von ihrem Enkel Tim gefahren. Der 24-Jährige ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Waldhof-Luzenberg, zu dem auch seine Großmutter seit mehr als 50 Jahren gehört. „Ich bin ja erst mit 40 Jahren eingetreten“, erzählt Karla Spagerer, „wegen Willy Brandt“.
Frank-Walter Steinmeier wird sie aus vollem Herzen ihre Stimme geben. „Er ist ein solider Mann, zu dem man Vertrauen haben kann, ein Bundespräsident für alle“, findet sie. Auch dass er „offen und mit voller Kraft sagt, dass wir für die Demokratie kämpfen müssen“, gefällt Karla Spagerer. Persönlich kennengelernt hat sie Steinmeier vor einigen Jahren im Wahlkampf. Damals kam er als Außenminister nach Mannheim. Ein Foto von den beiden steht noch heute in ihrem Wohnzimmer.