Millionenspekulationen, Börsenkrachs und Bankenzusammenbrüche sind keine Phänomene unserer Zeit. Bereits im 19. Jahrhunderts mussten die Menschen mehr als einmal erfahren, wie sensibel ihr
internationales Finanzsystem auf Fehlspekulationen und politische Wagnisse reagierte. Auch damals bedurften die Regierungen Finanzexperten, die ihnen beim Beschaffen und beim Investieren von
Geldes zur Seite standen. Für Preußen und später das Deutsche Kaiserreich war Gerson von Bleichröder solch fähiger Finanzberater.
Als dessen Privatbankier, pflegte Bleichröder seit 1859 zu Bismarcks eine enge, bisweilen sehr persönliche Beziehung. Die sollte sogar den Sturz des Eisernen Kanzler überdauern. Dabei
konnte ihre soziale Herkunft - Junker Bismarck und jüdischer Bürgersohn Bleichröder - unterschiedlicher kaum ausfallen. Fritz Stern beleuchtet auf der Grundlage von Bleichröders umfangreicher
Korrespondenz mit Bismarck und vielen anderen Mächtigen Europas die Beziehung zwischen Staatsmann und Bankier. Die Ergebnisse legt er in der umfangreichen Monographie "Gold und Eisen" dar.
Die Finanzierung der Einigungskriege
Die großen Fragen der Zeit würden durch "Blut und Eisen" entschieden, ließ Bismarck bereits 1862 als preußischer Ministerpräsident verlauten. Diesem Paradigma folgten drei Kriege, die als
so genannte Einigungskriege in die deutsche Geschichte eingingen. Nur wenigen ist bekannt, dass neben Blut und Eisen auch Geld - oder wie Stern titelt, "Gold" - eine zentrale Rolle spielte.
Das preußische Parlament, mit der Regierung in einen Streit geraten, verweigerte dieser mehrere Jahre lang das Budget. So kam es, dass Bleichröder sich die ersten Sporen verdiente, als er
beim Konflikt Preußens mit Dänemark die Kriegskasse auffüllte. Bismarck wurde nicht enttäuscht und Bleichröder diente der Regierung auch in den folgenden Kriegen gegen Österreich und Frankreich
als wichtiger Berater in finanziellen Angelegenheiten. Dabei schreckte er nicht davor zurück, den Preußen beim Eintreiben ihrer überzogenen Kriegsentschädigungen zu helfen. Bereits zu diesem
Zeitpunkt musste Bismarck erkannt haben, wie abhängig er einerseits von Kapital war und wie er dieses andererseits als politisches Mittel einsetzen konnte.
Hochfinanz und Diplomatie im Kaiserreich
In den Jahren nach 1871 setzte Bleichröder seinen beispiellosen Aufstieg fort. Infolge seiner Nobilitation durch Wilhelm I. konnte er - nun Gerson von Bleichröder - seinen
gesellschaftlichen Erfolg auch nach außen versinnbildlichen. Aristokraten, Botschafter, ja sogar europäische Minister machten dem "geheimen Sprecher des Kanzlers" - wie ihn der französischer
Außenminister Jules Ferry einmal bezeichnete - ihre Aufwartung, um über ihn mit Bismarck zu kommunizieren.
Da auch viele von ihnen Kunden der Bleichröder-Bank wurden, gelingt Fritz Stern ein Einblick in die Lebenswelt preußischer Aristokraten. Geldgeschäfte hatten für die Junker einen anrüchigen
Beigeschmack und so bedienten sie sich der diskreten Finanzdienstleistungen Bleichröders, um ihren aristokratischen Lebensstandard zu halten. Diese Janusköpfigkeit schlug sich auch in Ihrem
Verhalten gegenüber dem jüdischen Bankier nieder: Einerseits hofierten sie ihn, andererseits belächelten und beschimpften sie ihn hinter seinem Rücken als "Judenschwein" oder "filzigen Juden".
Antisemitismus
Trotz seiner Erhebung in den Adelsstand musste Bleichröder täglich mit dem Antisemitismus leben. All seine Bemühungen, sich zu assimilieren und von seinen Standesgenossen anerkannt zu
werden, blieben fruchtlos. Gegen Ende der 1870er Jahre nahm der Antisemitismus sogar noch zu.
Der Gründerkrach und die Angst vor zu schneller Modernisierung führten zu einer unheilvollen Allianz von Antikapitalismus und Antisemitismus. Der reiche jüdische Bankier Bleichröder mit
seinen Verbindungen zu Bismarck wurde schnell zu einem beliebten Ziel von Hetzkampagnen. Diese schürten die Furcht vor einer jüdischen Weltverschwörung und wurden so zu Vorboten des dunkelsten
Kapitels deutscher Geschichte. Wie eigensinnig sein Politikstil war, bewies Bismarck, indem er seinem Vertrauten Bleichröder nicht beisprang.
Die Bedeutung des Buches
Fritz Stern hat mit "Gold und Eisen" Gerson von Bleichröder aus dem Dunkel der Geschichte hervorgeholt. Von älteren Historikern - wohl seines jüdischen Glaubens und seines Berufes wegen -
kaum erwähnt, erhält er nun seinen berechtigten Platz in den Annalen des Deutschen Kaiserreichs. Darüber hinaus konnte Stern die Verzahnung von Geld und Politik verdeutlichen und so eine weitere
Seite bismarckscher Politik offenlegen. Bei der Neuauflage eines Buches, das 1978 erstmals erschienen ist, wäre es jedoch wünschenswert gewesen, wenn der Verlag ein Vor- oder Nachwort mit
aktuellem Forschungsstand und der Rezeption des Werkes angelegt hätte.
Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, C.H. Beck (Beck`sche Reihe), München 2008, 861 Seiten mit 38 Abb., 19,95 Euro, ISBN 978-3-406-56847-3