Wahlkampf

Kampagne für die Bundestagswahl: „Menschlich gesehen ist die SPD die beste Wahl.“

Kai Doering30. November 2020
Wahlkämpfer Raphael Brinkert: Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, mutig und mehrheitsfähig zu kommunizieren.
Wahlkämpfer Raphael Brinkert: Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, mutig und mehrheitsfähig zu kommunizieren.
Raphael Brinkert und seine Agentur entwerfen die Kampagne der SPD für die Bundestagswahl. Im Interview sagt Brinkert, wie er die SPD präsentieren will, warum Olaf Scholz ein idealer Kanzlerkandidat ist und welche Rolle die Mitglieder spielen sollen.

Was hat Sie gereizt, die Wahlkampagne der SPD zu übernehmen?

Das Comeback der SPD ist die spannendste und gleichzeitig herausforderndste Aufgabe in der deutschen Parteienlandschaft – insbesondere mit Blick auf die Bundestagswahl. Es war Ehre und Verpflichtung zugleich, als wir angefragt wurden, ob wir uns am Agentur Auswahlverfahren für den Bundestagswahlkampf beteiligen wollen.

Im vergangenen Jahr haben Sie den Europawahlkampf der CDU begleitet und waren auch einige Zeit Mitglied der Partei. Ist es da nicht schwierig, plötzlich für einen politischen Gegner zu arbeiten?

Ich wollte helfen, dass starke demokratische Parteien für Deutschland in das Europäische Parlament einziehen und keine völkischen. Dazu gehört für mich auch, dass ich Mitglied werde, um die Kommunikation einer Partei ganzheitlich zu verstehen. Der Kurswechsel der CDU nach Rücktritt vom Parteivorsitz von Angela Merkel, die mangelnde Abgrenzung zur Werteunion und das wiederkehrende Kokettieren mit der AFD im Osten haben mich aber schon vor einem Jahr dazu bewogen, auszutreten.

Die SPD habe ich auch in dieser Zeit als Mitgestalter gesehen, die für wichtige Ideen wie den Mindestlohn oder die Respektrente kämpft und das Gewissen der sozialen Marktwirtschaft ist. Für diese und andere Themen möchten wir als uns als Kreative an der Seite der SPD engagieren und eine weitere Trägerrakete sein.

Bisher haben Sie viel im Sport-Bereich gearbeitet. Gibt es da Dinge, die sich auch für einen Wahlkampf nutzen lassen?

Ich habe ja nicht nur Sport- und Sozial-Themen, sondern auch Unternehmen wie Sixt oder Zalando betreuen dürfen. Aber sie haben Recht: Ich muss in den Sitzungen aufpassen, dass ich nicht zu viele Analogien aus dem Sport nutze. Gemeinsam mit Olaf Scholz, Lars Klingbeil, Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und den über 400.000 Mitgliedern wollen wir die Besten sein, weil wir überzeugt sind, dass das auch das Beste für die Mehrheit der Menschen in unserem Land ist.

Immer wieder hören wir von Leser*innen, bei Willy Brandt habe die SPD den Wahlkampf ja noch ganz allein gemacht. Warum braucht es heute eine Werbeagentur zur Unterstützung?

Die Leser*innen haben Recht. Deswegen wollen wir auch keine Agentur sein, sondern ein Experten-Team, welches das Team im Willy-Brandt-Haus unterstützt. Budgetär ist dies oft günstiger, als wenn man selbst Personal vorhält. Zur Zeit von Willy Brandt konnte man mit der Tagesschau und einem Zeitungs-Interview noch ganz Deutschland erreichen. Um heute ganz Deutschland zu erreichen, müssen sie ein Vielfaches von Medien und Kommunikationskanäle beachten und bedienen. Wichtig ist dabei nicht, ob man eine Agentur hat. Wichtig ist, wie man die Chancen optimiert, dass man eine Wahl gewinnt. Dazu gehört auch kreative Exzellenz.

Welche Punkte sollte die SPD im Bundestagswahlkampf besonders herausstellen?

Die SPD war immer dann stark, wenn es ihr gelungen ist, mutig und mehrheitsfähig zu kommunizieren. Wenn sie sich als Angreiferin positioniert hat, die den Status nicht verteidigt, sondern im Interesse der Menschen und ihrer Zukunft herausfordert. Wer wäre dafür besser geeignet, als ein Arbeitsrechtler, der viele Jahre beruflich an der Seite von Gewerkschaften und Arbeitnehmer gekämpft hat und als Finanzminister dafür sorgt, dass wir die Krise wirtschaftlich meistern?

Wir sind überzeugt, dass in der Post-Merkel und Post-Corona-Ära die ökosoziale Marktwirtschaft unser Leben und Handeln bestimmt. Dazu gehört, dass dem Gemeinwohl ein höherer Stellenwert in unsere Gesellschaft eingeräumt wird. Eine Zeit, in der der Mensch endlich wieder in den Vordergrund rückt. Wenn Deutschland also nicht nur Sozialstaat, sondern auch sozial stark sein will, müssen wir genau das intelligent und kreativ überraschend kommunizieren. Denn menschlich gesehen ist die SPD die beste Wahl. 

Welche Fehler hat die SPD im vergangenen Bundestagswahlkampf gemacht, die sie auf jeden Fall vermeiden wollen?

Mit der Analyse hat sich die SPD bereits intensiv beschäftigt. Und es ist eine Binse, dass Wahlkämpfe nicht im ersten, sondern im letzten Viertel gewonnen werden. Gleichzeitig hatte man in Angela Merkel eine Gegnerin, die einen Vampir-Effekt ausgelöst hat: Ihr Handeln hat zu oft die Arbeit und die Leistungen der SPD in den GroKo-Jahren überstrahlt. Das wird im kommenden Jahr anders.

Ein Problem war, dass soziale Gerechtigkeit in Marktforschungsgruppen zwar eine große Zustimmung erfährt, am Ende aber nicht gewählt wird. Mit Blick auf die Bundestagswahl muss die SPD bei den Meta-Themen Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt eine viel stärkere Rolle spielen. Die SPD muss beispielsweise klar machen, dass eine Wirtschaft ohne Respekt vor dem Menschen Misswirtschaft ist.

Wegen der anhaltenden Corona-Krise wird der Bundestagswahlkampf wohl anders werden als alle Wahlkämpfe zuvor. Wie wollen Sie darauf reagieren?

Gemeinsam mit Lars Klingbeil und den Teams im Willy-Brandt-Haus sowie den Ortsvereinen in ganz Deutschland  wollen wir den Wahlkampf kreativer, digitaler, persönlicher und mutiger führen. Gleichzeitig werden aber auch Plakate an Bedeutung gewinnen, gerade jetzt im digitalen Zeitalter, da diese weder weggeklickt, noch von einem Algorithmus abgestraft werden, sondern im Wahlkampf das öffentliche Stadtbild prägen. Wenn es uns gemeinsam gelingt, die mitgliederstärkste Partei Deutschlands auch zur stärksten in der öffentlichen Wahrnehmung zu machen, hat die SPD eine große Chance.

Wann geht der Wahlkampf für Sie los?

Er hat bereits begonnen.

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Kommentare

ja, das mag sein,

aber es darf doch bezweifelt werden, dass sie dafür gewählt werden wird. Es geht in der Politik ja vorrangig darum, das im Sinne des Ganzen Notwendige zu tun, also zu abstrahieren, und nicht zu personifizieren. In Barmherzigkeit dürfen sich die Kirchen übertreffen, auch Privatpersonen sind völlig frei, das letzte Hemd für den Nächsten zu geben. Wenn sich politisch in Verantwortung stehende hier meinen verwirklichen zu müssen, dann ist die ein Engagement zu lasten Dritter. Ein so weit gehendes Mandat, ein Blankoscheck solchen Ausmaßes wird in den Wahlen zum Parlament nicht erteilt.

Ökosoziale Marktwirtschaft

'Ökosoziale Marktwirtschaft' ist die Lieblingsfloskel derer, die etwas grüner und etwas sozialer sein möchten, aber nicht verstehen oder verstehen wollen, dass dies bestenfalls Grüner Kapitalismus unter der versuchten und erhofften Vermeidung der brutalsten sozialen Ungleichheiten u. Ungerechtigkeiten ist.Aber auch Grüner Kapitalismus ist Kapitalismus und unterliegt unentrinnbar den dem Kapitalismus wesensmäßig innewohnenden Zwängen: Konkurrenzprinzip/Standortwettbewerb, (exponentielles) Wachstum, Profitmaximierung, Kapitalakkumulation, exorbitant hoher Ressourcenverbrauch, exorbitant hoher Schadstoffausstoß bzw. Überlastung der Schadstoffaufnahmesenken, Ausbeutung, Unterdrückung.Jedenfalls mittelfristig ist die Überwindung des Kapitalismus notwendig.Damit ist im Kapitalismus anzufangen.
Im Kapitalismus zu fordern ist eine echte effektive Wirtschaftsdemokratie mit z.B. erheblich ausgebauten Mitbestimmungsrechten, vollständiger Einführung der Tarifbindung und einer wesentlichen Stärkung des Postulats: Eigentum verpflichtet. Für all das ist die SPD nicht mutig genug.
Die SPD sollte in das Erfurter, Heidelberger, Berliner Programm schauen und mutiger werden! Kosmetik reicht nicht!

Zuallererst muss es darum

Zuallererst muss es darum gehen, die "Abrissbirne Merkel" - die ist noch längst nicht weg - auszuschalten. Wer wählbar sein will als Partei wird den Menschen und die Natur und nicht die steuerzahlende kompromisslos angepasste "Maschine Mensch" in den Vordergrund stellen und der weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegentreten müssen. Bei der SPD sehe ich nichts, was darauf hindeuten könnte, dass dem Neoliberalismus abgeschworen wird und für Verständigung und Frieden eingetreten wird, ebensowenig wie bei der CDU/CSU und den Grünen. Letztere streben ja mit voller Wucht an die Macht.
Derzeit sieht es doch einer so aus, dass der Wähler die Qual der Wahl hat, sich für eine Partei aus der Einheitssoße zu entscheiden. Die besten Chancen würde ich der Partei einräumen, die den Mut hat, die festgenagelten Werte zu verlassen und sich für ein menschliches Miteinander in Frieden und Freiheit stark zu machen. Das die SPD die Kurve (Seeheimer) kriegt, ist eher nicht anzunehmen.

Wirtschaftlicher Erfolg durch sozialen Fortschritt

Es wäre für die SPD sehr sinnvoll, den Menschen einen Weg aufzuzeigen, wie die Erfolgsfaktoren ihrer Sozialpolitik zu wirtschaftlichem Erfolg beitragen. Das würde auf zweierlei Weise positiv wirken: Erstens, es erweitert ihre Zielgruppe von den Benachteiligten auf die gesamte Gesellschaft. Zweitens, es nimmt den Gewinnern des Wohlstands die Angst, durch mehr Sozialpolitik ihren Wohlstand gefährdet zu sehen.
Dieser Anspruch ist nur umzusetzen, wenn die Sozialdemokratie ihre Haltung erweitert und sich klarmacht, dass eine nachhaltige Sozialpolitik ohne deren positive Rückwirkung auf den ökonomischen Erfolg einer Gesellschaft nicht zukunftsfest ist.
Der Anspruch wirtschaftlichen Erfolg durch sozialen Fortschritt erzielen zu wollen, ist nur durchzuhalten, wenn die SPD ihre Haltung ändert und eine solidarische Finanz- und Wirtschaftpolitik definiert und für profitable Beschäftigung sorgt.