
In der Krise sollte ein Land zusammenhalten. Das gilt erst Recht für die aktuelle Corona-Pandemie, die viele tausend Menschen Gesundheit und Leben kostet. Die immer dramatischer werdende Lage „ist ein Moment, in dem man als Land zusammenhalten muss“, sagt deshalb zurecht der designierte Kanzler Olaf Scholz, und fügt hinzu: „Ich appelliere auch an alle, das zu tun.“
Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem funktionierenden Gemeinwesen sein sollte und in der Corona-Pandemie bisher auch in Deutschland galt, droht die Union nun aufzukündigen. Ausgerechnet in der schwersten gesundheitlichen Krise der Bundesrepublik will sie das wichtigste Gesetz blockieren, das dieser Krise begegnen soll: das Infektionsschutzgesetz.
Union will Blockade statt Zusammenarbeit
Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst kündigte in einem Brief an den geschäftsführenden Vizekanzler Olaf Scholz an, die Union werde das Gesetz im Bundesrat ablehnen und damit scheitern lassen. Der Brief zeigt, in welche Richtung die Union abgleitet: Blockade statt Zusammenarbeit. Wie wenig es CDU und CSU um die Inhalte der Pandemie-Bekämpfung geht, sieht man daran, das Wüst keine einzige inhaltliche Forderung stellt, um das Infektionsschutzgesetz noch ein weiteres Mal nachzuschärfen. Dass es der Union nicht um Dialog und Kompromiss geht, ist auch daran zu erkennen, dass der Brief von Wüst zuerst in den Medien veröffentlicht und diskutiert wurde, bevor er seinen Adressaten Olaf Scholz überhaupt erreicht hatte. Das ist in der aktuellen Lage weit mehr als nur schlechter Stil.
Viele Bürger*innen fragen sich: Wer trägt eigentlich die Verantwortung für die aktuelle Corona-Krise in Deutschland? Die Union weist jede Verantwortung von sich und zeigt mit dem Finger auf die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP, die die künftige Regierung erst noch bilden müssen. Sie verschweigen dabei, dass die Hauptverantwortlichen, die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr Kanzleramtsminister Helge Braun und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn alle der CDU angehören. Es war Spahn, der als erster die Aufhebung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ forderte. Daraufhin gab es kein Wort des Widerspruchs von der Kanzlerin oder dem Kanzleramtsminister. Statt heute Verantwortung zu übernehmen, schlagen sich alle drei Christdemokrat*innen in die Büsche: Merkel gibt kluge Ratschläge in öffentlichen Veranstaltungen, Braun drischt auf die Ampel-Parteien ein, um seine Chancen im Rennen um den CDU-Vorsitz zu verbessern und Spahn scheint weitgehend abgetaucht, nachdem er auf eine Bewerbung um den CDU-Vorsitz verzichtet hat.
Scheitern des Infektionsschutzgesetzes wäre Katastrophe
Verantwortung übernehmen, das wollen auch die Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Michael Kretschmer (CDU) nicht. Ausgerechnet die Regierungschefs von Bayern und Sachsen, die verantwortlich sind für die niedrigsten Impfquoten und die höchsten Infektionszahlen in Deutschland, kritisieren lautstark andere und fordern sie zum Handeln auf. Die Brandstifter rufen nach der Feuerwehr – was für ein politisches Versagen!
Was würde nun passieren, wenn Wüst, Söder und Kretschmer das neue Infektionsschutzgesetz am Freitag im Bundesrat scheitern lassen? Es wäre schlicht und ergreifend eine Katastrophe für das Land. Denn damit würde nicht nur die vom Bundestag beschlossene pandemische Lage auslaufen, es gäbe auch keine rechtliche Nachfolgeregelung zur Pandemie-Bekämpfung. Und damit auch nicht die wichtigen Verschärfungen zur gegenwärtigen Rechtslage, die SPD, Grüne und FDP vereinbart haben: Es gäbe weder eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, noch eine Testpflicht für Mitarbeiter*innen und Besucher*innen in Alten- und Pflegeheimen und auch keine harten Strafen bei gefälschten Coronatests, Genesenen- und Impfnachweisen.
Union betreibt Obstruktion statt Opposition
Die Folge: Das Corona-Virus würde sich noch schneller verbreiten, das Gesundheitssystem noch schneller kollabieren, noch mehr Menschen würden erkranken und sterben. Kann das ein*e verantwortliche*r Politiker*in – egal welcher Partei – wollen? Natürlich nicht. Aber die Frage steht im Raum: Betreiben CDU und CSU gegenwärtig noch eine verantwortungsvolle Politik?
Man kann nur hoffen, dass CDU und CSU schnell zur Besinnung kommen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Obstruktion und Opposition. Das sollten auch die Unionsparteien begreifen. Und zwar schnell – besser heute als morgen. Deutschland hat in der dramatischen Corona-Lage dieses Winters nämlich keine Zeit mehr zu verlieren.