Vor 100 Jahren

Kapp-Lüttwitz-Putsch: Als ein Generalstreik die Demokratie rettete

Klaus Wettig13. März 2020
Vor 100 Jahren begann der rechtsextreme Kapp-Lüttwitz-Putsch, der die Weimarer Republik beseitigen wollte. Er scheiterte am zivilen Widerstand eines Großteils der Bevölkerung. Den Niedergang der Demokratie konnte das allerdings nur kurz aufhalten.

Vor 100 Jahren bewährte sich der zivile Widerstand gegen einen Putsch-Versuch, der die junge Weimarer Republik beseitigen wollte. Sicher ist nicht, was die Putschistenführer – der General Walther von Lüttwitz und der Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp – als Regierungsform präzise anstrebten, auf jeden Fall wäre die demokratische Regierungsform mit ihren Freiheitsrechten auf längere Zeit durch eine Militärdiktatur ersetzt worden. Dass dieser Angriff auf die Republik scheiterte, verdankte sie dem entschlossenen Handeln der sozialdemokratischen Gewerkschaften – dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und der Angestelltengewerkschaft (AfA), deren Aufruf zum Generalstreik sich die meisten christlichen Gewerkschaften sowie die liberalen Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine bald anschlossen.

Auch in der Beamtenschaft der Reichs- und Landesbehörden blieb die Unterstützung für Kapp-Lüttwitz verhalten, viele kommunale Verwaltungen bekannten sich zur Weimarer Reichsverfassung. Überraschend verweigerte die Reichsbank die Unterstützung für Kapp-Lüttwitz. Obwohl in der Unternehmerschaft die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung mit Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Otto Bauer wenig Zustimmung fand, erklärte sich der „Reichsverband der Deutschen Industrie“ gegen die Putschisten. Die Kirchen schwiegen. Sie haderten nach wie vor mit der neuen Verfassung, die das Staatskirchensystem beendete. Ihre Einstellung zur Republik von Weimar war deshalb zwiespältig. Ein Aufruf an die Gläubigen zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Regierung unterblieb.

Noskes Rücktritt beendete den Generalstreik

Der am 13. März gestartete Putsch endete am 17. März mit der Flucht Kapps nach Schweden, nicht jedoch der Generalstreik, da die Gewerkschaften ihre Forderungen nicht erfüllt sahen. Erst am 22. März erklärten die streikleitenden Gewerkschaften das Streik-Ende. Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen über ein Reformprogramm zwischen den Gewerkschaften, Vertretern der Reichsregierung und bevollmächtigten Vertretern der Reichstagsparteien, die am 20. März zu einer Einigung auf neun Punkte geführt hatten. Der Streik erfuhr eine Fortsetzung, als bekannt wurde, dass Reichspräsident Ebert den für sein Versagen kritisierten Reichswehrminister Gustav Noske im Amt halten wollte. Erst Noskes Rücktritt am 22. März beendete den Generalstreik.

Das am 20. März vereinbarte Programm blieb weitgehend Papier. Weder gelangen die Entwaffnung und Bestrafung aller am Putsch Beteiligten, noch konnte die mit dem Putsch sympathisierende Beamtenschaft entlassen werden. Es gab auch keine Verwaltungsreform und die versprochene Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeiter, Angestellten und Beamten unterblieb ebenfalls. Auf die zugesagte Sozialisierung der „reifen“ Wirtschaftszweige wurde verzichtet. Die notwendige Umorganisation der Reichswehr fand nicht statt, die konterrevolutionären Verbände wurden zwar zurückgedrängt, aber als „schwarze Reichswehr“ lebten Teile im Untergrund weiter.

Das Kräfteverhältnis verschiebt sich

Der Generalstreik hatten den Kapp-Lüttwitz-Putsch besiegt, doch die Zahl der Todesopfer betrug einige Hundert und sie erhöhte sich durch die Fortsetzung in regionalen Kämpfen weiterhin. Hier ist der Ruhrkampf 1920 zu nennen, in dem die neue Reichswehr-Führung unter General v. Seeckt bedenkenlos Verbände einsetzte, die auf Seiten der Putschisten gekämpft hatten.

Das Urteil über die Folgen des Kapp-Putsches führt zu dem Ergebnis, dass die mühsam gegenüber der Obersten Heeresleitung (OHL) durch den Rat der Volksbeauftragten durchgesetzte Zivile Gewalt in Militärfragen, die die Weimarer Reichsverfassung gegen Vorbehalte der Militärs bestätigt hatte, sich nach dem Ende des Putsches zugunsten der Reichswehrführung verschoben hatte. Ein unerwünschtes, von der erfolgreichen Streikpartei nicht erwartetes Ergebnis. Ein Sieg der Demokratie auf der ganzen Linie, wie ihn Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) in der Nationalversammlung feststellte, war die Niederlage von Kapp-Lüttwitz nicht.

Kaum einer der Putschführer wurde bestraft

Die von den Gewerkschaften geforderte Arbeiterregierung kam nicht zustande und führende Sozialdemokraten weigerten sich, das von Gustav Noske aufgegebene Reichswehrministerium zu übernehmen, sodass es an den liberalen Politiker Otto Gessler fiel. Gesslers guter Wille reichte nicht aus, die versprochene Säuberung der Reichswehr durchzusetzen. Schon die Reichstagswahl am 6. Juni 1920 schuf mit einem Rechtsruck Fakten, die eine grundsätzliche Korrektur der Militärpolitik unterliefen.

Entlassen wurden 172 Offiziere, darunter zahlreiche Generäle. Obwohl die Putschbeteiligung nach der geltenden Rechtsordnung „militärischer Aufruhr“ und der Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung „Hochverrat“ war, erhielt kaum einer der Putschführer eine Freiheitsstrafe. Die Zurückhaltung von Offizieren bei der Verteidigung der Republik wurde ebenfalls nicht geahndet. Seeckt entließ jedoch Offiziere, die sich den Putschisten widersetzt hatten.

Noske übersah die republikfeindlichen Umtriebe

Einzig die sozialdemokratische preußische Regierung entließ Unterstützer des Putsches in der Beamtenschaft. Schon als Landwirtschaftsminister hatte Otto Braun (SPD) in Preußen begonnen, die Agrarverwaltung von monarchistisch-großagrarisch eingestellten Beamten zu säubern. Diese Politik setzte er als preußischer Ministerpräsident fort, was auch Sympathisanten des Kapp-Putsches traf.

Die politische Linke hätte sich nach dem Kapp-Putsch der Analyse ihrer Militärpolitik stellen müssen, was nach dem erzwungenen Rücktritt von Noske unterblieb. Es gab keine vertiefte Diskussion darüber, warum die Militärpolitik ausschließlich Noske überlassen wurde, der seit seinem Einzug in den Reichstag 1906 zum unumstrittenen Militärpolitiker wurde, dessen Freiraum zu unabgesprochenen Akzenten in der Militärpolitik der SPD führte. Die linke Kritik schrieb schon bald:

Noske schnallt den Säbel um,
Noske geht aufs Ganze,
Noske feuert bum, bum, bum,
Noske stürmt die Schanze,
Noske schneit hurra, hurra!
Noske hält die Wachen,
Noske schießt Viktoria,
Noske wird’s schon machen!

Kontrolliert wurde Noskes Politik offensichtlich nie. Eher ist das Gegenteil festzustellen, dass sein Einfluss von Jahr zu Jahr wuchs, sich im Weltkrieg nochmals steigerte. Der Aufsteiger Noske bewegte sich unter Generälen und fühlte sich dort akzeptiert, übersah die republikfeindlichen Umtriebe. Nur so lassen sich seine Fehler bei der Umorganisation der kaisertreuen Armee erklären. Anders ist sein Vertrauen in Kaiserliche Offiziere und die Benachteiligung republiktreuer Offiziere nicht zu verstehen. Trotz massiver Kritik aus der SPD blieb er bei seinem verhängnisvollen Kurs, der alle Putschwarnungen ignorierte und putschbereiten Offizieren weiterhin vertraute.

Die Distanz der SPD zum Militär blieb

Mit dem Rücktritt Noskes verschwand die Distanz der führenden SPD-Politiker zur Militärpolitik freilich nicht. Chancen zur Korrektur unterblieben in Oppositions- wie in Regierungsjahren. Ob dieses die Machtübernahme der Nazis ausgebremst hätte, bleibt eine offene Frage. Erstaunlich ist die Fortsetzung der militärpolitischen Distanz der SPD-Führung in der Bonner und der Berliner Republik, die nur von Helmut Schmidt und Peter Struck durchbrochen wurde, ohne dass damit die heute offenen Fragen einer sozialdemokratischen Militärpolitik beantwortet wären.

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Kommentare

Dürftig

Die SPD geführte Regierung Bauer samt Ebert floh jämmerlich zuerst mal nach Dresden und dann nach Stuttgard. Bei keinem Reichswehrführer fand sie Unterstützung. Die putschenen Freikorps waren (samt Reichswehr) zuvor von Noske aus ehemaligen Offizieren und Unteroffizieren zusammengestellt worden - der vorwärts warb dafür, und finanziert wurden die von der antibolschewistischen Liga - gegen die "Spartakisten". Die "Rote Ruhrarmee (RRA)", bestehend aus weitgehen parteiunabhängigen syndikalistischen Arbeitern wurde auf Befehl derer zusammengeschossen, denen sie gerade die Haut gerettet hatte, und zwar von denjehnigen die gerade diese Regierung stürzen wollten.
Nicht zu vergessen, daß Freikorpsführer Waldemar Pabst (Liebknecht/Luxemburg Mörder) seinen Spezi Noske zum Diktator für die Putschisten vorschlug.
Warum bleibt das Bielefelder Abkommen unerwähnt ? Das abermalige jämmerliche Versagen der SPD Führung bleibt ein Schandfleck - die SPD Mitglieder büßten dafür in den KZs. Aber die KPD-Tradition braucht sich die "RRA" auch nicht unter den Nagel zu reißen, denn sie spielten dort kaum eine Rolle.

Leserbrief Christ "Rote Ruhrarmee"

Sehr geehrter Herr Christ, immer noch blitzt in heutigen Debatten bei einigen Zeitgenossen das Wort von der Masse der syndikalistischen Arbeitern im Ruhrgebiet auf. Ihre Aussage bezüglich der Zusammensetzung der Roten Ruhr Armee aus "weitgehend parteiunabhängigen syndikalistischen Arbeitern" ist mit historischen Quellen wissenschaftlich nicht zu belegen. Colm zitiert zwei Listen, auf denen die Organisationszugehörigkeit erwähnt wird: 1. Gewerkschaftszugehörigkeit: 53,2% Freie Gewerkschaft, 44,9% Freie Arbeiter Union, 1,9 % Christlich.2. Partei: 10,7% SPD,58,4 USPD,30,9% KPD. Diese Listen sind nicht repräsentativ. Die umfangreichen Listen der Verhafteten nach dem Einmarsch der Putschtruppen ins Ruhrgebiet enthalten keine Organisationszugehörigkeit. Bei den Betriebsratswahlen im Ruhrgebiet erhielten die Syndikalisten keine 5%. Das in aller Kürze zum historischen Wunschdenken.

Danke

Ich lerne gerne dazu; können sie mir die Quellen nennen. Die KPD hatte damals ca. 50000 Mitglieder und ich kann mir schwer vorstellen, daß die einen so großen Anteil an der RRA hatte.
Aber das ist eigentlich müßig, denn gerade das Verhalten der SPD Führung damals legte mit einen Grundstein dafür was 13 Jahre später geschah, aber auch die erbitterte Feindschaft der später mit Teilen der USPD vereinigten KPD gegen die Noskiden und Ebertisten.
Die SPD täte gut daran die antirepublikanischen und anti(sozial)demokratischen Verstrickungen von Ebert und Co. endlich mal historisch aufzuarbeiten und daraus zu lernen.

jämmerliche Versagen der SPD Führung?

Sie schustern sich da wieder etwas zurecht wenn Sie vom "jämmerliche(n) Versagen der SPD Führung" schwadronieren. Es ist vielmehr der Verdienst der SPD-Führung das sie in dieser schwierigen Umbruchphase den vielen Feinden der Republik Widerstand leistete und die Oberhand behielt. Die junge Republik wurde dank SPD weder Opfer einer roten Terrorherrschaft nach russischem Muster noch der rechtsnationalen Republikfeinde. Das die Republik später den Nazis zum Opfer fiel, steht ebenso auf einem anderen Blatt wie die Tatsache, dass für die KPD nicht die Nazis sondern die SPD der Hauptfeind im Kampf um die Macht war und entsprechend bekämpft wurde.

Kapp-Lüttwitz-Putsch

Wer sachliche Informationen zu diesem Putsch haben will sollte lesen:
"Kleine Geschichte der SPD 1848 - 2002", Heinrich Potthoff/Susanne Miller, 8. aktualisierte und erweiterte Auflage 2002, Dietz, Kapitel VII.: Die Demokratie von Weimar (S. 103 - 126; insbesondere die S. 106 - 112 - und dort: 2. Der Kapp-Putsch und seine Auswirkungen -. Was dort zu lesen ist, stützt weit eher die Darstellung von Armin Christ als die von Herrn Richard Frey.

Eine sehr eindrückliche Sicht auf den Kapp-Putsch findet sich bei:
Sebastian Haffner: "Die deutsche Revolution 1918/1919" ( Kindler Verlag 1979/2002); Kapitel 14: Nemesis und Kapitel 15: Drei Legenden, ab S. 213 ff.

Ob Herr Frey die Darstellungen bei Sebastian Haffner lesen möchte - muss hier offen gelassen werden.