SPD-Europaabgeordnete im Porträt

Ismail Ertug: Wie grüne Verkehrspolitik in Europa gelingen kann

Benedikt DittrichJonas Jordan29. August 2019
Ismael Ertug, für die SPD im Europaparlament.
16 Abgeordnete vertreten die SPD seit dem 1. Juli in Straßburg und Brüssel. In loser Reihenfolge stellen wir sie in nächster Zeit vor. Einer von ihnen ist Ismail Ertug, der für klimafreundliche Verkehrspolitik kämpft und die Bürgerbeiteiligung auf EU-Ebene stärken möchte.

Ismail Ertug kennt sich aus in Brüssel: Seit zehn Jahren ist er Mitglied des Europaparlaments. Der Amberger ist zum dritten Mal angetreten und hat es wieder geschafft. Sein Fachgebiet: Verkehr, als SPD-Politiker und Mitglied der europäischen Sozialdemokraten (S&D) im dafür zuständigen Ausschuss.

Ein Feld, in dem der Klimaschutz eine große Rolle spielt: „Mein Hauptziel ist es, die Dekarbonisierung des Verkehrssektors voranzutreiben, aber in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, damit wir starke Strukturbrüche im Arbeitsmarkt vermeiden“, erklärt der 43-Jährige Ertug. Mit Hilfe von welcher Technologie das gelingen soll, lässt der Sozialdemokrat bewusst offen - das Ziel ist aber klar: „Für alle betroffenen Verkehrsmodi ist eine technologieneutrale, aber strikte Emissionsgesetzgebung mit einem klaren Absenkungspfad bis 2050 notwendig.“ Aufgabe der Politik ist es aus seiner Sicht, Regeln zu schaffen, egal ob es thematisch dabei um Digitalisierung oder Automatisierung, Haftung, Datenschutz oder Sicherheit geht - die Politik dafür muss Rahmenbedingungen schaffen.

Eine nachhaltige Verkehrspolitik, die kosteneffizient und wirtschaftlich geregelt ist, liegt ihm am Herzen. Im Detail heißt das für ihn aber auch, dass die Wende auch innerhalb von Europa erwirtschaftet werden soll: „Ich werde mich weiterhin für eine europäische Batteriezellenindustrie einsetzen, damit die Wertschöpfungskette in Europa erhalten bleibt.“ Genug Arbeit also für die kommenden fünf Jahre.

So offen er den Weg in der Verkehrspolitik halten möchte, so klar ist seine Kante gegenüber den Rechtspopulisten und Rechtsextremisten, die nach der Europawahl ins Parlament eingezogen sind: Europafeindliche Kräfte werde er, so gut wie möglich, weiterhin isolieren und demaskieren, „wann immer es geht.“

Europawahl und Bürgerinitiativen ab 16 Jahren

In Sachen Mitbestimmung und Partizipation sieht der Amberger deutlichen Nachholbedarf. Für ihn sind europäische Bürgerinitiativen eine gute Möglichkeit der politischen Beteiligung. Die Frist, um Unterschriften zu sammeln, sollte seiner Ansicht nach aber verlängert werden und das nötige Quorum gesenkt werden - also mehr Zeit und weniger notwendige Stimmen, damit sich die Europaparlamentarier mit Initiativen beschäftigen müssen.

„Viele werden sich noch an die erfolgreiche Bürgerinitiative „Wasser ist ein Menschenrecht!“ erinnern“, erklärt er anhand der Initiative „Right2Water“, die sich gegen die Privatisierung von Trinkwasser richtete. Gerade solche Initiativen gelte es zu stärken, meint Ertug. „Ich bin auch der Meinung, dass das Teilnahmealter genauso wie das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden sollte“, fordert er mit Blick auf eine Demokratisierung der Europäischen Union.

Ziviler Ungehorsam als Zeichen einer aktiven Zivilgesellschaft

„Ich rufe bei meinen regelmäßigen Schulbesuchen schon lange zu mehr zivilem Ungehorsam auf", erklärt Ertug weiter, „Wichtig ist, dass man sich für seine Rechte und Interessen einsetzt.“ Er wirbt dafür die Parlamentarier in Europa auf Probleme aufmerksam zu machen, den Druck über Petitionen, Kampagnen und Demonstrationen zu erhöhen. „Denn wir brauchen für einen dauerhaften Frieden und ein gutes Leben eine aktive, funktionierende Zivilgesellschaft in Europa.“

Ertug kann in diesem Jahr ein kleines Jubiläum feiern: Vor 20 Jahren trat der heute 43-Jährige der SPD bei, fünf Jahre später wurde er in den Stadtrat seiner bayrischen Heimatstadt Amberg gewählt. Mit einer Unterbrechung gehörte er dem Gremium bis 2017 an. Seit 2005 ist er stellvertretender Vorsitzender der SPD Oberpfalz, seit 2009 Mitglied im Landersvorstand der BayernSPD und seit 2013 Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Amberg. Seine berufliche Karriere startete als Industriekaufmann, im Anschluss folgte eine Ausbildung zum Versicherungsangestellten - in der Branche arbeitete er einige Jahre als Berater, ergänzt durch ein Betriebswirtschaftliches Studium.

Im Europäischen Parlament ist er unter anderem als Abgeordneter der S&D-Fraktion Mitglied und Koordinator für den Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr, zusätzlich ist er Mitglied im Untersuchungsausschuss zu Emissionsmessungen der Automobilindustrie. Es ist bereits seine dritte Legislaturperiode: Ertug zog 2009 erstmals ins Europaparlament ein, schaffte zwei Mal den Wiedereinzug.

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Kommentare

Mobilitätswende nachhaltig und gerecht gestalten!

Es ist falsch die Vision einer Verkehrswende rein technokratisch zu betrachten in dem beispielsweise der Verbrenner-PKW durch die Batterie-Variante ersetzt wird. Da sind viel andere kluge Köpfe schon weiter ! Es gilt momentan den Schienenverkehr auszubauen und den ÖPNV auf dem Land sowie den Umstieg auf Fahrrad und E-Bike zu attraktivieren ! Das umweltfreundlichste Privat-Auto ist das was steht ! Scherz beiseite ! Erdgas-Antrieb ist umweltfreundlicher als E-Fahrzeug ! Warum wurde und wird es nicht mehr staatlich promoted auch für den Übergang bis zu einer wirklichen Mobilitätswende incl. Wasserstoff-ÖPNV (siehe Prototyp Bahn-Verkehr Thüringen) ! Wirkliche Mobilitätswende bedeutet weniger Arbeitszeiterfordenis in der Fahrzeugproduktion ! Warum macht sich die SPD da nicht ehrlich ? Weniger Arbeitszeit lässt sich aber auf die gleiche Anzahl Mensch verteilen, wenn es nur politisch gewollt ist ! Die Arbeitnehmer/innen haben ein Recht an den auch von ihnen erarbeiteteten Effektivitätsgewinnen beteiligt zu werden !!! Auch diese Botschaft kann Ismail Ertug nach Europa tragen !

Ökologische Verkehrspolitik oder Industriepolitik?

Wir werden uns entscheiden müssen. Oberstes Prinzip einer ökologischen Verkehrspolitik wäre die Vermeidung jedes überflüssigen Verkehrs. Sie wäre nicht der Effizienz, sondern der Effektivität verpflichtet, nämlich die höchstmögliche Lebensqualität mit dem geringst möglichen Verkehrsaufkommen zu erreichen.
Zweite Priorität hat, die verbleibenden Verkehrsströme mit dem geringst möglichen Energie- und Ressourceneinsatz zu bewältigen.
Beispiel: die berühmte letzte Meile. Fast jeder kann sie zu Fuß zurücklegen. Wer unbedingt einen Tretroller braucht, bitte. Dieser hält locker 100 Jahre, braucht keine externe Energie und nur geringe Muskelkraft. Die denkbar schwachsinnigste Lösung ist der Elektroroller. Völlig unnötiger Einsatz elektrischer Energie und wertvoller Ressourcen, Nutzungsdauer nur wenige Jahre, riesige Halden an Elektroschrott. Per Saldo weniger Lebensqualität.
Warum aber dieser Unfug? Wegen der Verwechslung von Verkehrs- mit Industriepolitik.
Nachsätze: Elektro-Pkw mit mehr als 7-8 KWH Verbrauch auf 100 Km künftig zuzulassen, wäre in etwa das Gleiche.

Batterieautos sind keine "Umwelttechnologie"

Gerade die viel propagierte "E-Mobilität" ist Umweltsünde ersten Ranges, wenn man die Prozesse die letzten Endes eine Menge Elektronik- und Batterieschrott produzieren genauer betrachtet.
Speziell die monolithischen Akkus sind umgehend zu vermeiden. Die ersten Tesla hatten noch eine Energiebank aus separaten Laptop-Akkus. Ist also einer der Akkus defekt so wird eben nur dieser getauscht und nicht 700 KG Sondermüll auf einmal produziert.
Politisch kann man bereits jetzt einzugreifen was das Aufzwingen von extrem langen Arbeitswegen angeht. Natürlich "nicht machbar" wenn man die Zwangsarbeitsregelungen der Agenda so hart wie nur möglich lassen will.

Postzustellungen kann man abenfalls entzerren. Wie damals der "Eiermann" auf den Dörfern könnte man kommunenweise "Posttage" einführen.
Die DPAG will das eh, weil ihr die tägliche "Grundversorgung" zu teuer wird. Zustellfristen und Mahnfristen müssen dann natürlich angepasst werden.
Das reduziert dann die Logistik auf verderbliche Waren bzw wirklich eilige Terminware.

Ideen gibt es genug, nur muß die Politik endlich lernen, Profiteinbußen ihrer Lieblinge zu ertragen statt Strafsteuern als einziges "Umwelt"Mittel zu sehen.

Etwas schlecht informiert, der Gute

" Für ihn sind europäische Bürgerinitiativen eine gute Möglichkeit der politischen Beteiligung."

Dummerweise scheint sich der nette Herr nicht die Regularien bis zum Ende durchgelesen zu haben.
Sonst käme er nicht auf die komsiche Idee, das "sich die Europaparlamentarier mit Initiativen beschäftigen müssen."

Das müssen sie nämlich nicht, was das ganze europäische "Petitionsrecht" zur Nullnummer macht.

Auch die letzte Teilüberschrift ist eher ein Fall für den Psychiater.
"Ziviler Ungehorsam als Zeichen einer aktiven Zivilgesellschaft"

Jeder, der aktiv versucht hat sich der Zwangsanmeldung der GEZ zu widersetzen wird wissen das der Staat mit voller Härte ohne Rücksicht auf Verluste und Verhältnismäßigkeit und ohne jede Prüfung der Sachlage zuschlägt.
Und das bei einem Unternehmen das als erste Kontaktaufnahme bereits die Mitteilung der Zwangsanmeldung verschickt statt erst mal nachzufragen ob das Schutzgeld bereits entrichtet wird.

Also nö, "ziviler Ungehorsam" ist hierzulande eben so teuer wie ergebnislos.
Sowohl im genannten Fall als auch bei verhältnismäßig harmlosen Widerstand gegen z.B. die "Rechtschreibrefiorm".

Der gute Herr Ertug geht also

Der gute Herr Ertug geht also im Rahmen seiner Abgeordnetentätigkeit regelmäßig in Schulen und wirbt für "zivilien Ungehorsamt" bei der Schülern. Das macht mich fassungslos.

Was wäre denn, wenn die s.g. Abgehängten, die Unterzahlten, die Leiharbeiter mal auf Idee kommen sollten, von ihrem Recht des zivilen Ungehorsams Gebrauch zu machen und der Arbeit fernbleiben, um auf diese Weise auf ihre Rechte und Interessen aufmerksam zu machen. Gleiches Recht gilt für alle, noch jedenfalls. Dann bricht das Chaos aus und die Räder in diesem Land stehen still.

Leider wirkungslos

Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht ist ein Generalstreik schon seit Langem strafrechtlich verboten.

Dazu kommt natürlich das der "beste Niedriglohnsektor Europas" durch die staatlichen Sanktionierungsbestimmungen bestens geschützt ist.
Sollten sich tatsächlich Leiharbeiter und Gering(st)verdiener finden die geschlossen streiken und dann wegen Arbeitsverweigerung oder eben offiziell "verhaltensbedingt" gekündigt werden gibts vom Amt nochmal mindestens drei Monate Sperre obendrauf - denn der "selbstbestimmte" Arbeitnehmer heutiger Zeiten hat alles zu unterlassen was zur Arbeitslosigkeit führen könnte und hat alles (!!!) zu unternehmen damit er beschäftigt bleibt.

Sonst bekommt er halt mindestens drei Monate Sperrfrist auf seine "Sozialversicherung".

Naja als bestversorgter "Volksvertreter" stellen sich solche ungemütlichen Lebensprobleme sicher deutlich anders dar.
Wie in dieser Karikatur kurz vor der französischen Revolution wo der Richter dem halb verhungerten Bauern sinngemäß sagt: "Hunger ist kein Grund zum Brot stehlen, ich habe auch jeden Mittag Hunger."

Woher mag nur der schlechte Ruf von EUrokraten kommen ? Mysteriös, und unverständlich...