Sozialdemokratie

Julian Nida-Rümelin: Warum die SPD Volkspartei bleiben muss

Julian Nida-Rümelin21. Juni 2019
Die SPD sollte am Konzept der linken Volkspartei festhalten, fordert Julian Nida-Rümelin.
Peter Brandt glaubt, dass sozialdemokratische Volksparteien in Europa auch künftig gebraucht werden.
Die SPD sollte am Konzept der linken Volkspartei festhalten, sagt der frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Außerdem fordert er ein neues Grundsatzprogramm, das so geschrieben sein soll, dass es auch ohne Soziologiestudium lesbar sei.

Die SPD ist gegenwärtig zweifellos in einer ernsten Krise. Auch ob das Konzept der Volkspartei noch zeitgemäß ist, wird aktuell kontrovers diskutiert. Die SPD muss mit sich und ihrer jüngeren Vergangenheit ins Reine kommen und eine kohärente Zukunftsperspektive entwickeln. Sie muss sich nicht neu erfinden, denn ihre historischen Leistungen bis in die Gegenwart sind unbestritten und es gibt Grund darauf stolz zu sein.

Aber vieles kam auf den Prüfstand: Ist es noch zeitgemäß Neumitglieder damit zu konfrontieren, dass sie vom ersten Tag an Wildfremde zu duzen haben? Ist die Anrede „Genossinnen und Genossenen“ noch zeitgemäß? Wie lässt sich die Binnenorientierung, die die Parteiorganisationen prägen, überwinden? Stimmen die Rekrutierungsverfahren noch und wie lassen sich diejenigen für das politische Engagement gewinnen, die nur über ein knappes Zeitbudget wegen Beruf oder Familie verfügen? Wie lässt sich erreichen, dass sich die ganze Vielfalt der Milieus abbildet, die eine gerechtere Gesellschaft wünschen? Wie lässt sich der politische Gestaltungsanspruch in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung national und international realisieren?

Die SPD setzt sich für eine humanere Ordnung ein

Auf dem Prüfstand darf auch stehen, welcher Typ Partei die SPD sein will. Ihre Ursprünge liegen in Arbeitsbildungsvereinen des 19. Jahrhunderts. Ihre prägenden Gestalten wollten es nicht hinnehmen, dass die Arbeiterschaft des frühen Industriezeitalters zwar die Basis für den wachsenden Wohlstand war, aber ausgebeutet wurde (zwischen 1800-1860 verlängerte sich die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von acht auf 16 Stunden) und am sozialen und kulturellen Leben nur am Rande teilnahm. Die Schriftsetzer und Handwerksmeister, aber auch charismatische Figuren, wie Ferdinand Lassalle prägten die Sozialdemokratie in ihrer Frühzeit. Sie verstand sich dann zunehmend als Klassen-Partei und die programmatischen Texte schrieben dieses Selbstverständnis fest. In ihrer gewerkschaftlichen und politischen Praxis wurde sie aber zu einer Partei der sozialstaatlichen Bändigung des Kapitalismus und der Demokratie.

Dieses Spannungsverhältnis zwischen programmatischer Radikalität und sozialer, auch republikanischer, Praxis wurde erst mit dem Godesberger Programm von 1959 und dem neuen Selbstverständnis als linker Volkspartei aufgehoben. Als linke Volkspartei vertritt sie nicht Klassen-Interessen, sondern setzt sich für eine humanere, gerechtere politisch-soziale Ordnung ein.

Zeit für neues Grundsatzprogramm

Es wäre Zeit für ein neues Grundsatzprogramm, das so geschrieben ist, dass es ohne Soziologiestudium lesbar ist, wie es das Godesberger Programm war: programmatisch, kompakt, allgemeinverständlich. Dieses Programm sollte den Anspruch einer an sozialen und humanen Werten orientierten Volkspartei bekräftigen und unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts neu fassen. Ein Rückfall in die Klassen-Partei oder gar eine Schrumpfung zur bloßen Themen- oder Klientel-Partei jedoch ein Irrweg. Eine Sozialdemokratie, die ihre Gemeinwohlorientierung aufgibt, würde ihre Wertfundamente gefährden.

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Kommentare

Klassenpartei

Die Volkspartei SPD ist nicht seit gestern in der Krise, sondern seit 20 Jahren,als sie eindeutig zur Klassenpartei mutierte und den Klassenkampf konsequent aufnahm zum Nutzen und Frommen der Banken und Konzerne. Wr also immer noch die Volkspartei beschwört hat nicht gesehen wie der Zug abgefahren ist. Stopt ihn und keht um ! Was ist denn Schändliches daran die Interessen der Lohn/Gehaltabhängigen Menschen in diesem Lande zu vertreten ?

Hinzufügen möchte ich noch

Hinzufügen möchte ich noch die Kriegsbeteilgungen und die Waffenexporte in Kriegsgebiete. Eine Schande für die SPD!!!

Hinzufügen möchte ich noch

und von der unsäglichen Zustimmung zur PKW-Maut, die, ohne eingeführt zu sein, bereits über 53 Mio. Euro gekostet hat, ganz zu schweigen.

Und Merz sagte jetzt bei

Und Merz sagte jetzt bei Maischberger, daß er den Niedergang der SPD bedauere, weil das Konzept Volkspartei nur funktioniere, wenn es in einem Land zwei konkurrierende Volksparteien gibt.

Nida-Rümelin wäre doch ein guter SPD-Vorsitzender, oder?

Radikaler umdenken, klar formulieren und entschieden umsetzen !!

Natürlich spricht überhaupt nichts dagegen, endlich, endlich den Weg für ein basisdemokratich auszudebattierendes neues radikaleres und verständlicheres SPD-Grundsatzprogramm zu bereiten, in Gegenteil es ist mehr als überfällig ! Es muß aber a. darum gehen, Beschlossenes viel schneller und weitaus entschiedener umzusetzen auch wenn im schlimmsten Fall die Regierungsbeteiligung in Frage gestellt oder aufgegeben werden muß ! Es gibt eben Bereiche da darf es keine "faulen Kompromisse" geben, dazu gehören beispw. der Schutz unserer Lebensgrundlagen, wo uns unübersehbar die Zeit davon läuft, und menschenwürdige Einkommen die menschenwürdige Wohn-und Lebensnverhältnsse und nachhaltige, faire Lebensmittel und Kleidung für alle bezahlbar machen. Dazu gehört in der heutigen Zeit auch öffentliche Mobilität als Grundrecht, wenn es schon so ist, dass die Arbeitswelt Mobilität verlangt. Da ist es auch mehr als überfällig dass die systembedingten Maximalprofiteure endlich adäquat zur Kasse gebeten werden. Die Zeit muß vorbei sein, wo sich die Politik hinter Paragraphen versteckt oder uns auf sogen. "europ. Lösungen" warten lässt, die Dank EU-Einstimmigkeitsprinzip möglicherweise. nie kommen !

Julian Nida-Rümelin

Für bestimmte Genossen muss es ja grauenvoll sein, sich als Genosse duzen zu lassen. Wo kommen wir denn da hin, dass der Genosse X aus dem Ortsverein Y den Genossen Bundeskanzler Z auf dem Parteitag duzen würde?! Und dann steht da immer noch -zumindest auf dem Papier- der Demokratische Sozialismus. Wie altmodisch und furchtbar! Das macht der SPD ja alles kaputt bei Investoren, Unternehmern, dem Mittelstand!
Nein, Nein, Nein!

Als 1953 Geborener - ohne das akademische Studium der Soziologie - konnte und kann ich z.B. das Berliner Programm der SPD von 1989/1998 sehr gut lesen und verstehen. Dieses Programm sollte zwingend strukturell beibehalten und upgedatet werden. Und aus dem vielfach in der SPD selbst ungeliebten Terminus Demokratischer Sozialismus muss ein inhaltlich/materieller Ökologischer Demokratischer Sozialismus gemacht werden. Dann wäre schon viel gewonnen. Heruntergebrochen
auf nichtakademische SPD-Mitglieder/-Wähler könnte das dann personalisiert grob heißen: Mehr Kevin Kühnert, weniger Julian Nida-Rümelin. Johannes Kahrs und Sigmar Gabriel sind obsolet!

Falsche Adresse

Sollte die Behauoptung des Artikel, das die SPD "Volkspartei bleiben muß" tatsächlich so stimmen bzw. tatsächlich die Zielsetzung der SPD sein dann ist dieser Aufruf hier völlig deplaziert.
So ein Text gehört - idealerweise ergänzt durch die "Analyse" sowie alle passenden Leserreaktionen - an das Brett vor dem Kopf der Seeheimer und aller anderen "Neoliberalen", die durch Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung dafür sorgten und sorgen das die SPD noch weiter abrutscht und nicht nur gesinnungstechnisch sondern auch prozentual zur zweiten FDP wird.

Langsam müßte doch auch im Elfenbeinturm endlich begriffen worden sein das eine Hartz-IV Partei unerwünscht ist bzw. das noch eine "neoliberale" bzw "marktradikale" Partei (neben CD/SU, FDP,AFD,Pseudo"Grüne") nicht benötigt wird.

Wer "Volkspartei" sein will muß auch "Volkspartei" sein - und nicht "1% Partei".