Reinhard Baumgarten: Gesichter des Islam

Islamische Gretchenfrage

13. November 2010

Der Islam kam mit den Händlern. Sie stammten aus Persien sowie dem Oman und die Verbreitung ihres Glaubens war weniger ihr Ziel als lukrative Geschäfte mit gutem Gewinn. Und doch legten die
Händler im 13. Jahrhundert die Grundlage dafür, dass Indonesien heute das Land mit den mit Abstand meisten Muslimen ist: Rund 207 Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben in dem Inselstaat.

Der Islam - die nach dem Christentum zweitgrößte Weltreligion - hat viele Gesichter. Das Beispiel Indonesiens, wo sich im Laufe der Jahrhunderte die islamische Lehre mit der Götter- und
Dämonenwelt der hinduistisch-buddhistischen Kultur verband, zeigt diese Tatsache eindrücklich. Der Journalist Reinhard Baumgarten hat sieben Länder ¬- von Spanien bis zum Iran - besucht und
beschreibt die verschiedenen Ausprägungen des Islam auf sehr anschauliche Art und Weise.

vielfarbiges Bild des Islam

In einem Istanbuler Tonstudie produziert die Sängerin Habibe das Musikalbum "White Peace". Während die 36-Jährige zu künstlichen Rhythmen Texte auf Arabisch, Türkisch oder Englisch ins
Mikrofon haucht, sind ihre Haare unter einem Tschador verborgen. Die junge Frau ist tief religiös und betet der Tradition entsprechend fünfmal am Tag.

Ganz anders Esin. Die 23-Jährige Germanistik-Studentin hat ihre Haare blondiert, trägt ein Nasenpiercing und liebt das Istanbuler Nachleben. Fromm sei sie nicht, sagt Esin, doch halte sie
an ihrem Glauben fest.

Anhand vieler persönlicher Geschichten malt Reinhard Baumgarten in seinem Buch ein vielfarbiges Bild des modernen Islam. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die den Glauben leben und
prägen. Der Journalist reiht viele kleine Reportagen aneinander und erzählt ganz nebenbei, wie sich der Islam entwickelt hat, welche Einflüsse er auf die jeweilige Kultur hatte und auf welchen
Grundlagen der Glauben beruht.

Lese- und Lehrbuch

In Info-Kästen werden zudem die wichtigsten Begriffe wie "Die fünf Säulen des Islam" erklärt und Zahlen, Daten und Fakten zur Ausbreitung des Glaubens genannt. Entstanden ist so nicht nur
ein kurzweiliges Lesebuch, das den Blick auf (nicht immer sehr) ferne Länder öffnet, sondern auch ein Lehrwerk für den islamischen Laien.

So erfährt der Leser etwa, dass die Worte "Chemie" und "Mütze" einen arabischen Ursprung haben, dass der Aufruf, den eigenen Verstand zu benutzen, auch im Koran zu finden ist (Stichwort
"verpasste Aufklärung") und dass Goethe und Lessing große Islam-Freunde waren.



sich wandelnde Wahrnehmung in Deutschland

Klar, dass da auch Deutschland ein Kapitel des Buchs gewidmet ist. Das Land der Dichter und Denker hat zwar die mit Abstand kürzeste Islamgeschichte (erst seit den 1960er Jahren), doch ist
die Wandlung in der öffentlichen Wahrnehmung frappierend. Baumgarten macht dies anhand der Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh deutlich. Waren Moscheen zu Anfang noch in Hinterhöfen und
Lagerhallen untergebracht, finden sich nun auch immer häufiger repräsentative Bauten unter den rund 2500 Moscheen in Deutschland.

Allerdings: Mit der Sichtbarkeit der Muslime wächst auch ihre Wahrnehmung als Problemgruppe. So seien knapp 80 Prozent der Befragten einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2006 der Meinung
gewesen, der Islam sei fanatisch. 60 Prozent hätten angegeben, Islam und Demokratie vertrügen sich nicht. Nicht zuletzt gegen dieses scheinbare Gesicht des Islam richten sich das Buch von
Reinhard Baumgarten und die Doku-Reihe in der ARD.

Reinhard Baumgarten: Gesichter des Islam. Begegnung mit einer faszinierenden Kultur, Theiss 2010, 24,90 Euro, ISBN 978-3806223743

Die
vierteilige Dokumentation läuft an den kommenden Sonntagen (14. November bis 5. Dezember um 17:30 Uhr in der
ARD.

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