Diskussion um Neuwahlen

Nach dem Aus für Jamaika: Der schwierige Weg zu Neuwahlen

Markus Hüttmann21. November 2017
Erfreut sich in diesen Tagen großer Aufmerksamkeit: Auch für die aktuelle politische Krise finden sich Regelungen im Grungesetz
Erfreut sich in diesen Tagen großer Aufmerksamkeit: Auch für Fälle wie die aktuelle politische Krise finden sich Regelungen im Grundgesetz.
„Die SPD scheut keine Neuwahlen“, sagte Parteichef Martin Schulz nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Aber wie könnte es überhaupt zu einer Neuwahl kommen? Ein Blick in die Verfassung verrät: Der Weg zu einer außerplanmäßigen Auflösung des Bundestages ist nicht einfach.

Es wäre ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, manch ein Leitartikel spricht gar von einer "Staatskrise". Bleibt es bei dem Nein der SPD zu einer großen Koalition, wären die im Bundestag vertretenen Parteien erstmals damit gescheitert, nach einer Bundestagswahl eine Regierungsmehrheit zu bilden. Ein zweiter Versuch zur Bildung einer „Jamaika“-Koalition aus FDP, Grünen und den Unionsparteien erscheint derzeit ausgeschlossen. Andere rechnerisch mögliche Koalitionsoptionen wie ein Bündnis von Union, FDP und AfD oder einer rot-rot-grünen Regierung plus FDP sind reine Zahlenspiele. Welche Optionen bleiben also noch?

Option Eins: Minderheitsregierung

Eine fehlende Regierungsmehrheit bedeutet nicht zwingend Neuwahlen, möglich wäre auch eine Minderheitsregierung: Die Regierungsfraktionen hätten dann keine Mehrheit im Parlament. Für die Kanzlerwahl und alle anderen Abstimmungen in der Legislaturperiode wäre die Regierung von Stimmen der Opposition abhängig. Je nach Gesetzesentwurf müssten dann wechselnde Mehrheiten immer wieder mühsam verhandelt werden. Die Folge wäre eine deutliche Stärkung von Parlament und Opposition. Das sieht nicht jeder negativ: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow etwa warnt auf dem Kurznachrichtendienst Twitter vor einer vorschnellen Entscheidung gegen eine Minderheitsregierung: „Es nicht zu probieren, wäre fahrlässig.“

Minderheitsregierungen sind in Deutschland selten. Eines der bekanntesten Beispiele ist das „Magdeburger Modell“: 1994 bis 2002 regierte die SPD in Sachsen-Anhalt zunächst mit den Grünen, dann allein in einer Minderheitsregierung, die von der damaligen PDS toleriert wurde. Auf Bundesebene gab es nur dreimal für kurze Zeit temporäre Minderheitsregierungen. Zuletzt war das 1982 für zwei Wochen nach dem Rückzug der FDP-Minister aus der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt der Fall.

Mit einer langfristig angelegten Minderheitsregierung im Bund würde Deutschland neues Terrain beschreiten. Das potentielle Experiment sorgt bei der zur Zeit nur geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel für keine Begeisterungsstürme – sie bevorzuge Neuwahlen, sagte Merkel am Montagabend im „ARD-Brennpunkt“.

Option Zwei: Neuwahlen

Doch auch eine Absage an eine Minderheitsregierung hätte nicht automatisch eine Neuwahl des Bundestages zur Folge: Artikel 63 des Grundgesetzes schreibt vor, dass der Bundestag auf Vorschlag des Bundespräsidenten einen Kandidaten zum Kanzler wählt. Das Prozedere ist langwierig:

  • Der Kandidat braucht für eine erfolgreiche Wahl eine absolute Mehrheit: 50 Prozent aller Mitglieder des Parlaments plus mindestens einen Abgeordneten.
  • Scheitert die Wahl, kann der Bundestag binnen einer Frist von zwei Wochen auch ohne Vorschlag des Präsidenten einen Kanzler wählen – wiederum mit absoluter Mehrheit. Theoretisch kann der Bundestag in dieser Phase hunderte Male abstimmen, bis es einen gewählten Kanzler gibt.
  • Knifflig wird es, wenn auch diese Wahlgänge scheitern: Dann kann das Parlament laut Grundgesetz „unverzüglich“ mit einfacher Mehrheit einen Kandidaten wählen – es gewinnt also der Kandidat mit den meisten Stimmen. Verfehlt er gleichzeitig die absolute Mehrheit der Stimmen im Bundestag, muss ihn der Bundespräsident innerhalb von sieben Tagen Kanzler ernennen oder aber den Bundestag auflösen und damit Neuwahlen erzwingen: In diesem Fall liegt die alleinige Entscheidung über die politische Zukunft des Landes im Ermessen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier - ein Ausnahmefall für das größtenteils repräsentativ angelegte Amt.

Neuwahlen durch verlorene Vertrauensfrage ausgeschlossen

Was Angela Merkel indes verwehrt bleibt: Wie ihre Vorgänger Kanzlern Willy Brandt (1972), Helmut Kohl (1982) und Gerhard Schröder (2005) absichtlich eine Abstimmung über die Vertrauensfrage verlieren. Der Bundespräsident kann nach Artikel 68 des Grundgesetzes auf Vorschlag des Bundeskanzlers das Parlament auflösen, wenn eine Mehrheit des Parlaments dem Regierungschef das Vertrauen verweigert. Weil Angela Merkel derzeit aber nur geschäftsführend im Amt ist, kann sie nicht auf diesen verfassungsrechtlich umstrittenen Kniff zurückgreifen.

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Kommentare

Aktualität

ist nicht gerade eine Stärke des VORWÄRTS, so scheint es. Die Diskussion ist doch schon längst in Gange, da wird hier erklärt, auf welche Grundlage Diskussionen zu führen wären.

Und die laufende Diskussion dreht sich wesentlich um die Zerrissenheit der Partei, die hier totgeschwiegen wird. Es hilft doch niemanden, den sich stellenden Fragen aus dem weg zu gehen. Augen zu, und alle Probleme sind gelöst- dass dies nicht hilft, lernen sonst schon die Kleinsten.

Warum treibt die SPD jetzt nicht die CDU vor sich her?

Union wirft SPD Drückebergerei vor. CDU muss sich fragen lassen, warum sie nicht eine mögliche Regierung ohne die hinderliche CSU auslotet: z.B. CDU, SPD, Grüne! Die Mehrheit der Deutschen will nicht von Bayern a là Dobrindt regiert werden! Und die CSU hat ja schon zu GroKo-Zeiten 4 Jahre Fundamental-Opposition geübt!
Ohne Merkel sollte diese Option machbar sein!
http://youtu.be/0zSclA_zqK4
Und die SPD muss sich fragen lassen, weshalb sie jetzt so herumeiert und nicht die CDU vor sich her treibt!